[…]Aber die Blume wollte einfach nicht damit aufhören, sich vorzubereiten. […]Sie wählte ihre Farben mit Bedacht. Sie kleidete sich langsam an, sie ordnete ihre Blütenblätter eins nach dem anderen. […]Und eines Morgens, gerade bei Sonnenaufgang, enthüllte sie sich. […]
Aus: Der Kleine Prinz, von Saint-Exupery, Antoine
EIN PAAR JAHRE SPÄTER: DIE ROSE AN DEN KLEINEN PRINZEN
Mein lieber kleiner Prinz,
Auf deinem Planeten hat es schon immer Blumen gegeben: Simple. Anspruchslose. Die kamen und gingen. Sie waren von der schnellen Sorte. Einfache Sommerblumen – keine Rosen. Sicher hast du auf deinen Reisen auch andere Rosen gesehen, die von morgens bis abends nichts anderes taten, als zu ruhen und sich zu putzen. Und die eine oder andere hast du bestimmt bewundert. Sie heim getragen. Sie „Dein“ genannt. Sie vermeintlich Dein gemacht! Aber sie waren nicht Dein, sie gehörten niemandem als nur sich selbst.
Mich hast du unter deinen Glassturz gestellt. Mir hast du deine Zeit geschenkt. Mich hast du mit all meinen Würzelchen und Blättern geliebt, und, oh, wie habe ich für dich geblüht.
Dann kam die Schlange auf unseren Planeten. Eines Tages waren wir einander nicht mehr das Zentrum. Es war ein schleichender Prozess, einer Schlange würdig. Früher, kleiner Prinz, nanntest du mich ›schön‹. ›Wunderschön‹ sogar. MICH, deine Rose. Dann, eines Tages, sagtest du: „Du bist schön, meine Rose. Freilich nicht so schön, wie Rosen sein können, wenn sie sich gehörig putzen … also nicht so schön wie andere deiner Art… andere, die es genauer nehmen mit der Schönheit. Die WIRKLICH schön sind. Wo man den Kopf dreht, stehenbleibt und sagt ›ach, was für eine tolle, schöne Rose.‹ - Aber doch, wenn ich dich so betrachte, dann bist du auf gewisse Weise …also auf deine Weise … irgendwie doch recht schön anzuschauen …“
Eines weiteren Tages sagtest du nur noch: „schön, dass wir uns sehen“, dann schließlich nur noch: „ES war schön.“
Ich wollte so viel für dich sein, mein kleiner Prinz. Ich blühte für dich. Schön, doch wohl nicht schön genug. Ich gab dir viel im Jahresverlauf. Meine sanften Blütenblätter. Meinen Duft. Mein stimmungserhellendes Öl. Meine Hagebutten. Doch je mehr ich dir gab, kleiner Prinz, desto weniger hast du dies zur Kenntnis genommen. Du verstummtest. Unsere alten Themen, unsere alten Freuden, unsere alten Träume: sie starben alle. Du warst so beschäftigt mit anderen Dingen. Mit Dingen außerhalb meines kleinen, ignoranten Blumen-Horizontes. Erst habe ich gehadert. Dann geweint. Dann mich beklagt. Drauf hast du mich mit harschen Worten beschnitten, kleiner Prinz. Du nahmst mir schließlich mein letztes Lächeln und beklagtest, dass es nicht mehr da wäre. Du machst dir Sorgen, sagtest du – und ließest mich weiter verkümmern.
Du hast sogar vergessen, mich unter dem Glassturz vor der Sonne zu schützen. Und nachts vor dem kalten Wind. Ich verlor meinen Glanz und du, du stelltest nur bedauernd fest, dass er nicht mehr da war.
Ich, mein kleiner Prinz, ICH bin nicht mehr da. Sieh unter meinen Glassturz, wenn du die Zeit dazu findest, dort liegt ein Zettel: Bin beim Gärtner!
©Anouk Ferez, Sept2016