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direkt vor mir. Es ist ein Cromargan „Manhattan“. Hab eben diesen auch zuhause. Edel. Wie eigentlich alles hier in der ‘Aspergill’-Grotte. Ich spucke den Wein nicht aus. Ich trinke wirklich. Leider kann ich die Herren Purgatori nirgends ausmachen. Es gibt nur diese Uschi, sonst ist keiner von der Firma anwesend. Ich trinke einen letzten Schluck Batonnage, dann zerplatzen kleine rote Schaumkügelchen vor meinem geistigen Auge. Ich wanke, es dreht sich um mich herum. Diese Stromschläge bekommen mir gar nicht gut. Meine Arme sind schwer wie Blei, die Lider zucken, meine Lippen bewegen sich, ohne eine Art von Laut hervorzubringen. Aber bei jedem Schluck ächze ich, seufze ich, stöhne ich wie all die anderen Leidensgenossen an den Verkostungs-Tischchen. Wir halten aber tapfer durch. Dem Engel zuliebe. Manche auch des Weines wegen. Ich jedoch ausschließlich meines Engels zuliebe. Arhythmisch wummert mein Herz, K.K. tönt aus den 9 Boxen, das Trauerlied macht mich echt fertig. Neben dem Engel, dieser qualvoll-gnadenbringenden Strom-Folter und dem köstlichen Wein. Oh dieser Engel. Eines dieser herrlichen Weingläser zerschellt auf dem Boden. Und wieder Flatulenz! Ein lautes „Goooorff“ entfährt mir, folgerichtig antwortet der Mann am Nebentisch mit dem bekannten Gaa-haaa! Man versteht sich hier unten. Man leidet gemeinsam, hat Mitstreiter, kämpfende Weggefährten, man wird gemeinsam gefoltert. Und allen ist klar: Völlig demokratisch geht es zu! Hier gibt es für Jeden ein und dieselbe Folter. Alle bluten, stinken, zittern und ächzen.
Knuffi hat gerade wieder mal Zeit für mich, ihren verpeilten Stamm-Kunden mit den zerzausten Haaren. Nennt mich fortan Edward! „Zum krönenden Abschluss unserer Electric Boogaloo-Weinverkostung nun also das Beste vom Besten, der Herr. Empfangen Sie den König! Sie kosten nunmehr einen Spanier aus dem Jahr 2014, einen Palacios Priorat L´Ermita, dies ist der köstlichste Tropfen aus dem erlesenen Pool der Firma Purgatori und Söhne, mein Herr!“ Als mein Engel die Flasche hochhält, wie ein König seinen Erstgeborenen in die Menge hält, noch am Tage der Geburt, applaudieren wirklich alle in der Grotte. Jeder hatte sein Glas kurz abgestellt und spendete Beifall. Huldvoll nehme ich das Glas entgegen. Sie hat es anders als zuvor direkt vor meinen Augen befüllt. Ich müffele bedenklich. Wieder zieht sich ein Gewitter in meinen Gedärmen zusammen. „Darf nicht pupsen, darf nicht pupsen, nicht pupsen“, spreche ich mir selbst Mut zu. Muss an Bart Simpson denken. Warum geht mir gerade der jetzt durch den Kopf? Na, egal, ich erhalte satte Stromschläge, während ich den Spanier koste. Ein unfassbar guter Wein! Ich bin, mit glasigem Blick, einfach nur selig ob solch eines Tropfens. Dieser Álvaro Palacios ist eine Legende, es ist wirklich ein Privileg, ihn kosten zu dürfen. Noch nie hat mir ein Rotwein so sehr gemundet...
