Die Gewässer des Lebens

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von Alf Glocker

Sie sind eigentlich unbefahrbar: die Gewässer des Lebens. Eine sinnvolle Navigation zwischen Halluzinationen, überraschenden Realitäten und Vorspiegelungen ist beinahe unmöglich. Dabei begegnen uns überall Untiefen oder Klippen. Eine Havarie ist praktisch andauernd zu erwarten. Lotsen gibt es tausende, Millionen, doch genau genommen handelt sich dabei um Seeräuber, die unser Schiffchen nur leiten wollen um es zu verleiten, denn so wenig wir auch besitzen, wir haben immer genug um geentert zu werden.

So steht uns nur noch die „Vernunft“ zur Verfügung. Ein weites Feld, dessen Horizont der Sextant bestimmt den wir zur Verfügung haben um unseren Kreis zu vermessen den wir befahren können. Oft ist er nicht groß, denn die Vernunft hat etwas mit Logik, mit bewusstem Denken zu tun. Doch das findet meistens keinen Halt, verirrt sich in Fjorden, orientiert sich an Sternen – auch dort wo gar keine sind.

Außerhalb von Schulheften und Versuchsreihen, wo der Überlebenskampf in der Brandung tobt ist dieses Denken zwar erwünscht, bei genauem Hinsehen aber schier unbrauchbar. Es orientiert sich an den Leuchttürmen der Weisheit, deren rotierendes Licht viel zu oft in die Nebel der Epochen gehüllt ist. Einen gewissen Wert erhält dieses Denken nur, wenn man das Glück der Listigen berücksichtigt, deren negative Grundhaltung im Rahmen eines unkontrollierbaren Schicksals gewisse Erfolge zeitigt. Dies tut es jedoch auch nur deshalb, weil das Unkontrollierbare Unkontrollierbares als Baustein für eine absurde Zukunftsgestaltung bevorzugt.

Als allein tauglichen Lotsen haben wir folglich nur die Intuition. Wenn sie gut ist mag es uns bisweilen gelingen, den einen oder anderen Anschlag zu vermeiden (Jolly Roger in Sicht – Kursänderung!), doch meist lernt das Schwarze Teilchenmeer mit. Es ist uns fast immer einen Schritt voraus und je intelligenter du bist, desto ausgefeilter werden seine Attacken, je sensibler du reagierst, desto mehr fordert es deine Geduld. „Jedem das Seine“, so lautet die Devise und gerade deswegen fällt es uns manchmal auch so leicht zu kapieren, warum absolute Nullen ein gerüttelt Maß an glückbringenden Zufällen vorweisen können. Ganz einfach: sie sind zu nichts anderem zu gebrauchen!

„Die Götter müssen verrückt sein“. Etwas Stimmigeres kann einem wahrhaft denkenden Individuum kaum einfallen wenn es das System universeller Logik überprüft. Verrückt und gefährlich! Doch wir segeln in das Mondlicht und wir singen in der Nacht. Unsere Melodien schaukeln uns auf den Wellen der Freude: wir sind in der Geborgenheit dieses lebendigen Zirkus einsam. Das Planungsverhalten der sogenannten „Vorsehung“ kann, dessen ungeachtet, auf jeden Verstand nur unlogisch wirken…
darin liegt die Romantik einer Tristesse, die der Mantel der Hoffnung bedeckt. Leider resultieren aus dieser Tristesse auch die durchaus berechtigten Zweifel an allem Verstand! Aus der Nähe betrachtet ergeben Vernunft und Verstand eben kein wirklich brauchbares Gesamtkonzept im Dienste der Schöpfung. Tod, Zerstörung, Schmerzen und Gewalt, „sinnlose“ Exzesse, sowie irrwitzige Veranlagungen sind offensichtlich Grundvoraussetzungen für dieses absurde Abenteuer in dem wir uns befinden – das man nur „verstehen“ kann wenn man nichts versteht. Da kommt Freude auf!

„Konzentriere dich auf dich selbst und du verstehst alles was du sollst“. Wer diesem Wahlspruch folgt, kann sich alles, aber auch alles erklären!

Oberwelt am Saum des Flusses,
deine Nebel steigen sacht
und dein Glück ist so fragil,
wie aus der Tristesse gemacht.

Komm doch, Leben, hüll‘ mich ein,
ich bin Kind und will es bleiben.
Wenn ich etwas vor mir sehe
muss ich meine Scherze treiben.

Kann nicht glauben: Horrornächte
spielen sich am Tage ab –
ach, ich möchte mich verlieben,
weil ich das sehr nötig hab.

Wellenkämme tragen mich
durch die Zeit aus fremdem Eis.
Bin ich denn darin verloren? Nein,
ich weiß doch was ich weiß(?)

Hab gelernt mich zu behaupten,
bin ein Rädchen im Getriebe
und ich fühl mich doch so wohl…
weil ich den Frust beiseiteschiebe?

