Gegen Mittag wurde es so heiß, dass es unter dem Dach der Laube kaum noch auszuhalten war. Denn setzte sich Karl nach hinten in die Schaukel, welche vom angrenzenden Wald bereits beschattet wurde. Hier war es kühler, doch ebenso still wie vorn im Garten. Daran konnte das Wetter nichts ändern. Von der Schaukel aus sah Karl den Schuppen links von sich. Früher einmal war er ein Kaninchenstall gewesen, dann ein Hühnerstall, dann wieder ein Kaninchenstall für die Enkel. Jetzt stand der Rasenmäher darin und all die Harken, Spaten und Rechen, die der Gärtner für seine Arbeit benötigte. Doch für Karl fühlte es sich immer noch wie ein Stall an.
Vor ein paar Wochen waren die Farben von einem Tag auf den anderen verblasst. Das satte Braun der Bretter war schlammig geworden, ebenso wie alles andere im Garten. Selbst die Blumen verloren für ihn ihre Farben. Dagegen konnte Karl nichts tun; er hatte darin keine Erfahrung. Die Pflege der Beete war nie seine Aufgabe gewesen und jetzt würde er es auch nicht mehr lernen. Der Gärtner kümmerte sich um den Rasen und das Unkraut. Für ihn war es nur ein Job; keine Leidenschaft, wie es für Karls Frau gewesen war. Aber mit Buden kannte Karl sich aus. Immerhin hatte er alles selber gebaut. Sie war ein wenig schief, dass er manche Stellen mit Verbunddraht fixieren musste. So hatte er es auf der Zeche gelernt und es hielt. Das war die Hauptsache. Es musste nur angestrichen werden und das konnte er immer noch.
Im Grunde war es einfach, die Farben zu besorgen. Es gab sie in jedem Baumarkt. Aber die Fahrt dorthin war mühsam, seitdem er sein Auto abgemeldet hatte. Zweimal musste er im Bus umsteigen und es dauerte eine Stunde, bis er ankam. Es musste sich an so vieles gewöhnen.
Das Angebot an Farben im Baumarkt war überwältigend. Es gab verschiedene Töne für Lacke, Holz und Fliesen. Manche von ihnen blieben an den Fingern kleben und Karl, der nicht bemerkte, dass er die falsche Farbe gekauft hatte, rubbelte drei Tage lang die Finger mit einem Bimsstein ab, dass er sich fast die Haut von den Händen abschmirgelte. Danach kaufte er nur noch sichere Sachen. Rot, gelb, blau, grün für Holzarbeiten im Außenbereich. Manchmal kaufte er zu kleine Töpfe, dass die Menge nicht ausreichte. Dann nahm er eine andere Farbe und beendete seine Arbeit. Er liebte es ohnehin bunt.
Er begann mit der Tür des Schuppens und als er fertig war, sah er, dass die Farbe nicht vollständig deckte. Flecken marmorierten die Fläche. Doch für Karl genügte es und so strich er die gesamte Bude an. Er musste fertig werden, um mit dem Zaun zum Wald hin zu beginnen. Dann die Bänke, die überall im Garten verstreut standen, die Gemüsekästen, den Strompfosten und die Windmühle. Alles sollte in neuen Farben glänzen. Nur die Wiese blieb durch die Sonne verbrannt. Sie konnte er nicht anmalen. Alles verging eben.
Aber auch das machte Karl nichts aus. Sein Garten würde nie so ordentlich aussehen, wie er es gewohnt gewesen war. Er war kein Gärtner wie der Nachbar. So lange Karl ihn kannte, verbrachte der jeden Tag in seinen Beeten. Der Rasen war gepflegt, die Sträucher geschnitten, doch seine Hütten waren farblos, nicht so bunt, wie Karl es mochte. Dafür hatte der Nachbar kein Händchen, doch Karl empfand keinen Triumph. Manchmal trafen die Männer sich am niedrigen Maschendrahtzaun und wechselten ein paar Worte. Nicht genug, um befreundet zu sein, doch um voneinander zu wissen.
An einem Tag, als Karl den Anstrich des Schuppens beendet hatte, kam der Nachbar zum Zaun geschlichen. Karl bemerkte ihn erst nach einer Weile und trat auf das Beet, nahe an ihn heran.
„Meine Frau ist im Krankenhaus“, sagte der Nachbar.
Im Sonnenschein sah sein Gesicht verwittert aus.
„Das tut mir leid“, sagte Karl.
„So geht es“, sagte der Nachbar.
Karl nickte.
„So geht es“, sagte er.
Der Nachbar bückte sich mühsam und zupfte am Unkraut herum. So etwas beachtete Karl nicht, aber er blieb stehen und ließ dem anderen die Zeit.
„Ich werde ein paar Tage nicht da sein“, sagte der Nachbar.
„Ich pass auf deinen Garten auf.“
Der Nachbar nickte, wandte sich um und schlich davon. Karl sah ihm nicht nach. Die Bäume des Parks warfen Schatten auf den Schuppen und das Blau der Außenwand wechselte in die unergründliche Tiefe des Ozeans. Vielleicht sollte er die Fensterscheibe der Bude grün anstreichen, dass es wie eine Lagune wirkte. Es würde hübsch aussehen. Wenigstens für eine Weile. Die Natur holte sich alles zurück.
Doch noch leuchteten die Farben. Die rote Fußleiste, der gelbe Fensterladen. Morgen würde er beginnen, den Zaun anzumalen. Er war bereits etwas verrottet, die Leisten mussten erneuert werden. Vielleicht würde er es vorher machen, obwohl es ohnehin sinnlos war. Es störte nicht. Die Farben sollten leuchten, auch wenn letztendlich alles grau blieb.
Buntes Grau
von Magnus Gosdek
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Magnus Gosdek
- Prosa von Magnus Gosdek
- Prosakategorie und Thema: Kurzgeschichten & Kurzprosa, Klassisch
Kommentare
Der Blick aufs Kleine, ganz genau -
Er-kannte Farben auch im Grau ...
LG Axel
Vielen Dank, Axel. Freut mich, dass es Dir gefällt. LG Magnus