Ich nippe erneut. Man wagt solch ein Göttergetränk nicht mit ordentlichem Schluck zu beleidigen. Ambrosia pur, reines Kehlengold! Da ist leichtes Nippen ein Muss! Doch je öfter ich nippe, desto stärker die Stromschläge. Jetzt beginne ich doch tatsächlich etwas zu kokeln. Meine Schläfenhaare wirken angesengt, der Spiegel enthüllt noch ein anderes Geheimnis (das nun keines mehr ist): Exophthalmos oder auch Bulging Eyes Syndrom. Ich leide darunter. Und zwar recht heftig. Wie ein Frettchen auf Koks sieht mich mein Konterfei im grünen Nebel-Spiegel an. Weit treten meine Augen aus den Höhlen, unnatürlich geweitete Pupillen, ich mutiere wirklich und tatsächlich zum Freak. Zombie gleich halte ich mich verbissen am Verkostungstisch fest, umklammere ihn. Will... keine.... Gehirne.... essen.... Will... keine Gehirne essen....
Was für eine Tortur. Aber dieser Wein... Exzellent ist gar kein Ausdruck. Ich kann ja gar nicht anders. Muss weiter und immer weiter nippen. Schlag auf Schlag durchfährt meinen Körper. Wie lange hält der das noch aus? frage ich mich. Die Hände zittern leider so exorbitant, dass mein österreichischer Engel mir liebevoll das Vision-Glas aus meinen verkrampften Händen zwingt. Sie stellt es ab. „Für heute, werter Herr, sollten Sie es gut sein lassen...“ Sie drückt mir noch eine Visitenkarte der Weinhandlung Purgatori & Söhne in die Hand. Wie alles hier, sehr edel. 5 Farben, plus diverse Lacke, Heiß-Folienprägung, mit 3D-fühlbarem Hochglanz-Relief-Druck. Mit Foto. Nun, es sind nur 3 Söhne, das erkenne ich in der relativen Dunkelheit. Aber das ist ja auch schon was. Wieder höre ich „Gaa-haaa“, ein anderer ruft oder stöhnt „Garrgg“. Ich neige jetzt eher zu einem knappen „Giiirk“, jeder leidet eben auf seine ureigene Art. Ein letztes Nippen am ‘Spanier’, reichlich frech hatte ich das Glas noch ein letztes Mal vom Tischchen genommen, dann will ich meinem Engel Uschi dankend die Hand reichen. Abschied. Doch die Kärntnerin verweigert mir ihre wunderschöne kleine Pratzn. Dies ist meiner Unbotmäßigkeit geschuldet. Wenn Uschi den Abbruch wünscht, dann ist das Gesetz. Hätte ich mich nicht so ungebührlich und ungehorsam verhalten, hätte ich sicherlich kurz Uschis Hand ergreifen dürfen. Seufzend, aus mehreren Gründen, verabschiede ich mich also durch eine nur unbestimmte Handbewegung an die nicht vorhandene Mütze. Mit einem Herzkasperl mache ich mich so von dannen. Den endlosen Fake-Tuff-Gang entlang, die Treppe rauf, wobei mir ein fröhliches Pärchen entgegenkommt.
„Schau nur“, meint die Begleiterin belustigt, „wie spaßig dieser Mann aussieht!“ Dass ich sie hören kann, scheint der Frau nichts auszumachen. „Der hatte wohl ein Wein-Pröbchen zu viel...“ meint jovial der Gatte oder Freund oder LAG. Frage mich, woher er das wissen konnte. Dort oben deutete nichts darauf hin, dass in der Grotte eine Wein-Verkostung stattfinden sollte. Ich seufze nur laut. Sage dann, mit zitternder Stimme und mindestens ebenso zittrigen Knien: „The electric Boogie, Babe, the electric boogie... I survived the electric boogaloo!“ Danach schwanke ich zurück auf die Straße. Meiner Treu, es riecht sogar hier oben verbrannt. Ich brauche dringend eine Dusche - und einen Kardiologen! Eine ganz besondere Erfahrung, wie vielleicht die, in der neuen Holz-Achterbahn Colossos 2019 im Heide Park Resort zu sitzen. Man muss nur mutig genug sein, echt verwegen und tapfer, dann schafft man diese Herausforderung. Sicher, diese Weinprobe unter Strom ist, für jeden, gewöhnungsbedürftig. Vielleicht sind Purgatori und die drei Söhne des Altvorderen ja Sadisten?! Und ich ein Masochist? Und wusste bislang nichts davon? Wer weiß das schon.
