Andere shoppen bei GUCCI, ARMANI, ESCADA und wie sie alle heißen, ich bei TCHIBO, SEGAFREDO und MÖVENPICK. Kleider machen Leute, sagt man. Mich hat Kaffee zweifellos zum besseren Menschen gemacht, schon allein wegen seiner siebenundzwanzig Aromen. Dank Koffein bin ich kommunikativer, genussfreudiger und genießbarer, vielleicht auch etwas schöner. Doch dafür müsste ich kalten Kaffee trinken, wie es im Volksmund heißt. Er war keine Jugendliebe. Meine Liebe zum Koffein ist ungewöhnlich und begann mit schwarzem Tee, der mehr Koffein enthält als Kaffee, wie Kenner behaupten. Durch den Gerbstoff Tannin wirkt Tee langzeitig stärker auf Herz und Kreislauf. Ostfriesen, Engländer, asiatische Völker, um nur einige Tee-Liebhaber zu erwähnen, wissen, warum sie Tee dem Kaffee vorziehen.
In Kasachstan, wo ich geboren und aufgewachsen bin, trank man Chai. Die Kasachen tranken Kumys, Stutenmilch mit schwarzem Tee, zu jeder Tageszeit und Wetterlage. Teetrinken war wie das Verdünnen von Essen, ein gemeinschaftlicher Brauch während der Unterhaltung am Tisch. Von Kasachen lernte ich, dass man Durst bei Hitze nie mit kalten Getränken stillen sollte. Nur ein Kasache beherrscht perfekt die Zubereitung des Chai. Auf die Sorte kommt es an. Der Ceylon-Tee, teurer als der georgische, war schmackhafter und beliebter. In die Piala, ein Porzellanschälchen, wurde heiße Milch gegossen, auf keinen Fall zu viel, dann eine exakte Menge aufgebrühten Tees, um einen bestimmten Farbton zu erlangen, zuletzt zwei Drittel sprudelnd kochendes Wasser, meist aus dem Samowar, Farbe und Geschmack zu erzielen, war eine Kunst. Der Geheimtipp eines Kasachen auf dem Sterbebett lautet: „Geize nicht mit Chai!“
In meinem Elternhaus gab es diesen Brauch nicht, der Tee schmeckte anders als bei Kasachen, die von früh bis spät Tee tranken. Wir tranken ihn ohne Milch mit Konfitüre oder Zitrone zum Gebäck. Mutter bereitete Kompott aus Trockenfrüchten, dazu gab es Limonade, Kwass, aber nie Kaffee. Das sollte sich ändern, nachdem meine Eltern Vaters Geschwister in der DDR besuchten. Nach ihrem dreimonatigem Aufenthalt brachten sie außer der Bewunderung für die Pünktlichkeit von Zügen und Bussen und die gefüllten Regale im Konsum, auch den Brauch des Kaffeetrinkens mit. So kam ich in Berührung mit Kaffee, es war sozusagen Liebe auf den ersten Schluck, die nach meinem ersten Besuch bei den Verwandten in der DDR noch zunahm. Nicht nur wegen des Westkaffees, aufgebrüht von einer Kaffeemaschine, sondern weil er auf besonders liebevolle Art und Weise serviert wurde. Bis heute schmeckt mir Kaffee am Biertisch nicht so gut wie an einem gedeckten Kaffeetisch mit Kerzen und Blumen. Mich beeindruckte der Brauch, um fünfzehn Uhr gemeinsam mit meiner großen Familie Kaffee zu trinken. Die Sitte wurde auch ohne Gäste eingehalten: Kerze, Blumenvase, Servietten und Geschirr waren aufeinander abgestimmt, alles passte. Ich war tief beeindruckt.
In einer russischen Zeitung las ich einen Artikel über die freundschaftlichen Besuche sowjetischer und deutscher Soldaten im Schützengraben. Als die sowjetischen Soldaten die kleinen Tische mit den weißen Deckchen und Tassen entdeckten, fragten sie erstaunt, wozu das denn im Schützengraben gut sein sollte. „Wir möchten es schön haben.“, antworten die Deutschen. Die Sowjetsoldaten waren fassungslos.
Als ich in die BRD übersiedelte, nach Berlin, symbolisierte Kaffeeduft für mich den Wohlgeruch der neuen Heimat. Der Duft frisch gemahlenen Kaffees vom Café gegenüber tröstete mich Migrantin in den ersten Tagen und Monaten, vertrieb den Geruch der Steppenluft. Eine Tasse dieses aromatischen Getränks bewirkte Wunder. Ich ließ die Flüssigkeit auf der Zunge zergehen, schon sah die Welt anders aus: zivilisiert, angenehm, farbig und sinnvoll. Ich fühlte mich wohl! Mein Verlangen nach Kaffee und Konsum nahm zu. Auch auf der Arbeit tranken Kollegen meist Kaffee. Eine Tasse des heißen Getränks gab mir neue Energie, weckte Ideen. Als ich in Rente ging, fielen die Kaffeerunden mit Kollegen weg, an ihre Stelle trat das Café-Shopping. Kaffee trinke ich morgens, zwischendurch, ab und zu auch abends. Inzwischen ist der Kaffee wohl zu meiner Hauptmahlzeit geworden. Ich wache mit dem Gedanken auf, welchen Kaffee und wo ich ihn heute trinken werde. Allein der Gedanke an das Gemisch aus Kaffee, Sahne und süßem Korn macht mich glücklich. Gern stöbere ich in Kiez-Cafés und in der Stadt. Ich habe Lieblingsorte und Lieblingssorten, probiere trendigen Latte-Macchiato oder Espresso-Macchiato. Mit allen Sinnen genieße ich die Kaffeeröstung in den Cafés. Bin ich süchtig? Meine Affinität zum Kaffee nenne ich Magie. Dieses göttliche Getränk erweckt in mir den siebten Sinn. Ich verfalle dem Beobachten von Kaffeetrinkern und schreibe. Die Gäste in Cafés sind hemmungslos laut. Sie kümmern sich nicht die Bohne darum, ob ihnen jemand zuhört, reden, streiten, telefonieren. Als ungewollte Zuhörerin, greife ich Gesprächsfetzen auf, notiere Dialoge, Selbstgespräche, Telefon-Monologe, Heiteres, Unflätiges und Trauriges – Stift und Papier habe ich immer dabei. Bereichert vom Café-Shopping komme ich nach Hause. Der göttliche Trank regt mich wie ein Musenkuss schöpferisch an. Ich verwandele Stichworte, Skizzen in kurze Geschichten. Und wieder und wieder zieht es mich zum Café-Shopping. Wo sonst könnten solche facettenreichen, lebensnahen Geschichten entstehen? Das verdanke ich dem Aroma der betörenden Kaffeebohne.
Duftigen Gruß,
Ihre KaffeeFEE
Kommentare
Bei Krause hat seit Jahren schon
Die Bier-statt-Kaffee-Pause Tradition ...
LG Axel
Na, das dachte ich mir,
Grüße auch an Krause! Lena
Sehr gerne gelesen.
HG Olaf
Herzlichen Dank, Ola!
Grüße, Lena