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lag. Er drückte Alfons ganz fest, dass der brummte und küsste ihn auf das weiche Bärenmäulchen. Dann legte er ihn in das Bett zurück, deckte ihn bis zu den flauschigen Ohren zu und sagte: „Oh Alfons, ich werde mich jetzt auf eine Reise begeben, die mein neuer Freund, der alte Michael, mit mir machen möchte. Ich will sehen wie es ist, wenn man nicht lernen muss und für immer klein bleibt. Ich verspreche dir, du wirst gar nicht merken, dass ich weg bin. Mika hat es versprochen. Halt die Ohren steif, Alfons.” Mika stand am Fenster und sah freundlich zu. „Wenn du fertig bist, kann es losgehen." „Ich bin bereit”, erklärte Fin. Mika begab sich in das Wohnzimmer, in dem sich eine uralte riesige Standuhr befand. Er berührte das aus poliertem Mahagoniholz bestehende Gehäuse und rief mit singender Stimme und fremdartiger Sprache einen Zauberspruch in das Zifferblatt. Alsbald entschwebte daraus ein bläulich schimmernder Schleier. Das Pendel der Uhr hörte auf zu schwingen und alles, was der sich ständig ausbreitende Schleier in sich aufnahm, hörte auf sich zu bewegen und verharrte in derselbigen Sekunde. Eine Fliege, die sich gerade auf Fins Nase setzen wollte, blieb während des Fluges stehen und verweilte bewegungslos. Der Schleier breitete sich immer weiter aus, wurde zu einer riesigen Wolke und war schon längst aus dem Fenster nach draußen gequollen und hielt die Zeit im Zaum. Nur um Mika und Fin machte die Wolke einen Bogen, so dass sie sich wie in einer Blase in ihr bewegen konnten. Nach einer halben Stunde murmelte Mika etwas und der bläuliche Schimmer verschwand.
Kein Geräusch, kein Laut war zu hören, kein Windhauch zu spüren, selbst die Schäfchenwolken am azurblauen Himmel waren bewegungslos. „Es ist vollbracht”, sagte Mika: „Der Temporaliszauber wirkt, die Zeit würde jetzt bis in alle Ewigkeit hier stehenbleiben, niemand wird altern, während das Universum hinforteilt.” Er verstaute die Pfeife wieder im Ohr, eine Weile räucherte es noch daraus und verströmte Vanillietabakgeruch. „Jetzt sind wir soweit, wir können unsere Reise beginnen." Als er das sagte, zog er einen Zauberstab aus seinem Mantel, schwang ihn kunstvoll in der Luft, und brummelte einen Spruch, während Fin ihn erwartungsvoll ansah, gespannt auf die Dinge, die wohl jetzt geschehen würden.
Aber … es geschah gar nichts … Mika hieb sich mit der flachen Hand auf die Stirn und fluchte: „Himmel, Gesäß und Nähfaden, jedes Mal das Gleiche!" Er schwang also noch einmal kunstvoll den Zauberstab, brummelte seinen Spruch und sah dabei auf seine tätowierte Hand, anscheinend hatte er beim ersten Mal wesentliche Teile seines Zauberspruches vergessen. Wäre Fin nicht so aufgeregt gewesen, hätte ihm dies wohl zu denken gegeben.
