Die Aspergill-Grotte - Page 2

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es gewisse Farb-Signale aus, nach allen Richtungen. Die kleinen Farbexplosionen schienen aus der Hohlkugel zu stammen. Das ergab eine wunderschöne Punktstrahlung, die sich an den Wänden brach. Alle Weinliebhaber hatten sich rund um das Aspergill im Zentrum versammelt. Es gab 6 Tischchen, und jeder war besetzt.

Der dunkelblonde Engel mit den langen, leicht gelockten Haaren sah mich ernst an, reichte mir ein Klemmbrett, darauf eine Art Vertrag, zweiseitig, und einen wirklich sehr edlen Füllfederhalter. Das war kein moderner Patronenfüller, sondern ein Kolbenfüller, antik und kostbar. Ohne mich mit dem Lesen der eng beschriebenen Seiten aufzuhalten, unterschrieb ich zügig. Die Dame entriß mir das Brett, lächelte mich süßlich an, und ich schmolz dahin. Gerne hätte ich meinen linken kleinen Finger gegeben, für nur einen dahin gehauchten Kuss auf ihre unsagbar schön geschwungenen Lippen. Ohne jede Vorwarnung aus Kopf oder Bauch verliebte ich mich heftig. Ich war ihr jetzt verfallen.

„Gaa-haaa“ stöhnte es rechts von mir. Ein Herr Mitte 50 hatte den Laut ausgestoßen. Seine rechte Hand zitterte so stark, dass etwas Wein aus seinem Glas schwappte. Alle hielten diese herrlichen Vision Balanced Weingläser von Zieher in Händen. Wenn es ein Gefäß für guten Wein gibt, dann ist es ein V. B. von Zieher. Und nein, ich erhalte keinen Scheck aus Himmelkron für diese Lobhudelei. Aber seit jeher liebe ich diese kristallinen, natürlich mundgeblasenen Vision-Produkte. Erzeugnisse, wie sie wohl edler kaum vorstellbar sind. „Trinken Sie, mein Herr, kosten Sie...“ Wieder dieses Säuseln, liedartig vorgetragen, mit vielen Höhen und Tiefen in der Stimme, die Knie wurden mir weich. Was für ein Geschöpf Gottes! Gepriesen, gelobt und gesegnet sei es, dieses Spittal an der Drau, da es doch solch wunderfeine Wesenheiten hervorzubringen in der Lage ist. Ein Geschenk des Himmels. Und wie diese Frau duftet... Der Duft kommt nicht von ihr allein. Da ist auch noch Lavendel. Sehr viel Lavendel. Und natürlich der leicht aufdringliche Brandgeruch. Überall wabert, bitzelt und britzelt es.

Gerade will ich ansetzen, da sehe ich eine Frau, etwa auf 9 Uhr, der dicke Tropfen aus der Nase quillen. Durch das wabernde Grün erkenne ich erst nach einer Weile, dass es sich um Blut handelt. Ist das nicht ein wenig Besorgnis erregend? Die Frau dort drüben scheint aber nicht besorgt. Der „blonde Engel“ reicht ihr rasch ein Tuch. Dann ist er auch schon wieder bei mir. Diese Musik... Ich kenne das Stück. Es ist, ja richtig, aus Animal Crossing New Leaf, das K.K. Trauerlied. Unheilvoll, creepy, auch ein wenig anheimelnd und sehr bedrückend. Tief, langsam und gewaltig dröhnte es aus den vielen Boxen, die an der Wand des Gewölbes, einer originellen Nachbildung einer Kristall-Grotte, ähnlich der Erlebnis-Bergwerk-Kristallgrotte Merkers, hängen. Warum nur spielen die diese, doch sehr gewöhnungsbedürftige Musik? Gerade hier, in dieser Grotte? Es wirkte auf mich, als habe ein völlig überdrehter Jung-Regisseur, total manisch, angeordnet, alles so zu arrangieren, dass es maximal bizarr auf Betrachter und Besucher wirken musste. Wer auch immer dieses merkwürdige Arrangement hier zu verantworten hatte, er saß jetzt sicherlich in einer Gummizelle, ständig von mindestens 2 Wächtern beobachtet, sicherlich in einer Zwangsjacke. In welch völlig kaputter Situation befand ich mich denn eigentlich hier?

Ich bin beeindruckt. Die kurzen Schreie, mehr laute Seufzer, irritieren mich ein wenig. Doch messe ich dem keine große Bedeutung bei. Angekündigt war ja dieser Electric Boogaloo. Und wer sich darauf einlässt, erhält dann auch, wie der wankende Mensch im Eingangsbereich mir ja bereits übermittelt hatte, „Electric Boogie“, richtig? Ich darf und kann das selbst bestimmen. Will ich hier sein? Muss ich hier sein? Will ich diese elektrische Wein-Erfahrung machen? Ja, ja und nochmals ja. Mit Blick auf meine so betörende österreichische Schönheits-Königin kann ich nicht anders, ich muss ALLE Fragen mit klarem Ja beantworten. Auch die potenzielle, ob ich mir den linken kleinen Finger abhacken würde, nur, um diese schmollenden, aufgeworfenen Wunderlippen küssen zu dürfen. Wenn die Frauen wüssten, was sie allein mit ihren Schnütchen anzurichten in der Lage sind... Was für ein Weib. Diese kühne Wucht der femininen Präsenz, umwerfend! Nicht sehr oft drängt sich der Wunsch auf, Gottes Werk zu lobpreisen. Daran ist leider der Mensch schuld. Die Schöpfung selbst mag gelungen sein, aber was der Mensch daraus gemacht hat, das muss hinterfragt werden. Hier jedoch ergab sich die große Chance, Gott auf Knien zu danken. Für dies betörend schöne Geschöpf. Ihr schien der männliche Anteil der Verkoster vollkommen verfallen zu sein.

