Der verspielte Gott

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von Alf Glocker

Wer auch immer herrscht im Universum, oder nicht dort herrscht, weil es ihn gar nicht gibt, der ist auf jeden Fall ungeheuer verspielt. Sein Spiel, das gar nicht existiert, weil der Herrschende nicht existiert, ist aber immer sehr verantwortungsvoll, weil es, im Sinne eines wohlwollenden Schicksals, das es selbstverständlich ebenfalls gar nicht gibt, die beste Zukunft im Irgendwann für eine Menschheit anstrebt, oder auch nicht anstrebt. Aber, kommen wir wieder zum Ausgangspunkt zurück: wir spüren diesen Spieltrieb ganz deutlich – wir spüren ihm nach, völlig zwanglos und durchdrungen vom Humor einer höheren Macht, die wir in uns tragen, wer immer sie ist oder auch nicht ist.

Jener höheren Macht unterstellen wir jetzt einmal respektlos, einen kleinen Weltkrieg, zum Wohle einer irgendwann existierenden oder nicht existierenden Menschheit vom Zaun brechen zu wollen. Was braucht die höhere Macht nun dafür? Wir schlagen ihr vor, sie brauche einige absolut naive Kaiser, Präsidenten, oder sonstige Steuermänner, für ein zum Sinken vorgesehenes Schiff. Die höhere Macht nimmt den Vorschlag, nicht dankend an, besteht aber darauf, auch noch geistig behinderte Generäle und den Zufall mit einbeziehen zu dürfen. Wir wiederum bitten uns aus, alles möge so raffiniert vonstattengehen, daß niemand die wahren Hintergründe begreifen kann.

Alle willigen ein und das Spiel beginnt. Die erste wichtige Spielfigur tritt auf den Plan! Nennen wir sie einfach mal Erzherzog Franz Ferdinand von, sagen wir mal „Österreich“ und geben wir ihr den Titel „Thronfolger“. Der betreffenden Person geben wir den Wunsch ein, unbedingt nach Serbien fahren zu wollen, wo sie die Leute nicht besonders mögen. Noch sind wir uns mit der höheren Macht nicht einig, ob man das, mit aller Gewalt noch als „vernünftig“ bezeichnen kann. Dann aber reißt die höhere Macht das Spiel an sich – mit dem Hinweis darauf, daß sowieso alles seines ist, was hier gespielt wird.

Weitere Akteure kommen hinzu! 2 Attentäter aus dem einfachen Volk, die so einfach sind, daß sie kaum können was sie wollen. Aber etwas anderes ist anscheinend nicht aufzutreiben. Der 1. schleicht sich in die Menge, als sich der Konvoi des Thronfolgers nähert. Der Einfachheit seines Geistes zufolge und wohl auch seiner angeborenen Ungeschicklichkeit wegen, wirft er die mitgebrachte, kleine Kugelbombe auf eines der Autos, natürlich auf das falsche, und verletzt dabei nicht gemeinte Personen schwer. Niemand kann etwas dafür, denn keiner hatte zu diesem Zeitpunkt Schuld auf sich geladen. Der Thronfolger nicht, weil er nur ein harmoniesüchtiger Träumer war und die Verletzten nicht, weil es sich bei ihnen eben nicht um den Thronfolger handelte.

Dessen ungeachtet widmet sich der noch einmal davongekommene Möchtegernkaiser seinen offiziellen Aufgaben, denn Ordnung muss schließlich sein. Und weil nicht nur sie sein muss, sondern in jeder Lage des Lebens auch Anstand für einen kommenden Monarchen sowieso geboten ist, entschließt sich Franz Ferdinand, die Verletzten, noch am selben Tag im Krankenhaus zu besuchen. Das aber ist der höheren Macht entschieden zu langweilig und sie entschließt sich, mehr Kapriolen in das Spiel einzubauen. Kuriose Verwicklungen müssen her, sonst können sich seine Kinder später alles logisch erklären.

