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ist kein Sterben, das ist ein elendes Dahinsiechen. Es ist ein Hineingleiten, Hineinsickern in einen Zustand, der nichts mehr mit dem Leben gemein hat, und mir doch nicht wie der Tod erscheinen will.
Dennoch ... wir nennen das wohl 'der Tod'!
Deshalb bin ich mir wohl auch noch nicht klar darüber, wieweit ich schon gestorben bin und wieweit ich noch mit dem Leben verbunden sein mag. Wie lange wird es noch dauern, bis ich endgültig mit dem Leben gebrochen habe?
In mir zucken die Nervenstränge und die Adern schwellen an. Blut kocht in ihnen - siedend, heißes Blut! - Es ist angeheizt von Sonne und Fieber, von verzweifelter Ekstase und zermürbendem Selbsterhaltungstrieb.
Mein Gehirn füllt meinen Schädel aus, weil es aufquillt. Alle unnützen Gedanken, die ich je gehegt habe, blähen sich in ihren Zellen auf, weil sie dem Vakuum nicht standhalten können, welches meine Fragen erzeugt haben müssen. Meine Gehirnzellen blähen sich auf wie die Bäuche der Hungernden, die man uns im Fernsehen zum Abendessen vorsetzt. Man kommentiert mit matter Stimme, die sich schließlich zu dem Bittruf an all jene erhebt, die genug zu Essen haben: 'Brot für die Welt ... spenden auch Sie!'
Meine Gehirnzellen blähen sich auf wie Ballone, die umso größer, desto zerstörbarer sind. Meine Gehirnzellen blähen sich in ihrer Bedeutungslosigkeit ebenso auf wie die Redner auf den Podien, die stundenlang in einen Saal hinaus deklamieren, in dem desinteressierte Menschen sitzen und gelangweilt Zeitung lesen. Meine Gehirnzellen blähen sich auf ...
... wann werden sie platzen?
Aber nicht nur mein Gehirn zerstört sich selbst. Auch mein Körper löst sich gleichermaßen in Gesamtheiten auf.
Meine Wade ist nicht mehr die schmerzende, eitrige Wunde nach dem Absturz, sondern eine Gesamtheit aus all meinen Gliedmaßen, die gemeinsam mit dieser eitrigen Wunde schmerzen und doch nicht schmerzen. Hätte ich meine Augen nicht, ich könnte noch nicht einmal mehr bestimmen, ob es jetzt die linke oder die rechte Wade ist, aus der die giftigen Eiterboten in den ganzen Körper gesandt werden. Jetzt aber sehe ich zumindest, dass aus der klaffenden Wunde meiner linken Wade eine gelblich-wässrige Flüssigkeit sickert. Ich weiß nicht, ob ich glücklich darüber bin, dies noch mit ansehen zu können!
Denn ... was nützt es mir denn, wenn ich meinen Verfall noch mitverfolgen kann? Bin ich nicht so oder so verloren? Eben hat mich eine Ameise gebissen- in die Gliedmaßen - ob es Beine ohne Arme gewesen sind, weiß ich nicht zu bestimmen. Es kann auch nur ein momentaner Schmerz gewesen sein, doch sehe ich eine einzelne Ameise über mein rechtes Bein krabbeln und ich gebe ihr die Schuld, weil sonst niemand da ist, dem ich sie geben könnte. Immerhin scheint es mir erstaunlich, dass ich durch all meine Schmerzen hindurch so etwas lächerlich Winziges wie einen Ameisenbiss überhaupt wahrnehme! Wahrscheinlich habe ich mir den kurzen Schmerz nur eingebildet, als ich die Ameise entdeckte. Ja ... ich bin mir ganz sicher, dass es so gewesen sein muss. Ich möchte gerne meine Wunden mit dem Eau de Cologne auswaschen, aber ich kann meine Hände nicht bewegen. Könnte ich es, würde ich natürlich zuerst einmal diese Ameise in hohem Bogen zu ihren Artgenossen schicken.
Ich ärgere mich, das Wrack verlassen zu haben. Wenn schon sterben, dann neben Helena ... oder hieß sie anders? – Helena, meine junge Verlobte!
Wir waren auf dem Weg zu den Eltern ... den Schwiegereltern ... ihren Eltern, die eben ihren ältesten Sohn verloren hatten, der ...
Wollte ich um ihre Hand anhalten? - Hatte ich das noch nicht getan?
Wollten wir vielleicht ganz schlicht heiraten und dann die prächtige Villa am See beziehen ... Villa Eden, die eben bezugsfertig geworden war? - Villa Eden mit den drei Stockwerken! Und drei Kinder hätten wir haben sollen, dreimal dreißig Jahre wären wir alt geworden und jedes unserer drei Kinder hätte drei eigene Kinder gehabt.
Oh, Helena ... warum sind wir denn verunglückt? - Warum haben wir nicht den Linienbus genommen, den Schnellzug oder was immer? - Aber wir wollten schneller ans Ziel kommen.
Jeff, dein hochnäsiger Bruder, Jeff, dieser alte Angeber, er hat uns in seinem neuen Sportwagen fahren müssen!
Nein, das ist nicht meine Geschichte ... ich bin auf andere Weise um mein kostbares Leben gekommen - und Helena hat es nie gegeben. Ich bin Junggeselle ... mein Name ist Henry Singerton! –
Gut, dass mir das eingefallen ist! –
Man soll immer seinen Namen wissen. Auch Tote werden wohl Namen tragen ... oder Nummern?
Tod? –
Ein Entweichen der Seele aus dem Körper? - Ein Übertritt in ein Dasein, welches unserem Leben so unähnlich ist und schon aus diesem einen Grund 'der Tod' genannt wird? - Zur Differenzierung? Nein ... die Aktion des Sterbens ist mit diesem Begriff umrissen! Der Tod tritt ein - das hat nichts mit dem Zustand nach dem Gestorben-Sein zu tun! - Ah, haben wir da nicht einen anderen, treffenderen Begriff gefunden? - Der Nachtod!
Demnach gäbe es auch ein Vorleben!
Interessant ... sehr interessant! - Schade, dass ich das Henry nicht mehr erzählen kann. Er wird sich nach einem anderen Tennispartner umsehen müssen. Henry Singerton war auch einmal! Nichts währt ewig.
Ich bin noch da!
Ich bin noch nicht abgetreten von dieser Schaubühne. Dieses groteske Marionettentheater hat mich noch nicht freigegeben. Mein Vertrag muss erst erfüllt werden ... ich habe wohl noch Verpflichtungen. Ich muss meine Rolle bis zum Fallen des Vorhanges durchspielen - ob es mir passt oder nicht. Es lässt sich nicht ändern.
Wen lasse ich eigentlich zurück auf dieser trostlosen Erde. Wer ist mir lieb und teuer ... wem bedeute ich denn was? Wer würde um mich trauern – von meinem Vater mal abgesehen, der sich aber wahrscheinlich eher grämen oder gar ärgern dürfte, dass gleich beide seiner Söhne ins Gras gebissen haben.
Würde er das?
Ärgern darüber, dass jemand nicht mehr ist? Einfach so?
Nein, ich glaube inzwischen eher, dass der doch sehr traurig wäre ... vielleicht mehr über den Tod seines geliebten, postulierten Nachfolgers als über den Meinen – aber immerhin.
Und sonst?
Jenny ... hieß sie Jenny?
Ich glaube, dass es da eine Jenny gibt ... oder heißt sie Olga? Na ja, was soll's! Sie würde vielleicht sagen 'Der ist verunglückt? Wie tragisch!' und würde mich im