Electric experience, mal was anderes. Wein und Strom, das passt eigentlich nicht so recht zusammen. Aber ich musste es ja dennoch versuchen. Für alle, die diese Erfahrung unbedingt ihrem Erlebnisschatz hinzufügen wollen: Hülsenfrüchte, mexikanisches Essen, Fastfood aller Art und Knoblauch-Wurst sind vor der elektrischen Wein-Verkostung verboten!
Ich schaue im Tageslicht auf die Visitenkarte. Nein, Engel Uschi ist nicht mit auf dem Foto. Schade. Mir entfährt ein donnerndes Stakkato an Fürzen. Die stinken sehr schlimm, sind kaum zu ertragen. Rasch wanke ich weiter. Viele hochgezogene Augenbrauen. Eine ältere Frau schimpft: „Am helllichten Tag, Sie präsentieren sich in solch einem Zustand der Öffentlichkeit? Dass Sie sich nicht schämen!“ Und, wirklich, nein, ich schäme mich nicht. Ich weigere mich, mich zu schämen. Und ich darf, ´dammich eins, stinken. Ich darf das! Wer die Aspergill-Grotte überlebt hat, der hat alles Recht der Welt, ganz jämmerlich stinkend nach Hause zu schwanken, mit völlig zerzausten Haaren und einem Herzkaspar. Taumelnd murmele ich noch: "Uschi". Wenn ich solch eine Repräsentantin habe, lieber Herr Etzwald Purgatori, dann würde ich die unbedingt mit auf das Foto packen. Aber vielleicht ist ja Frau Purgatori strikt dagegen gewesen.
Im Ablauf aller Zeitenströme, in allen Universen, in sämtlichen Parallel-Universen und in allen Galaxien des Alls gibt es vielleicht irgendwo einen Ort, an dem gerade jetzt in unnachahmlicher Art und Weise ein mittel- bis leicht dunkelblonder österreichischer Engel einem nichts ahnenden Verkostungswilligen ein edles Glas reicht, mit obligatorisch-bekannt-unheilvollem dünnem Schlauch darin, und säuselt: „Trinken Sie, werter Herr, werte Dame, kosten Sie, so a kloans Schlagerl wird Eahna net glei umbringa, gölt??“
Wir Menschen sind schon sehr seltsam und befremdlich. Was wir uns alles antun, es ist kaum zu fassen. Wir essen Kohlrabi, Sauerkraut oder Sülze. Mögen wir das? Es scheint so. Wie sonst ist es zu erklären, dass Menschen bewusst Lakritze, Innereien oder stinkenden Schimmelkäse in sich hinein stopfen? Betrachtet man all das, ist es vielleicht nicht weiter verwunderlich, dass ich eine „Elektrische Weinverkostung“ den Erfahrungen meines Lebens hinzufügen durfte. Herausforderungen haben mich schon immer sehr gereizt. Vielleicht hätte ich auf gerade diese verzichten sollen. Denn...
Am 31. Januar 1994, ihrem wohl 83. Geburtstag, hat die berühmte bulgarische Seherin Baba Wanga (Großmutter Wanga oder auch „Die alte Wanga“), nahe Petritsch, im Gebiet Rupite, geweissagt: „So also ein Mann mit starker Affinität zu einem grünen Gemüse einst eine steile Treppe hinab zu steigen geruht, um in einer Art >Grotte< einem Weinritual mit elektrischer Auf- und Entladung zu frönen, wird eine Epidemie namens, warten Sie, 'Naroco' urplötzlich die ganze Welt heimsuchen. Für lange Zeit werden die Weinverkostungen in engen Grotten hernach verboten sein, auch die elektrischen Weinverkostungen. Lange Zeit wird das Naroco wüten, Menschenleben kosten, die Welt in Atem halten, bis ein Impfstoff entwickelt wird. Hernach ist Ruhe!“ Die Baba Wanga starb 1996. Keine 2 Wochen nach dieser geschilderten Weinprobe gab es die ersten Infizierten in Wuhan. Wir sollten der alten Seherin größtmögliche Hochachtung zukommen lassen. Wenn ein Nostradamus sich mit Namen und Daten irren konnte, dann darf Baba Wanga doch wohl auch Corona mit Naroco verwechseln, oder? Freuen wir uns doch jetzt gemeinsam auf 2025! Für dieses Jahr hat unser allwissender Nostradamus einen weltumfassenden Frieden vorhergesagt. Immerhin. Bleiben Sie gesund!
