Der alte Mann saß zusammengesunken vor einem vergilbten Stapel alter Zeitungen und versuchte irgendwie die kommende, kalte Nacht durchzustehen. Vergeblich schob er sein ausgeleiertes Brillengestell hoch, ohne die konnte er nichts mehr sehen. Den Notfall-Brandschutz-Hebel im Visier, den linken Finger auf der Schranken-Tastatur, nippte er an seinem inzwischen kalt gewordenen Kaffee und schraubte den Heizlüfter ein wenig höher. Es fing vielleicht heute an zu schneien. Es fröstelte in dieser eisigen Silvesternacht in der er besonders auf Böller, verirrte Raketenköpfe und Feuerwerkskörper achten musste. Alleine saß er hinter der kleinen Glasfassade mitten im Industriegebiet am Rande der Stadt, dessen Lichter er in der Ferne glitzern sah. Es erschien ihn wie ein Geschenkpaket, dekoriert mit gleißenden, bunten Sternchen, die aufflackerten sobald er seine müden Augenlider hob. „Rasieren müsste ich mich mal wieder“, dachte er und strich mit dem Handrücken über sein Kinn. Aber für wen eigentlich? Er saß ja nicht umsonst mutterseelenalleine an Feiertagen, Weihnachten oder in der Silvesternacht und sogar an seinem Geburtstag in seinem schmutzigen Container. Da war niemand. Niemand, der auf ihn wartete. Also konnte er auch arbeiten gehen.
Es roch nach Essig. Er hatte den alten Wasserkocher entkalkt, damit er sich zum Jahreswechsel einen heißen Tee machen konnte, wenn ihm die 12-Stunden-Schicht ihm immer so lang erschien. Ja, es ist ein wenig heimelige Wärme in der verqualmten Pförtner-Hütte. Alles war abgewetzt, mit einem gelben Film überzogen, das Mobiliar war reif für den Sperrmüll. Auf seine Pforte – das klang für ihn schon immer wie Arschloch – legte keiner Wert. Die Geschäftsräume da drinnen waren wichtiger. Dorthin kamen die wichtigen Leute, die ihn an-nickten, wenn sie vorbeigingen und immer sah er Mitleid in ihren Augen. Dort oben tummelten sich all diejenigen, für die er alles gab und wenn es hart auf hart kam, war er es doch, den sie zuerst angriffen oder schuldig sprachen. Der alte Mann ging auf´ s Klo, das haben sie ihm eingebaut, damit er nicht ins Gelände pinkeln musste. Zwar stank es wie eine Jauchegrube, aber der Abfluss war noch nicht verstopft.
Der Pitbull hatte seine scharfen Zähne verloren, er war ein müder Dackel. Aber wer sollte das denn alles kontrollieren, wenn er nicht mehr war? Er blickte hoch zum Berghang der Stadt. Dort flogen tausende Euros in die Luft und er dachte daran, was passieren würde, wenn ein Irrläufer ins Gelände flog. Das chemische Gemisch, das hier lagerte war hochexplosiv und brandgefährlich. Neben ihm lag der rote Ordner für die Feuerwerk, da war er äußerst sorgfältig und gewissenhaft.
Prost Neujahr! Er stieß mit seiner Pförtnerhaus-Scheibe an, sie beide waren seit mehr als 25 Jahre enge Freunde. Im Schein des Lichts sah er sich selbst und war stolz auf sich und seine Arbeit. Einen kurzen Moment erblickte er einen scharfen, starken Pitbull mit gefletschten Zähnen - bereit, alles zu verteidigen, was ihm anvertraut worden ist. Es war die Erinnerung an die Tage als sein Häuschen noch weiße Wände hatte und die Heizung noch ging. Morgen früh um sechs – im Neuen Jahr – würde er nach Hause gehen. Doch wohin er wirklich gehen sollte, wusste er tatsächlich nicht.
© Petra M. Jansen / Dezember 2018
http://jansen-marketing.de