Plötzlich begann es in der Luft zu rauschen und zu pfeifen und ein Schatten senkte sich herab. Als Fin nach oben sah, bemerkte er zwischen sich und der Sonne einen Teppich, der ruhig schwebte. „Ah”, meinte Mika, „unser Taxi ist da." „Das sieht nicht wie ein Taxi aus”, erklärte Fin, „sondern eher wie ein lange nicht abgesaugter Teppich, Mama hätte gesagt, da sind bestimmt Milben drin.” „Papperlapapp”, unterbrach ihn Mika. „Das ist der Original fliegende Teppich von Aladin. Er hat ihn vor dreihundert Jahren beim Ziegenwettmelken an mich verloren. Ich finde, dafür sieht er noch sehr gut aus und den Milben macht das nichts.” Er pfiff einmal schrill und der Teppich schwebte gehorsam zum Boden herab. Mika tätschelte ihn liebevoll und der Teppich wedelte freudig mit seinen Kordeln. „Er ist wirklich ein treuer Begleiter und ich kann mich immer auf ihn verlassen. Wir haben schon viele brenzlige Situationen gemeistert.” Dabei verwies er auf einen großen Brandfleck an der Unterseite des Teppichs. „Also aufgesessen und keine Scheu, denn ein Teppich braucht kein Heu." Über diesen Reim wollte er sich fast totlachen. Sie setzten sich also auf den Teppich und Mika befahl: „nach Tohu!" Der Teppich erhob sich gehorsam in die Luft. Er stieg eine ganze Weile auf und setzte dann seinen Flug in Richtung Westen fort. Fin hielt sich an Mika fest, denn er hatte Angst, herunterzufallen. „Hab keine Angst“, sprach dieser, „der Teppich ist so von einem großen Zauberer entwickelt worden, dass nichts passieren kann. Der Teppich ist über tausend Jahre alt und hat noch nie jemanden verloren. Solltest du der Erste sein, dann wäre es eine Premiere." Fin entkrampfte sich etwas und fing an den Flug zu genießen. Der fliegende Teppich bewegte sich souverän immer weiter westwärts. „Na, Fin”, sprach Mika: „Wie findest Du diese Fortbewegungsmethode? Ich habe sie ausnahmsweise gewählt, damit wir mal etwas von der wunderschönen Landschaft Nordeuropas genießen können und weil es so schön gemütlich ist. Ich hätte natürlich auch einmal mit dem Finger schnipsen können und wir wären in Tohu. Aber das wäre ja viel zu langweilig, denn das kann ja jeder.” Fin fühlte sich inzwischen schon sehr viel wohler. Der Teppich hatte eine große Falte aufgeworfen, so das er sich anlehnen konnte. Er drehte und wendete den Kopf und konnte gar nicht genug von den Eindrücken aus der Vogelperspektive bekommen. „Mika, das ist so toll”, strahlte er: „Jeder sollte einen fliegenden Teppich haben und fliegen können, wohin er will.” Mika erklärte: „Das wird nicht möglich sein. Denn der fliegende Teppich ist ein Unikat und es kann ihn nicht noch einmal geben. Stell dir nur mal vor, jeder hätte einen. Dann wäre der Himmel voll von ihnen und das Licht der Sonne könnte nicht mehr auf die Erde strahlen, die Pflanzen könnten die Fotosynthese nicht mehr durchführen und die Welt und damit die Menschheit wären zum Tode verurteilt.” Betroffen schwieg Fin. Daran hatte er gar nicht gedacht. Ob seine Freunde, die zur Schule gingen, daran gedacht hätten? Er schob den Gedanken von sich und hörte Mika weiter zu. „Es ist von jeher ein eisernes Gesetz unter den Herstellern von Zaubergegenständen, es darf jeden Gegenstand nur ein einziges Mal geben. Sollte er verbotenerweise noch einmal hergestellt werden, verlieren er und sein Hersteller augenblicklich ihre Zauberkraft für alle Zeit. Es sei denn, ein Gegenstand wird zerstört. Dann kann man einen Antrag in siebenhundertfacher handschriftlicher Ausfertigung an die obere Zauberbehörde in Falx stellen und auf Genehmigung hoffen. Du kannst dir also vorstellen, wie oft schon ein Antrag gestellt wurde. Wie? Genau, noch nie. Lieber wird ein Zaubermittel in ähnlicher Beschaffenheit hergestellt. Nun weißt du, dass das Leben eines Zauberers auch nicht immer ganz frei von Zwängen ist. Aber meistens ist es das …. Hui …” Er gab dem Teppich einen Klaps und schon ging die Reise etwas zügiger vonstatten.
Von weitem sah man schon das Meer, gleich würden sie das Land hinter sich lassen. Es roch sehr nach Salz, Fisch und Tang. Mika rief: „Ist das nicht herrlich, frei zu sein, zu tun was immer man möchte, zaubern zu können, weil man es vermag? Ich sage dir, Fin, ohne meine Zauberschule hätten wir uns nicht kennengelernt.“ Sie ließen die Stadt Hamburg hinter sich zurück und flogen jetzt über offenem Gewässer. Die Nordsee lag grau und diesig unter ihnen. Eine Möwe setzte sich als blinder Passagier zu ihnen. Mika zauberte einen Hering nach dem anderen aus seinem Ärmel und fütterte sie. Nachdem die Möwe satt war, schloss sie die Augen und schlief ein. Fin bemerkte einen silbernen Ring an ihrem Fuß aber er sagte nichts, er hatte sich inzwischen an viel merkwürdigere Dinge gewöhnt.