„So kosten Sie doch bitte, der Herr!“ fordert mich die blonde Fee auf. Und also erhebe ich das Vision-Glas, im Schlauch bitzelt es ein wenig, und trinke mutig einen Schluck des köstlichen Chardonnay. Es durchfährt mich wie ein Blitz! Tschongk! Zappzerapp, Zipp, Zesch!! Selbst meine Brauen stellen sich auf! Ein lähmend heißer Schlag fährt durch meinen Körper. Ich spüre eine Gänsehaut, wie ich sie wohl noch nie zuvor hatte. Die Wogen durchpflügen meinen Körper, die Hände vibrieren, Schweißausbruch, und der Blick wird schwammig. Ich erkenne die etwa 8 - 10 Personen in der Schimmergrotte nur durch einen Schleier. Sie wirken wie Zombies auf mich... Alle mit entsetzlichen, wie bei Edward Scissorhands verunstalteten Haaren. Die Damen, ansonsten ja sehr auf Toilette und Haar-Status achtend, scheinen all das ungerührt hinzunehmen. Auch dem blonden Engel verfallen? Aber es können doch nicht alle hier lesbisch sein?! Vielleicht ist das nur diesem geheimnisvollen österreichischen Charme geschuldet? Dem Wein allein? Mein Engelein aus Kärnten. Ach herrje. Die Süße geht umher und versprüht, neben ihrem umwerfenden Charme, auch sehr viel Lavendel, denn es wird gepupst. Und nicht gerade wenig. Es wehen die Winde. Mitunter hört man ein kurzes Ploppen, dann wieder einen tiefen, beunruhigenden Ton, manchmal auch ein Stakkato-Knattern. Und alle Darmwinde stinken wirklich erbärmlich. Erzeugt das die Symbiose von Wein und Elektrizität? Heftige Darmwinde mit bestialischem Gestank, Zittern und Nasenbluten? Das Kärtner Mädel sprüht und sprüht...

Nun ja, ich hatte andere Sorgen. Die Herzrhythmus-Störungen, die Sehschwierigkeit und, vor allem, der Tremor - ich kann ihn nicht steuern. Konvulsivische Zuckungen - durch den ganzen Körper - begleiten meine weiteren Schlucke aus dem Glas. Diese Stromschläge haben es in sich. Ich spüre, dass ich aus der Nase blute. Sofort ist die Kärntner

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Kommentare

24. Apr 2020

Wie wunderbar geschrieben, sehr unterhaltsam und kurzweilig. Und ich glaube, die Uschi ist mir bekannnt. ;)
Tolle Geschichte!

Herzliche Grüße
Ella

25. Apr 2020

Stimmt, Ella - Du kennst die Uschi.
Vielen Dank für Dein Lob. Gruß von
Gherkin

28. Apr 2020

Liebster Gherkin,

es ehrt mich, wenn Du mich so nachhaltig sinnlich beschreibst, wenngleich ich persönlich einem netten Château Ausone
Saint-Émilion 1er Grand Cru Classé A 1999 vielleicht doch den Vorzug gäbe.

Alleine der sprichwörtlichen Vollmundigkeit wegen...Das Château Ausone, das wohl beste Weingut des Bordelais, dem mit diesem ganz besonderen beispiellosen Cuvée, mit dichter purpurner Farbe und einer unglaublichen Fülle an Aromen, von zarter Eiche über getrocknete Früchte bis hin zu reifen Heidel- und Brombeeren, ein ganz besonderer Tropfen gelang der auch durchaus als Wertanlage angesehen werden darf.

Ich hoffe Deine Geschmacksnerven haben sich mittlerweile regeneriert und freue mich in Deine Geschichte eingegangen zu sein.

Herzlich liebe augenzwinkernde Grüße zu Dir
vom Wienermädel

30. Apr 2020

Einen freundlichen Gruß entbiete ich, liebreizende Uschi,
hast wohl Ella erst mal vorgeschickt, was? Den von Dir
beschriebenen Wein könnte ich mir nicht mal leisten,
wenn ich 3 Jahre drauf sparen würde. Exzellent. Dass
Du die Scham überwunden hast, und Dich zu Deiner
Geschichte äußerst, halte ich für mutig. Und ich muss
sagen, um Dir die Schamröte ins Gesicht zu treiben:
Doch, man kann aus der Entfernung verliebt sein. Das
Happy End bleibt uns verwehrt (der Altersunterschied),
aber sei gewiss: Mehr Huldigung als in der Aspergill-
Grotten-Story kann ich keinem Mädel zuteil werden
lassen. Ob nun Wien oder Spittal, es ist Deine Story.

Danke für die herzlichen, augenzwinkernden Grüße.

Immer der Deine, Gherkin (kann leider fast nur grotesk;
ich wünschte manchmal, ich könnte auch völlig normal)

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