Ich sehe jeden Tag anders aus. Mein Kleiderschrank erstreckt sich über alle Stile, Funktionalitäten, Farben, Muster, Größen, Stoffe. Ebenso wie meine Wohnung. Klare Linien? Nicht erkennbar. Weit und breit.
Auf den ersten Blick nicht passend, aber in Komposition ganz okay. Bloß nicht festlegen. Erstickungsgefahr.
Mein bisheriges Leben ist eher durchwachsen. Durchzogen von sehnigen Fasern wie bei einem Stück Fleisch. Die roten, rosigen, saftigen Stücke waren meist Liebesbeziehungen. Zumindest die Anfänge. Alle endeten irgendwann in einer zähen fasrigen Sehne, die ich versuchte so schnell und präzise wie möglich herauszuschneiden um zu dem nächsten rosigen, saftigen Stück zu gelangen.
Eine Sehne zu kauen und versuchen sie zu verdauen, kam mir nie in den Sinn. Zu anstrengend, zu eklig, zu wenig lohnenswert.
Überhaupt bin ich ein Mensch, der sich ganz genau überlegt, für was es sich lohnt Energie aufzubringen. Ökonomisch wirtschaftlich sozusagen.
Oft frage ich mich, an was das liegt. Bestimmt auch wieder so ein Kindheitsding. Wie fast alles im späteren Leben. Ist meine Kindheit Schuld daran, dass ich so wenig Energie habe um sinnlose Dinge zu tun? Ich bewundere diese Menschen, die nur so sprühen vor Tatendrang und Energie. Ich bewundere sie und sie bringen mich aus dem Konzept, weil sie so ganz anders sind als ich. Ich werde oft schon müde beim zuhören.
Generell bewundere ich andere Menschen, die es sich zu bewundern lohnt. Menschen, die konsequent ihr Ding durchziehen, die konstant bleibend zufrieden Ihr Leben leben. Immer gleich. Äußerlich und innerlich stabil. Ein Leben ohne dicke Sehnen. Ich bin gegensätzlich. In allem was ich tue, denke, bin. Heute hui, morgen pfui. So bin ich. Was mich heute unsagbar glücklich macht, ist morgen nicht mehr ertragbar. Eine tägliche Flucht vor der emotionalen Nulllinie.
Was ist falsch mit mir, denke ich. Ist es vielleicht eine Verantwortungsphopie? Eine Langeweilephopie? Eine Zufriedenheitsphopie? Schwer zu sagen.
Ich meine, was soll noch kommen, bei denen, die in meinem Alter bereits alles haben, frage ich mich? Den geliebten Angetrauten, die wunderbar begabten Kinder (zeichnet sich bereits im Kindergarten ab), das architektonisch herausragend praktische Haus - mit einem Garten der das ganze Jahr über Rasencharme mit Kieselchic versprüht, die diversen fahrbaren Untersätze mit einer unterschiedlichen Anzahl an Rädern, zwei Abenteuerwellnessfamilienurlaube im Jahr - backpacking allinclusiv - alles finanziell gesichert durch den tollen Job in einem tollen Unternehmen.
Was kommt da noch? Bis zur Rente? Bis zum Tod? Außer Krankheiten und noch mehr Normalität?
Ich ertappe mich dabei, wie erhaben ich mich fühle, diese zufriedenen, konstanten Menschen um mich herum mit dieser Frage vielleicht etwas aus ihrem Konzept bringen zu können. Und im nächsten Moment beneide ich sie darum. Weil ich das alles nicht habe. Weil ich all das hätte haben können. Aber dankend abgelehnt habe.
Weil ich das alles nicht will. Ich will nicht fertig sein. Komplett. Eine plane Oberfläche, auf der solche Leute wie ich ausrutschen und auf die Fresse fliegen. Mitten in ihre Wahrheit hinein.
Aber was will ich dann, frage ich mich.?
Ich weiß es nicht. Ich will anders. Einfach anders.
Ob es besser ist? Wohl eher nicht.
Aber es ist meins.
Homogähn
von Rosalie Licht
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