Deshalb wird jetzt das ganze vorgesehene Protokoll durcheinander gebracht. Die üblichen Routen werden verworfen und man erklärt den Fahrern des Konvois, durch welche Straßen es zum Krankenhaus geht. Um das Spiel aber noch amüsanter zu gestalten, wird nun ein 2. Attentäter hinzugezogen, der mehr oder weniger ziellos in der Stadt herumrennt. Die mathematische Wahrscheinlichkeit für ihn, so auf den Thronfolger zu treffen und ihn töten zu können ist 1 : 1 000 000, denn beide Spielfiguren irren nun, die Nadel im Heuhaufen suchend, verwirrt herum.

Ja, auch der Konvoi des Thronfolgers irrt verwirrt herum. Die Fahrer haben nämlich vergessen, wo es zum Krankenhaus geht. Aber das ist nicht weiter wichtig, obwohl, bzw. weil die höhere Macht sich jetzt nahezu outet: sie bestimmt, obwohl das an die absolute Hirnrissigkeit eines Spielverlaufs erinnert, daß die Wagenkolonne genau an der Straßenecke abbiegt, an der gerade der 2 Attentäter bereitsteht, der sein „Glück“ nicht fassen kann. Ohne die Hilfe der höheren Macht hätte er sein Opfer in 100 Jahren nicht zu Gesicht bekommen, doch nun wird es ihm, wie auf dem Silbertablett serviert.

Noch bevor sich der Thronfolger mit seinen Leuten absprechen kann, wohin es nun weitergeht, zieht der 2. Attentäter – ein sehr schlechter Schütze übrigens – eine Pistole und schießt! Sein erster Schuss geht, was sonst?! – völlig daneben und trifft die Frau des Erzherzogs in den Bauch. Die Kugel wird auch noch durch das Wagenblech abgefälscht. Auch der 2. Schuss des 2. Attentäters landet nicht dort wo er ihn hin haben möchte, im Kopf oder im Herzen des Erzherzogs, sondern in dessen Halsschlagader. Aber der Mörder hat wiederum Glück, das Spiel hat Glück, die höhere Macht hat natürlich keines, denn sie ist nie vorhanden gewesen, oder wollte es ja so haben. Das Spiel kann jedenfalls weiter gehen – sein Ausgang steht von vorneherein fest! Der Thronfolger erstickt an seinem Blut, die Gattin verblutet ebenfalls.

Jetzt, da die Anfangsspielzüge gelungen sind, während die Logik an den Haaren herbeigezogen wurde, muss „man“ sich nicht nur noch überlegen, welche von den, am Spiel beteiligten Figuren favorisiert werden, welche gewinnen, und was man dazu noch benötigt. Immerhin geht es um ein ganz großes Endresultat: viele Millionen Menschen sollen für eine gute Sache sterben – für Gott und Vaterland. Gut, daß es nur ein Spiel ist! Aalso, dieses Österreich ist mit einem weiteren mächtigen Reich verbündet, mit dem Deutschen Reich. Beide sind enorme Kontinentalmächte in Europa! Es muss daher befürchtet werden, daß ihre Figuren sich spielentscheidend auswirken. Das ist aber für den verspielten Gott viel zu langweilig. Die Folgen wären ja nur allzu klar…
Die Welt würde in zwanghafter Ruhe und übertriebener Ordnung ersaufen.

Da der nicht existierende, wahre Herrscher der Welt (im Gegensatz zum Teufel, den es tatsächlich nicht gibt), ein Schicksal erfunden hat, das ebenso wie er selbst nicht vorhanden ist, benutzt er dieses um die, ganz von selbst entstandene Welt zu narren – er schleust geistig arg minderbemittelte Generäle in den deutschen militärischen Führungsstab ein und lässt sie einen Plan schmieden. Der allen Vorgehensweisen zugrunde liegende Plan ist der sogenannte Schlieffen-Plan, der nur noch debil befolgt zu werden braucht. Alle schliefen! Er sieht, zur Freude des Herrschers der Welt vor, daß a). ein Land (Frankreich) zuerst angegriffen werden muss, mit dem man de facto, noch gar nicht im Krieg ist, damit b). ein Land, mit dem man im Krieg ist (Russland), bei freiem Rücken, bekämpft werden kann.

