Jagdsaison

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Wir sind auf der Jagd! Wir haben uns zu dritt auf den Weg gemacht, mein hormonell gesteuertes Tier, mein Gewissen und ich. Ich weiß nicht genau, ob ich mit wollte, aber ohne mich geht’s leider nicht, denn ich geb‘ dem Ganzen (m)ein Gesicht.

Mein Tier ist antriebsstark und es stellt Forderungen, mein Gewissen ist kritisch und ich selbst habe Angst, verletzt zu werden. Das ist eine hochbrisante Mischung. Was wird es diesmal wieder für Verwicklungen geben?

Ich erinnere mich noch an das peinliche letzte Mal. Mein Tier saß ganz fasziniert einer Beute gegenüber, den Blick tief in ihre Augen versenkt, so, als wolle es nicht nur die Beute, sondern, mit der Beute, auch sich selbst hypnotisieren. Mein Gewissen hatte noch eingewendet, „um Himmels Willen, sieh dir doch nur an, wie klein ihr Gehirn ist – sie redet nur Quatsch!“ Mein Tier antwortete jedoch innerlich unüberhörbar „dafür hat sie aber ganz wundervolle Brüste."

Ich wendete mich mit Schaudern ab. Was würde das Tier für Winkelzüge erwarten? Wie würden die nächsten Argumente und Forderungen der Beute lauten? Niemand anderer als ich würde schließlich dafür herhalten müssen, um sich etwas Passendes einfallen zu lassen. Ich fror und zitterte, während es meinem Tier ganz heiß wurde.

Die Beute paradierte frech in unserem Gesichtsfeld herum. Seine Angebote waren nicht mehr zu übersehen. „Du willst doch diesem Ding nicht etwa deine Erbinformationen überlassen??“, versuchte mein Gewissen verzweifelt einzuwenden. „Bedenke, wenn du was von dir in ihr zurücklässt, wird bei der Weiterverarbeitung überall *rezessiv* hinter deinen Anteilen stehen und überall *dominant* hinter ihren. Das ist ehernes Gesetz!“

„Das macht nichts“, erwiderte mein Tier, „wenn sie selbst nichts Erwähnenswertes vorzuweisen hat, wird ihr robuster Charakter hocherfreut darauf reagieren, ein sehr viel sensibleres Neues entwickeln zu dürfen."

Ich dachte, ich müsse mich gleich erbrechen, aber da hatte mein Tier auch schon nach der süßen Zunge der Beute geschnappt. Ich hatte sie jetzt im Mund. Erbrechen ging also nicht – und ich musste zugeben: zusammen mit diesem schnellgehenden Atem, der mir da entgegenschlug, wirkte das Ereignis schon sehr betörend auf mich.

Mein Gewissen hatte sich inzwischen völlig demoralisiert zurückgezogen. Es befand sich nunmehr dort, wo eigentlich ich sein wollte, im Hintergrund. Aber leider fand ich mich mitten im Geschehen! Meine Hände machten sich selbständig, sie suchten diese bestimmten Stellen am Leib des Opfers auf, das es veranlassen sollte sich vollends hinzugeben, und auf einmal war gar kein Halten mehr.

Voller Schrecken musste ich mit ansehen, mit anfühlen, wie mein Tier (oder ich?) ganz plötzlich einen vorstehenden Körperteil von sich in eine feuchte Öffnung des Opfers schob. Ich verlor das bewusste Sein. Und mein Gewissen war außer Reichweite. Nichts konnte mich mehr retten. Der Tanz ums nackte Überleben hatte mit einer Heftigkeit begonnen, die pure Freude verriet.

Ich hörte, wie aus ganz weiter, aber allernächster Entfernung, wie direkt aus meiner eigenen Seele kommend, wie in einer Trance, diese plötzlich, seit einer Ewigkeit vertraulich erscheinende Stimme ertönte. Sie zelebrierte einen Singsang unverständlicher, kryptischer und doch so sehnlichst verstandener, verständlicher Töne, dass ich zu schwindeln anfing.

Ich schwindelte mir vor, dies beabsichtig und angestrebt zu haben. Mein Tier triumphierte! Es nahm sich, was es brauchte und es fühlte sich wie ein Gott, in seinem Herrschaftsbereich. Dies war das Ziel seiner Wünsche – es definierte sich selbst, durch mich, mit ganz einfachen Worten – die sich nicht verbal ausdrücken ließen, aber in Wellen über mich kamen.

Und die schrieben mir jetzt, wie mit großen Leuchtbuchstaben, in brennenden Lettern, wie ein biblisches Zeichen, unlesbare Worte ins Gehirn. Sie lauteten: „Das ist die totale Unterwerfung des Fleisches zum Zweck der lebendigen Vereinbarung, in Ewigkeit und Augenblick! Das macht uns deutlich, woraus wir geboren sind!" Ich verstand nichts, wusste aber, es konnte nicht anders sein.

Ich hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn ich fuhr in einem atemberaubenden Karussell. Doch ich fühlte die Panik, die aufsteigen würde, wenn ich vor vollendeten Tatsachen stand. So begann ich zu weinen und alles, was ich war, bin, oder sein werde, ergoss sich in meine Zeit, der anzugehören anscheinend meine höchste Befriedigung war.

Dann war der Spuk vorbei. Ich hatte mich einem Prozess unterworfen, der signifikant für das Dasein in Raum und Zeit zu sein scheint … den offensichtlich alles Lebendige anstrebt, sich ihm unterwirft, oder ihm einfach nicht ausweichen kann … Dann, nach ein paar Tagen: schon wieder diese Besessenheit. Mein Tier sitzt, in Form meiner Wenigkeit, einem Opfer gegenüber und versucht, sich mit dessen Blick zu hypnotisieren … Ich ahne Schreckliches!!!

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