Dies ist die Geschichte vom Geist Dagobert und seinem unfreiwilligen Ausflug in das Zwanzigste Jahrhundert. Eigentlich gehörte er in das Jahr 1673. Seine Behausung war ein altes, halbverfallenes Schloß, und das Ganze war eine Geschichte, die in einem schön ausgestatteten Buch aus dem Jahre 1804 zu lesen war.
Und natürlich freute sich Dagobert immer sehr, wenn ein geneigter Leser in diesem Buch blätterte und sich in seine Geschichte vertiefte.
Doch was dann eines Tages passierte, das hätte selbst Dagobert nicht in seinen schlimmsten Albträumen erwartet.
Die Ereignisse, die dazu führten, kamen ins Rollen, als dieses Buch aus dem Regal fiel. Auf der Seite 672 war Dagobert eben dabei, auf dem Wendeltreppengeländer in den Schloßkeller hinunter zu rutschen, um sich für die Geisterstunde vorzubereiten. Und genau in diesem Moment fiel das Buch auf den Boden. Dagobert verlor das Gleichgewicht und purzelte kopfüber aus der Seite 672 auf den teppichbedeckten Wohnzimmerfußboden der Familie Obentraut.
„Verdammte alte Schwarte!“ murmelte Frau Obentraut und stellte das Buch wieder an seinen Platz. Dagobert aber saß erschrocken auf dem Teppich… In die Seite 672 konnte er nicht mehr zurück, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit der Situation abzufinden, so mißlich sie auch war.
Die Uhr zeigte auf zehn, die Kinder waren in der Schule, Herr Obentraut im Büro, und Frau Obentraut nutzte die Zeit zu einer Generalreinigung der Wohnung, was erfahrungsgemäß mit einigem Aufwand verbunden ist. Für einen Geist vom Schlage Dagobert zweifellos der unpassendste Zeitpunkt zum Spuken. Er fühlte sich denn auch entsprechend unwohl. In jeder Ecke wurde er von Frau Obentrauts Besen aufgescheucht. Und als schließlich eine auf dem Boden liegende Röhre ein grauenvolles Geheul von sich gab, hätte Dagobert um ein Haar seine guten Manieren vergessen und einen lästerlichen Fluch ausgestoßen. Woher sollte er auch wissen, daß es sich bei diesem unbekannten brüllenden Gebilde um einen Staubsauger handelte.
Nun, wie dem auch sei, das Unglück nahte unaufhaltsam: Dagobert konnte zwar durch Wände gehen, aber er war doch sehr windempfindlich. Und – schwupp – hatte Frau Obentraut ihn aufgesaugt.
Nun wird niemand behaupten wollen, daß ein Staubsauger der ideale Aufenthaltsort für Geister ist. Dagobert wurde jedenfalls, im Staubbeutel angekommen, von Panik erfaßt. Wild um sich schlagend entwich er schließlich mitsamt einem halben Jahr Staub dem Ungetüm.
Das wiederum veranlaßte Frau Obentraut, sehr unfeine Worte zu gebrauchen, Worte, die der Geist Dagobert selbst in den dunkelsten Stunden seines Daseins nicht vernommen hatte. Flatternd wie ein nasses Laken im Sturm saß er auf der Zentralheizung und wünschte sich verzweifelt zurück in seinen Schloßkeller. Die Röhre auf dem Teppich brüllte nun noch lauter als zuvor und hörte erst auf, als Frau Obentraut, noch immer vor sich hin fluchend, dem Ding auf den Kopf trat.
„Huiii“ machte Dagobert in die plötzliche Stille hinein.
„Peter, Klaus, seid ihr da?“ rief Frau Obentraut in Richtung Korridor.
Keine Antwort.
Dagobert nahm sich vor, erst einmal die Klappe zu halten. Das war aber gar nicht so einfach. Der Staub saß ihm in der Nase und kitzelte ganz ekelhaft.
„Hatschi!“ tönte es aus der Heizung.
