Es ist verrückt. Ich bin verrückt. Wahrscheinlich. Zumindest sagt das meine Psychologin.
Also sie sagt nicht wörtlich, dass ich verrückt bin. Aber gleich nach der ersten Sitzung , sagt sie mir, ich habe ganz offensichtliche Züge eines Borderline Syndroms. Ein Leben ohne Wurzeln.
"Aha" sage ich. Nicht genau wissend, um was es sich hierbei handelt, aber ziemlich sicher erahnend, dass es nichts wirklich gutes ist. Jetzt ist es amtlich, denke ich. Ich bin also eine offizielle Diagnose. Ein Krankheitsbild, dass jeder Depp bei Wikipedia googeln kann. Gut, denke ich, immerhin. Jetzt kann man mich googeln unter dem Namen Borderline. Klingt irgendwie hübsch. Ein bisschen wie Caroline - also englisch ausgesprochen. Ich werde sie ab jetzt so nennen. Die Psychodiagnose, die mir ab jetzt anhaftet. Obwohl ich so gar nicht aussehe wie eine Caroline. Egal, denke ich, es sind ja nur Züge von Caroline. Es ist ja nicht die volle Drönung Caroline. Und vielleicht hat sie ja das Zeug zur besten Freundin. Wer weiß. Ich lass mich überraschen.
Caroline soll mir mich jetzt also erklären. Einen Ansatz schaffen, mit dem ich arbeiten kann. Mir Erleichterung verschaffen. Warum bin ich so anders als die meisten in meinem Umfeld? Ich frage einfach Caroline. Sie beantwortet mir alles. Psychologisch korrekt und im Fachjargon. Völlig wertungsfrei und objektiv. Das tut schon gut, irgendwie. Und Caroline erklärt mir tatsächlich, wieso ich nicht so konform, nicht so gefestigt, nicht so geradeaus bin. Wieso mir Höhen und Tiefen mehr liegen als flache Hochebenen. Wieso mich der kleinste Windhauch umpustet wie ein Orkan. Es ist erstaunlich was Caroline alles über mich weiß. Sie ist mir sofort vertraut. Man könnte denken, sie kennt mich. Doch als ich sie danach frage, antwortet sie mir "Nein, nein - nicht persönlich meine Süße. Es gibt noch ne Menge anderer Leute, die mich so gut kennen wie du - die mich besser und länger kennen als du. Ich bin für euch alle da."
Pam, das sitzt. Ich dachte die ganze Zeit, ich sei irgendwie besonders, komisch, kompliziert aber doch bitte schön einzigartig. Ich dachte Caroline könnte meine meine ganz alleine Freundin werden. Speziell auf mich zugeschnitten. Und jetzt bin ich wieder nur eine von vielen? Ein kleiner roter Marienkäfer unter Millionen roter Marienkäfer? Zusammen in eine Schublade gesteckt von Caroline? Von der ich dachte das sie mich wenigstens irgendwie besonders macht?
Das gefällt mir nicht. Ich überlege mir, ob es sinnvoll ist weiterhin mit Caroline befreundet zu sein. Na gut, denke ich, klar bin ich auch ein Marienkäfer, aber ich habe doch nicht nur schwarze Punkte? Oder? Caroline? Ich habe doch auch viele bunte Punkte, oder nicht? Ich will verdammt nochmal bunte Punkte haben. Wie die Villa von Pippi! Ich meine, ich weiß, ich bin nicht Superwoman. Aber ist das denn zu viel verlangt?? Ein paar scheiß bunte Punkte??? C A R O L I N E ?????????
Jetzt werde ich wohl etwas ungehalten. Jedenfalls wirkt das so auf Caroline. Habe ich den Eindruck. Sie wirkt gerade etwas überfordert von mir, zuckt mit den Schultern und geht.
Das wars dann wohl mit der Freundschaft. Mist.
Caroline
von Rosalie Licht
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