Gewiss, das ist keine „Vorlogik“, kein selbstbestimmtes Leben. Bei den Vertretern dieser These handelt es sich – wie bei allen anderen - um Clowns, aber sie verleiht Stolz und Schönheit, Kraft durch Freude, denn sie erspart ehrliche und tiefergehende Analysen und vor allem erspart sie uns Angst! Die Angst davor etwas auf einen Grund gehen zu müssen, der sich dunkel windet in den Gräben unterirdischer, unterseeischer Einsamkeiten. Wollen wir das verstehen? In aller Bescheidenheit: vielleicht, wenn es nicht weh tut. Doch müssen wir demgegenüber die Frechheit besitzen, den Vorgang der Erkenntnisgewinnung überzogen konsequent abzukürzen? Manche benennen ihre Furcht einfach mit dem Namen „Gott“. Damit bedeuten sie uns auf einfache Weise wie leicht man die eigenen Gedanken/Taten und den Verlauf der Geschichte erklären kann, ohne sich selbst kreative, kämpferische Gedanken machen zu müssen. Auch dies ist eine sichere Methode zur Befreiung um der allgemeinen Misere zu entgehen: alles kommt von Gott – und Gott ist gut! Warum? Weil „ich“ gut bin?

An dieser Stelle könnte man entweder einen Lachkrampf kriegen oder sich in aller Stille übergeben (nicht im Sinne von ausliefern, sondern von erbrechen)… Doch betrachten wir lieber Liebesträume, so pervers sie auch sein mögen. Sie setzen die Räder in Bewegung! Und das kommt daher, daß sie uns vor den Richterstuhl führen! Vorher haben wir auf überdimensionalen Transparenten gelesen „Liebe ist Lebenslust“. Das hat uns so in Begeisterung versetzt, daß wir das Kleingedruckte übersehen haben. Es lautet: „aber erst musst du mal beweisen wie viel du taugst“. „Sinnigerweise“ gerieten wir dann in den Taumel der Wettbewerbseuphorie. Wir warben, sind der Werbung erlegen, wir haben uns gestreckt und verbogen und schließlich wie Schädlinge einfach befriedigt und satt gefühlt, in diesem Garten, der voller Schneckenkorn war. Was geschah mit unseren wunderbaren Eigenschaften?

Wir wurden zu Opfern unserer selbst. „Immergerne“ hörten wir den Trieb sagen, bevor sich der Verstand auch nur ansatzweise zu Wort melden konnte. Dies geschah im Sinne der höchsten Weisheit! Niemand ist unfehlbar, doch auf die Fehler anderer mit Hilfe der eigenen hereinzufallen ermöglicht es uns neu, ganz andere zu machen. Das Würfelspiel der Wahrscheinlichkeit beginnt. Längst hat der Instinkt übernommen was die „Reine Liebe“ begann. Und endlich ist es uns klar geworden, was sich hier abspielt – außer uns kann uns schlichtweg nichts klar werden.

Wir sind hier, um einfach nur mit zu spielen. In den Malstrom der überschwänglichen Gefühle geraten, sehen wir uns effizient weiter verwendet als Vollzugsbeamte des Schreckens, der Unzeit, die keine Gnade kennt, zu ausrangierten Romeos und Julias geworden, zu willigen Müttern, braven Vätern, Ehefrauen und Männern, denen es nur unter Aufbietung allergrößter Toleranz gelingen will Entwicklungen noch vorrangig positiv zu bewerten. Wir gehen die Pfade des Friedens, schwenken Palmblätter, beten in Gethsemane um Erlösung von all unseren Übeln. Wir ertappen uns auch noch dabei dies als wichtig für uns anzusehen.

Das beginnende Alter sitzt uns im Nacken. Wehe dem, der sich jetzt nicht auf etwas hinausreden kann. Das Leben ist erfüllt! Wir haben getan was wir konnten, zumindest was wir zu können glaubten. ( Das haben wir mit allen Generationen vor uns gemein.) Wir sind mit aller Gewalt zufrieden. Dies sei gebimmelt und gepfiffen! Denn, sind wir es nicht, dann sind wir in großer Gefahr. Entweder es gelingt uns nicht längerfristig gesund zu bleiben – solange bis das Urteil vollstreckt wird – oder irgendjemand da draußen, ganz weit hinter dem 4-D-Schauspiel des Seins beobachtet missmutig was wir so denken und stellt uns adäquate Fallen. Segnen wir also den Sturm über den Ozeanen der Vergänglichkeit. Erinnern wir uns: wer blöd ist, der hat’s gut, er kann besitzen was er will, es bringt ihm einfach nichts! Darauf kommt’s an! Wer nach höherer Einsicht, höherem Nutzen strebt, der macht auf sich in der Weise aufmerksam, daß er „verwendbar“ ist. Aus dem ist noch was herauszuholen. Das gilt für jedes Alter! Er muss/darf sich über seine Kraft hinaus anstrengen, darf/muss beitragen was er nur kann oder schon nicht mehr kann, denn das Gesamtwerk benötigt alles Erdenkliche.

Wie weit ist der Einzelne bereit sich ausbeuten zu lassen? – Alles für die Entstehung von Ausbeutbarem! Und wer weint heiße Tränen um uns wenn wir gestorben sind? Der Teufel kann uns auch nicht mehr helfen wenn wir versagt haben. Wir waren Spielzeuge Gottes, aber wir waren uns eben selber nicht treu. Darum: gib alles, versteh was du auch immer vermagst, versteh indes niemals so viel, daß dir Zweifel am Sinn des Ganzen kommen. Nur so bist du geduldet auf der Bühne des Lebens, doch werde um des (Verstandes-)Himmels Willen kein Jäger der Ohnmacht.

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