C). ist sozusagen das „Zuckerle“ der ganzen Angelegenheit, das den Einstieg einer Weltmacht (England) initiiert, die eigentlich gar nicht am Krieg teilnehmen möchte: Deutschland marschiert durch einen neutralen Staat auf Paris zu und brüskiert das Empire! Damit wäre dann schließlich und endlich das Zünglein an der Waage, zugunsten der vom nichtvorhandenen Herrscher geplanten, späteren Sieger verschoben worden. Und sollte dann etwas immer noch nicht reibungslos klappen wollen (Gott ist ja auch nicht immer supergeschickt), dann macht er sich durch den Kriegseintritt einer, mit England verbündeten, anderen Weltmacht (USA) eben doch unfehlbar! Die Geschichte gelingt immer, egal mit welchem Mitteln sie aufgebaut werden muss! Aber es gibt trotzdem noch weitere Schwierigkeiten!

Ganz kurz vor dem ersten Schuss, der auf den ausdrücklichen Wunsch eines vertrottelten Österreichers, des Kaisers Franz Josef erfolgt, schreibt der Deutsche Trottel, Verzeihung „Kaiser“, in letzter Minute – momentan ganz und gar unvertrottelt – an Nikolaus, den Zaren von Russland auf Englisch, in etwa: „Wollen wir, mein lieber Cousin Nicki, nicht einfach den ganzen Blödsinn lassen und nicht mobilmachen? Willy“ „Nicki“ willigt ein, wird aber in den folgenden Tagen von seinem Generalstab leidenschaftlich rundgeschwätzt, wobei ein, dem engeren Kreis um den Zaren angehörender Pazifist einen Nervenzusammenbruch erleidet. In etwa das Gleiche spielt sich in Berlin ab. „Wo kämen wir auch hin, wenn jetzt schon die Vernunft über die Zukunft entscheiden würde“, lacht das Schicksal und reibt sich seine nicht vorhandenen Hände!

Und schließlich beginnt der Hauptteil des höchst amüsanten Spieles „1. Weltkrieg“. Er ist nicht mehr aufzuhalten. Die Welt erstickt im Kanonendonner und den bis dahin größten Anstrengungen der Menschheit, einen absonderlichen Vorgang so lange wie möglich am Laufen zu halten. Der nichtvorhandene Herrscher der Welt bedient dabei den Joystick virtuos, denn er ist der Meister aller Spiele! Er kennt nicht nur ihren Ausgang, er will auch das Gute, sogar für all die harmlosen Spielfiguren, die er nun, nach Herzenslust aussortieren, oder zu Ehren kommen lassen. Er gründet Reiche und zerstört sie wie es ihm gefällt! Denn er hat alle Macht, die er braucht, um seine Fantasie in die Tat umzusetzen: in Spiele und Betrachtungsweisen.

Die näherem Hinsehen wird so mancher sagen: „Meine Güte, was für ein Schwachsinn! Gut, daß sich so etwas im wirklichen Leben, wo alles strikt auf Ursache und Wirkung beruht, gar nicht ereignen kann!“ Dann wird sich mancher den Schweiß von der Stirne wischen, weil ihn das Schaustück doch ein bisschen fasziniert hat, und er wird sich selbst zur Rückkehr in die alltägliche Disziplin auffordern. Man kann ja vor sich hin spinnen wie man will, aber der Ernst sollte schon immer noch ein bisschen gewahrt bleiben. Der Ernst könnte sein, daß wir alle in diverse Spiele und Spielchen integriert sind, es uns aber nicht eingestehen wollen, weil wir das Leben als alles andere, als wie ein Spiel empfinden! Die obige Geschichte kann demnach nur frei erfunden sein! Kurioserweise hat sie sich, das Vorhandensein eines Weltenherrschers spielerisch außer Acht gelassen, aber wirklich so zugetragen!

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