Der große Sockenkönig

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Eine Parabel wider Ausgrenzung, wider Rassismus, Xenophobie, Diskriminierung, gegen Vorurteile und gegen alle Formen von Desavouierung!

Guten Tag, mein Name ist Chris. Ich bin eine Socke. Und zwar eine arme Socke. Sie glauben also, Sie führen ein erbärmliches Leben? Dann hören Sie sich DAS mal an:

Mein Besitzer ist vermögend, er lebt allein in einem sehr großen, luxuriösen Anwesen und er hat einen eigenen Schrank für uns alle, die wir aus der Familie ‘Herrensocken’ das mehr oder weniger eintönige Dasein zu fristen haben. Nie weiß man, wann der große Einsatz kommt. Nie kann man sicher sein: Heute bin ich aber mal dran. Heute. Vielleicht? Es kommt immer darauf an. Sport, Vergnügen, groß Ausgehen, big Party, Büro, ein gemütliches Zuhause bleiben ohne Schuhwerk an den Füßen, ein wenig TV gucken, eben nur mit Socken bekleidet, oder welcher Anlass auch immer gegeben sein mochte. Stets muss eine andere, passende Socke dazu her. Der Besitzer hat Stil. Dies zeigt sich auch in seiner Fußbekleidung. Na ja, meistens.

Es gibt sehr viele von uns. Unterschiedlichster Herkunft. Wie auch bei den Menschen gibt es bei uns Vorurteile, Ressentiments, Revierkämpfe, Hierarchie-Gerangel, etwas Hass und Feindschaft, und, ja, auch Eifersucht. Ich bin die edelste Socke überhaupt, in diesem Schrank, mit all den anderen - von Tommy Hilfiger, Hugo Boss, Walbusch, Tchibo und Easton Marlowe. Es gibt gut und gerne 60 Paar Socken im Komplex. Und es herrscht Konkurrenz-Neid ohne Ende. Täglich Zoff. Wir kommen einfach nicht klar miteinander. Zu unterschiedlich sind wir alle. Überlegen Sie doch mal bitte: Über 120 Socken, auf engem Raum, einige davon müffeln bedenklich. Ist denn da der Konflikt vorprogrammiert, frage ich Sie? Ja, ist er, antworten Sie. Und Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen mit dieser Ihrer Meinung.

Vor allem zwischen Tommy- und Hugo-Socken tobt der Krieg. Beide meinen, die Nr. 2 für sich beanspruchen zu dürfen. Dass ich die Königs-Socke bin, wird hier niemals auch nur im Ansatz bestritten. Gestatten, ich bin DIE Christian Dior Socke, aus technischer Baumwolle, in Weiß mit DIOR X KAWS Bienenstickerei (Sie wissen schon, von Brian Donnelly gestaltet, dem Pop-Art-Künstler und Designer, der sich KAWS nennt und in New York lebt; er hat diese Companion-Gesichter kreiert, die mit den durchkreuzten Augen), Strickbündchen oben, 76 % Baumwolle, 21 % Polyamid, wofür ich mich sehr schäme, und drei % Elasthan. Ich wurde in Italien hergestellt, koste immerhin 240 Euro. Und auf der Außenseite prangt jeweils die berühmte Biene von Brian Donnelly. Daher wohl auch der exorbitant hohe Preis. Das Material allein kann´s unmöglich sein. Ach ja, auch der Name CD mag eine Rolle spielen. Bei denen ist ja alles teuer. Sogar die Schnürsenkel gibt es nicht unter 20 Euro. Übrigens, am Rande bemerkt, wissen Sie denn, wie das kleine Stück Plastik am Ende eines Schnürsenkels heißt? Nein? Es heißt „Nadel“. Sollte das Ende Metall umhüllt sein, dann sagt man dazu „Pinke“. Mit diesem fundamentalen Wissen sollten Sie jetzt mächtig vor Ihren Freunden angeben können. Und Sie haben ein Gesprächsthema auch für die langweiligsten Party-Nächte. Kein Dank!