„Wo steckt ihr denn, seid doch nicht so albern!“ kam das Echo aus der Küche. Die Situation wurde langsam brenzlig, aber das nächste „Hatschi“ ging zum Glück im Gepolter der herannahenden Kinder unter.
Mäntel, Mützen, Schultaschen flogen in die Ecke:
„Tach, was gibt’s zu Mittag?“
„Grüne Bohnen.
„Igitt“
Dagobert sah seine Chance. Von Natur aus ordnungsliebend flutschte er in die Diele und hängte Mäntel und Mützen an die Garderobe.
„Habt ihr eure Sachen aufgehängt?“ erkundigte sich vorsorglich Frau Obentraut.
„Nei –jaa!“ kam die Antwort nach einem Blick auf die Garderobe.
„Na, dann kommt essen…“
„Wir haben aber gar keinen Hunger. – Was ist denn mit dem Staubsauger?“
„Der ist kaputt.“
„Prima“, freute sich Peter, „darf ich den auseinandernehmen?“
„Nein ich“, erboste sich Klaus, „Peter durfte schon die alte Waschmaschine ausschlachten!“
„Niemand nimmt was auseinander. Jetzt wird gegessen!“
Dagobert lief das Wasser im Mund zusammen, grüne Bohnen waren schon zu Lebzeiten sein Leibgericht. Aber wie drankommen, ohne aufzufallen?
„Mutti, Klaus hat gekleckert!“
„Wo denn!“ tönte Klaus beleidigt.
Nirgends, denn Dagobert hatte die Bohne schon aufgeklaubt.
„Hatschi!“ packte ihn wieder der Niesreiz.
„Hand vor den Mund!“ kam postwendend das Echo von Frau Obentraut.
„Ich habe nicht geniest!“ bemerkte Peter.
„Ich auch nicht!“ verteidigte sich Klaus.
„Einer von euch wird’s wohl gewesen sein! – Oder haben wir Gespenster?“
Der Geist Dagobert war stocksauer. Sogar der Appetit auf die Bohnen verging ihn gründlich. „Gespenst“ hatte sie ihn genannt. Ausgerechnet ihn, einen ehrbaren Geist aus dem 17. Jahrhundert! Voller Wehmut dachte er an die Seite 672 und die darin erwähnte Wendeltreppe. „Na schön, wenn die mich für ein Gespenst hält, dann werde ich mich auch so aufführen!“ beschloß Dagobert und überlegte…
Da er sowieso gerade auf der Eßzimmerlampe saß, bot es sich an, damit irgendwas anzustellen.
„Platsch“ landete die Glühbirne mitten in der noch halbvollen Bohnenschüssel.
„Prrsch!“ prustete Peter quer über den Tisch.
„Die hat Papi gestern reingedreht!“ bemerkte Klaus trocken.
„Heute geht aber auch alles schief!“ stöhnte Frau Obentraut genervt.
„Du wirst dich noch wundern“, murmelt Dagobert.
Ohne weitere Zwischenfälle ging der Transport des Geschrrs in die Spülmaschine vonstatten.
„Mutti, die Maschine spült nicht!“
„Ist der Stecker drin?“
„Ja – der Hahn ist auch auf…“
Daß die Maschine trotzdem keinen Ton von sich gab, hatte natürlich Dagobert zu verantworten. Und Klaus hätte schon unter das Gerät kriechen müssen, um zu sehen, daß ein Knick im Wasserschlauch war.
„Muß euer Vater heute Abend mal nachgucken,“ seufzte Frau Obentraut.
„Na ja!“ kommentierte Peter genüßlich.
„Hoffentlich kann er das besser als Birnen reindrehn!“ vollendete Klaus grinsend.
Dagobert betätigte sich inzwischen als Klopfgeist.
„Wumm!“ donnerte es durch die gesamte Wohnung, denn er hatte noch nicht das richtige Gefühl für die im Gegensatz zu seinem Schloßkeller etwas dünneren Wände.