EPILOG
Somit nehme ich hiermit alle Schuld an der Corona-Krise und der Pandemie auf mich! Diese übergroße Schuld, verteilt auf nur zwei Schultern. Ich weiß nicht, wie ich dieses Schicksal schultern soll. Natürlich wusste ich nichts von der Prophezeiung der Baba Wanga. Hätte ich davon gewusst, ich wäre diese Treppe niemals hinab gestiegen. Das müssen Sie mir glauben! Ich kann nur wiederholt und sehr zerknirscht um Vergebung bitten. Meinen Schöpfer, Sie alle - und natürlich auch Uschi. Den letzten Schluck hätte ich einfach nicht mehr nehmen dürfen. Wenn eine Frau kategorisch "Nein" sagt, dann bedeutet das auch Nein. Keine Ahnung, ob Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jemals wieder etwas von mir zu lesen wünschen. Eher weniger, schätze ich mal. Wir hatten uns schon alle die Chinesen als Urheber der Pandemie (Panne im Labor?) ausgeguckt, und nun dies. Weil ich die elektrische Wein-Verkostung erleben wollte, kam die Pandemie. Mir ist das wirklich ganz enorm peinlich!
Kommentare
Wie wunderbar geschrieben, sehr unterhaltsam und kurzweilig. Und ich glaube, die Uschi ist mir bekannnt. ;)
Tolle Geschichte!
Herzliche Grüße
Ella
Stimmt, Ella - Du kennst die Uschi.
Vielen Dank für Dein Lob. Gruß von
Gherkin
Liebster Gherkin,
es ehrt mich, wenn Du mich so nachhaltig sinnlich beschreibst, wenngleich ich persönlich einem netten Château Ausone
Saint-Émilion 1er Grand Cru Classé A 1999 vielleicht doch den Vorzug gäbe.
Alleine der sprichwörtlichen Vollmundigkeit wegen...Das Château Ausone, das wohl beste Weingut des Bordelais, dem mit diesem ganz besonderen beispiellosen Cuvée, mit dichter purpurner Farbe und einer unglaublichen Fülle an Aromen, von zarter Eiche über getrocknete Früchte bis hin zu reifen Heidel- und Brombeeren, ein ganz besonderer Tropfen gelang der auch durchaus als Wertanlage angesehen werden darf.
Ich hoffe Deine Geschmacksnerven haben sich mittlerweile regeneriert und freue mich in Deine Geschichte eingegangen zu sein.
Herzlich liebe augenzwinkernde Grüße zu Dir
vom Wienermädel
Einen freundlichen Gruß entbiete ich, liebreizende Uschi,
hast wohl Ella erst mal vorgeschickt, was? Den von Dir
beschriebenen Wein könnte ich mir nicht mal leisten,
wenn ich 3 Jahre drauf sparen würde. Exzellent. Dass
Du die Scham überwunden hast, und Dich zu Deiner
Geschichte äußerst, halte ich für mutig. Und ich muss
sagen, um Dir die Schamröte ins Gesicht zu treiben:
Doch, man kann aus der Entfernung verliebt sein. Das
Happy End bleibt uns verwehrt (der Altersunterschied),
aber sei gewiss: Mehr Huldigung als in der Aspergill-
Grotten-Story kann ich keinem Mädel zuteil werden
lassen. Ob nun Wien oder Spittal, es ist Deine Story.
Danke für die herzlichen, augenzwinkernden Grüße.
Immer der Deine, Gherkin (kann leider fast nur grotesk;
ich wünschte manchmal, ich könnte auch völlig normal)
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