Der durchkreuzten Augen wegen nennen mich alle, despektierlich, Dead Bee. Meine Wut darüber ist gewaltig. Wer möchte schon, mit Spitznamen, „Tote Biene“ heißen? Eben. Die anderen nennen mich nur dann so, wenn ich nicht zugegen, ergo an den Füßen meines Besitzers unterwegs bin. Übrigens bin ich die einzige CD Socke hier im Schrank. Und diese Ausnahme-Situation befähigt, versetzt mich in die Lage, den König des Sockenschrankes zu geben. Denn alle anderen sind quasi im Dutzend im Schrank. Ich bin ein Solo Paar Socken. Der unumstrittene Herrscher hier! Nahezu absolutistisch!

Nase rümpfen ist unser täglich Brot. Denn es stinkt gewaltig hier im Feucht-Biotop. Daran schuld bin ich und die Freizeitsocken von Penny, in schwarz, der 20er Pack zum unschlagbaren Preis von nur 10 Euro. Die anderen rund vierzig Paar müffeln im vertretbaren Bereich. Aber gerade ich, und auch die Penny-Socken, wir stinken so sehr, dass es schon nicht mehr reicht, die Nase zu rümpfen, nein, man muss sich das Riechorgan regelrecht verkleben und durch den Mund atmen lernen.

Klaglos ist das nicht hinzunehmen. Auf gar keinen Fall.

Warum wir stinken? Weil unser Besitzer ganz entsetzlich qualmende Schweiß-Füße hat. Wenn Sie sich in Ihren wohl kühnsten Träumen einen ganz infernalischen, echt bestialisch brutalen Höllen-Gestank auszumalen imstande sind, dann verfünffachen Sie diesen Geruch noch, multiplizieren ihn mit 6 - und haben, annähernd, das Odeur, welches ich hier verzagt zu beschreiben suche. Meine lieben Eltern hatten mich noch gewarnt, bevor es auf die Reise nach Schöllkrippen, in Deutschland, ging. „Bambino“, sagten sie, „Figlio, sei heute, zum Abschied, gewarnt. Es gibt Gefahren da draußen, derer du dich zu erwehren hast. Halte vor allem Ausschau nach den schlimmsten  Schweißfußbesitzern, denn die sind die gefährlichsten für dich, der du nunmehr ins Leben zu treten bereit scheinst. Pass auf dich auf. Und wir alle hoffen, die wir hier in Italien zurück bleiben müssen, dass du keinen Besitzer mit solch bösen Stinkefüßen bekommst. Wir wünschen dir wunderschöne, schlanke, gut gepflegte, mit Pediküre nahezu luxuriös verwöhnte Füße eines sehr jungen Mannes, der sehr reich ist, nur in edelstem Schuhwerk zu wandeln weiß, und darüber hinaus auch noch die Sorgfalt und Pflege an den Tag legt, die Wäsche betreffend, die wir alle uns sehnlichst für dich, Ragazzino assassino, wünschen.“ Tapfer kämpfte meine liebe Madre mit den Tränen, gab mir noch einen Kuss und sagte zum Abschied: „Mach uns bitte keinen Kummer. Bleibe loyal und stets zuversichtlich. Gib alles! Wir lieben dich sehr, Kind! Nun tritt ein in die große, weite Welt, in hoffentlich guten Schuhen und an schönen, gesunden, niemals riechenden Füßen! Ciao!“

So jung dem Elternhaus entrissen, wurde ich auf dem Postweg versandt. Und kam also in das riesige Anwesen des schwerreichen Morris Arkadius W. Zaltzberg, nach Schöllkrippen. Nähe Aschaffenburg. Dort wohnt mein Besitzer in einem feudalen Herrenhaus. Wenn weibliche Gäste kommen, bemerken diese natürlich sofort den Sockenschrank. Das ist schon ein Hingucker, im Stile eines chinesischen Hochzeit-Schrankes gehalten.

Mein reicher Besitzer selbst sorgt im Schrank für eine klar strukturierte Hierarchie. Es gibt drei große Fächer. Ganz oben bin ich mit meinem Bruder, dort throne ich quasi über die anderen.

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