Ich lief und lief vorbei an gläsernen Kuben, in einem Meer aus Stein,
und São Paulo lief mit. Licht zersplitterte an Fassaden, Häuserfronten
aus gefrorenen Wellen umgaben mich, ich irrte in einer wilden Geometrie.
Von Ferne umschlangen Favelas wie Boas das Labyrinth der Stadt.
Irgendwann auf der Avenida Paulista blieb ich stehen, die Stadt schien
grenzenlos, ihre Straßen schier endlos, alle Wege verstopft und führten
direkt zu mir. Mir begegneten Millionen Menschen aller Farben, indianische
Gesichter und Schönheiten. Welcher Gott hatte diese Megacity erträumt,
so unfassbar arm, so rätselhaft reich, so faszinierend wie frustrierend?
War sie ein vielsprachiger Traum der Favelas, aufgestiegen an ausufernden
Rändern, aus dem Rauch der Holzkohlenfeuer und Abwassergräben?
An der Metro Paraíso, mitten im bunten Babel, winkte mir Ricardo Reis zu
mit einer weißen Lilie. Unter einer Glocke aus Abgasen und Lärm zog er mich
vom Paradies zum Friedhof Consolação zwischen schattige Jacarandabäume
zu Fernando Pessoas Grab. Ich war beunruhigt. Wer erdachte hier wen?
Und was war mit mir?
See life from a distance, las ich. Dann ein Wolkenbruch, es schüttete wie aus Kübeln.
Regen mit Wasser, chuva com agua, wie die Brasilianer sagen in der Regenzeit.
Schon begann ich mich aufzulösen und dachte, es ist gut, denn wenn ich jetzt
nicht gehe, bleibe ich vielleicht für immer. São Paulo zerfloss auch und die Illusion
von Ricardo Reis.
Ich saß wieder im Café Brasileira in Lissabon. Pessoas Statue zwinkerte mir zu.
Tudo bem, hörte ich ihn murmeln. Vor mir lag eine weiße Lilie.