Voller unerklärlichem Stolz sagenhaft angeschwollen, geht Vater Müller im Wohnzimmer auf und ab. Mutter Meier sitzt abwesend, an einem Jäckchen für den Jüngsten strickend, in einem Sessel und murmelt unentwegt: „Jaja, Jaja ...“ Schwester Lieschen kauert verstohlen schwelgend in einer Ecke. So wie sie sich unbeobachtet weiß, kichert sie schadenfroh in sich hinein.
Da klingelt es an der Tür. Der Vater macht entschlossen auf. Entzückt starrt er auf einen wild dreinblickenden Vollpfosten, der eine Aktentasche unter dem Arm trägt.
„Gestatten Werber, vom städtischen Amt für Völkerverständigung!“, stellt er sich vor.
„Wir haben Sie schon erwartet“ buckelt Vater Müller, „bitte treten Sie näher."
Müller, der inzwischen „Haltung“ angenommen hat, weist seinem Gast den Weg. „Ich habe mir erlaubt, schon alles vorzubereiten. Mein Arbeitszimmer steht zur Verfügung."
„Wusste ich doch, daß wir uns auf Sie verlassen können!“, grunzt die Amtsperson. Ein kurzes Flammen in den Augen des „echten Mannes“ untermalt diese seine Worte: „Kann ich nun Ihren Ältesten sehen?“
Müller wirft sich in Positur und wandert ins Nebenzimmer. Nach einigen Minuten erscheint er wieder, ein schmalbrüstiges Elend vor sich her schiebend.
„Stattlicher Junge!“, konstatiert Werber falschzüngig. „Gehen wir!“
Im Arbeitszimmer angelangt, bewegt sich Werber auf den großen Schreibtisch zu. Gebieterisch nimmt er dahinter Platz, dann erhebt er freundlich seine Stimme: „Der Form halber frage ich Sie, wie Sie heißen!“
Ein verwundertes „Hm“ ist jedoch alles, was der Angesprochene von sich gibt.
„Antworte gefälligst, wenn ich mit Dir spreche!“, dröhnt es da brutal aus der Richtung des Fragers …
Friedrich Müller, geboren am xten X, im Jahre sowieso, unverheiratet, mittlere Ausbildung, Heimatort hier."
„Na also, geht doch!“ Zufrieden räkelt sich der Eindringling in seinem Stuhl. Eine Seite der vor ihm ausgebreiteten Datenbogen wird knackend umgeschlagen. „Freimachen!“
„Wie b-bitte?“ Fritz gerät ins Stottern.
„Wird’s bald?!“
Da keine Hilfe in Sicht ist, um der Anfechtung durch einen Fremden gebührend begegnen zu können, bekommt Fritz Angst. Vorsichtig, äußerst vorsichtig, von fragenden Blicken nach allen Seiten begleitet, vollzieht sich die Handlung des Entkleidens, nicht ohne den Anschein einer gewissen unangebrachten Feierlichkeit, bis zur Unterhose.
„Alles!“ brummt der zum Fleischbeschauer avancierte fremde Beamte drohend.
Fritzchen errötet empfindlich, streift aber doch – von Schamgefühlen geschüttelt – das letzte Stück seiner Bekleidung nach unten. „Ist es denn nicht mehr erlaubt, ein Geheimnis zu haben?“, ermutigt er sich zu protestieren.
„Syphilis, Muskelschwund, Knochendeformationen?“ übergeht der Vorgesetzte von Staatsgnaden Fritzens Einwendung. Dann nimmt eine peinliche Untersuchung ihren Lauf.
Nebenbei wird der Junge ausgefragt: „Wie stehen Sie zu unserer Gesellschaft, was halten Sie von der paritätischen Mitbestimmung, konspirieren Sie mit dem Feind? – Welche Art von Gefängnis bevorzugen Sie? Gemeinschaftszelle, Dunkelhaft oder wollen Sie lieber zum Außendienst? Tragen Sie sich mit der Absicht, ins Kloster zu gehen?
Fritz schüttelt mehrmals den Kopf, was bedeuten soll: Ich halte von ALLDEM nichts! Doch der Werber achtet gar nicht darauf.
„So, dann empfehle ich Ihnen, sich morgen ordnungsgemäß zur Gehirnwäsche zu melden!“
Nackt und geschockt steht Fritz, der dem, auf einen guten Abgang bedachten, ungebetenen Gast gefolgt ist, dabei, wie sich dieser verabschiedet.
„Meine Aufgabe ist es, Ihnen, liebe Familie Müller, die freudige Mitteilung zu machen, daß der von mir in Augenschein Genommene grundsätzlich für unsere Interessen verwendbar ist! Sie können sich was auf ihn einbilden!“
Zu Mutter Müller gewandt, deren Gesicht einen leicht mitgenommenen Eindruck macht, fügt er hinzu: „Nehmen Sie es nicht tragisch – im nächsten Jahr komme ich vielleicht schon zu Ihrer Tochter!“