„Opa Heumann ist aus dem Bett gefallen!“ vermutete Klaus.
Dagobert wandte sich den etwas stabileren Außenmauern zu.
„Ping-ping – bong-bong-bong – schrumm-schrumm“ klang es nun etwas leiser.
„Was hämmert ihr denn da? Ich denke, ihr macht Schularbeiten?“
„Tun wir ja auch! Rechnen und Schreiben. Aber wenn’s zu laut ist, können wir’s auch sein lassen. Dann mußt du uns nur eine Entschuldigung mitgeben!“
„Seit wann rechnet ihr mit dem Hammer und schreibt mit der Säge, hmm?
Wir hämmern und sägen nicht. – Und nun können wir nicht mehr, weil wir dauernd unterbrochen werden!“ tönte es in ungewohnter Einigkeit aus dem Kinderzimmer.
„Das sind bestimmt Liesners, die basteln an ihrer Garderobe!“ versuchte Peter, die Sache zu klären.
„Liesners sind in Urlaub!“ kam der Kommentar aus der Küche.
„Na – denn grübelt mal schön“, grinste Dagobert und machte Klimmzüge an der Gardinenstange im Wohnzimmer.
„Rumms!“ lag das Gestänge auf dem Boden.
„Ach du lieber Gott, was war denn das?“
„Mutti – im Wohnzimmer ist die Gardine runtergefallen!“ Peter, in solchen Fällen schneller als ein geölter Blitz, hatte die Sachlage als erster erkannt.
„Hat Papi die nicht…?“
„Nein! Die hat Onkel Herbert eingegipst…“ rettete Frau Obentraut die angekratzte Ehre des Familienoberhauptes.
Dagobert hatte unterdessen auf der Fensterbank Platz genommen und zählte die Efeublätter. Anschließend versuchte er, leise vor sich hin summend, eines mit sechs Ecken zu finden. Um die Sache zu vereinfachen, riß er erstmal alle fünfeckigen Blätter ab…
„Mutti!“ verkündete Peter, „der Efeu hat vor Schreck sämtliche Blätter verloren!“
„Und Papi kommt auch!“ ließ Klaus sich vernehmen. „Aber nicht allein…“
„Ogottogott! Kinder, räumt schnell ein bißchen mit auf – das ist Papis Chef!“
„Na, dann kann Papi ja gleich wegen einer Woche Urlaub fragen“, schlug Peter schon mal vor.
„Wieso?“
„Na ja, von wegen dem Staubsauger und der Spülmaschine!“
„Und die Gardinenstange! Und ‚ne neue Birne muß er auch reindrehn!“ umriß Klaus das Aufgabengebiet.
„Tag, Inge, Tag, Kinder!“ Herr Obentraut erschien in Begleitung seines Chefs. „Darf ich vorstellen: Herr Eisemann, meine Frau, meine Söhne Klaus und Peter…“
„Guten Abend, Herr Eisemann.“
„Tach!“
„Tach!“
„Sag’ mal, Inge, wir haben da doch dieses alte Buch mit Gespenstergeschichten?“
„Peng“, landete der entlaubte Efeu mitsamt dem Übertopf auf dem Fußboden. Dagoberts Empörung kannte jetzt keine Grenzen mehr, denn natürlich war sein Buch gemeint. Fiebernd saß er in der leergefegten Fensterhöhlung: Wird er nun – oder wird er nicht…
Ja, Herr Obentraut lenkte seine Schritte zum Bücherregal und langte nach dem Buch aus dem Jahre 1804:
„Bitte, Herr Eisenmann, da ist das Prunkstück!“
Und Herr Eisemann blätterte…
Und schwupp flutschte, einigermaßen versöhnt, der Geist Dagobert in die Seite 672 zurück. „Prunkstück“ hatte Herr Obentraut gesagt!
Kommentare
Mit Witz geschrieben - und mit Geist!
(Auch wenn er Dagobert nicht heißt...)
LG Axel