Auf der Straße

Bild zeigt Anita Zöhrer
von Anita Zöhrer

Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung, Scheidung und schnell war man dort, wo kaum jemand freiwillig hinwollte: Auf der Straße.

Wie viele Monate ich schon in der Gosse lebte, ich hatte keine Ahnung. Irgendwann hatte ich mich einfach damit abgefunden und jegliches Zeitgefühl verloren.

Oft ging ich im Sommer auf den Hauptplatz, wo ich von mir gut gesinnten Leuten Lebensmittel erhielt und Künstlern bei ihrem Treiben beobachtete. Clowns, Pantomime, Musiker, Geschichtenerzähler – ihnen allen verdankte ich Reisen an einen besseren Ort, auch wenn er nur in meiner Phantasie existierte.

Als ich eines Nachmittages erneut den Hauptplatz besuchte, traute ich meinen Augen kaum. Ein Saxophonist spielte, den ich von früher kannte. Mein fester Freund war er einst gewesen, bevor ich ihn mit meinem zukünftigen Manne betrogen hatte. Nie hätte ich geglaubt, ihm nach all den Jahren wieder zu begegnen.

Beschämt lief ich davon. Ich wollte nicht, dass er mich so sah. Nachdem was ich ihm angetan hatte, hatte ich es nicht anders verdient, aber trotzdem wollte ich ihm diese Genugtuung nicht lassen.

Weinend ließ ich mich auf meine Matratze fallen und griff nach meiner Schnapsflasche, schüttete so viel in mich hinein, wie es nur irgendwie möglich war.
„Gib mir die Flasche!“
Ich erschrak. Er war mir gefolgt. Noch mehr von dem Schnaps leerte ich in mich in meiner Panik hinein.
„Gib mir die Flasche, hab ich gesagt!“
„Einen Schluck noch, nur einen einzigen“, bettelte ich in meinem aufsteigenden Rausch, doch er ließ nicht mit sich diskutieren. Er entriss mir meine Schnapsflasche und warf sie auf den Asphalt. Das Glas klirrte; in Scherben lag die Flasche wie mein Leben. Um jeden Tropfen tat es mir leid – sinnlos vergeudet wie all die Jahre, die ich hier auf Erden bereits verbrachte.

„Steh auf!“, schimpfte er mit mir, ich dachte ja gar nicht daran, ihm zu gehorchen.
„Los komm!“
Er packte mich und zerrte mich hoch. Ich schaffte es kaum, mich auf meinen Beinen zu halten. Um zu verhindern, dass ich wieder zu Boden sank, schloss er mich in seine Arme. Ich klammerte mich an ihm fest und wünschte mir, dass dieser Augenblick nie verging.

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