Besuch bei Oma - Page 2

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von Daniel G. Spieker

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gut?“
„Die Fahrt war gut.“
„Hast du dein Auto in der Garage geparkt?“
„Nein, an der Straße, aber das klaut schon keiner.“
„Mach das bitte.“
Wir umarmen uns und dann geht sie wieder nach oben. Die restlichen Einkäufe sind schnell verstaut. Erst überlege ich direkt Essen zu machen, aber ich weiß nicht, ob Oma so bald wieder aufsteht.
Spazieren. Ich verlasse das Haus und lehne die Tür nur an; ich habe keinen Schlüssel und ich weiß nicht, wo der Ersatzschlüssel liegt.
Als ich den Waldrand erreiche, überkommt mich ein unwohles Gefühl. Ich habe ihn damals immer nur zusammen mit Opa betreten. Ich greife an meine Tasche in der an meinem Schlüssel das Taschenmesser hängt, was er mir damals geschenkt hat und womit wir aus dickeren Stöcken kleinere Figuren geschnitzt hatten. Ob die noch irgendwo auf dem Dachboden sind?
Ich trete in den Wald ein und lasse das Ganze auf mich wirken. Ich weiß nicht mehr genau, wo der Hochsitz ist und ob er überhaupt noch steht, aber so wichtig ist das nicht. Vorsichtig gehe ich weiter und achte auf jedes Geräusch – ich will nicht von einem Tier angefallen werden.
Plötzlich klingelt mein Smartphone und ich erschrecke mich fast zu Tode.
„Du hast mich fast zu Tode erschreckt“, sage ich, als ich abnehme. „Hier ist alles so verdammt ruhig, aber du, ich hab grad keine Zeit, können wir später reden?“ Sie stimmt zu und ich lege auf.
Ich weiß nicht, warum ich gelogen habe, aber gerade ist das nicht so wichtig.
Erst jetzt wird mir klar, wie viel Zeit ich ständig eingespannt bin. Hier einfach spazieren zu können ist auf eine ganz eigene Art ein Stück Freiheit.
Ich stecke das Smartphone wieder in die Hosentasche, nachdem ich einige Sekunden lang darauf starre und sehe dann wieder auf. Einen Moment lang bin ich irritiert. Am Baum vor mir sind Kratzspuren. Waren die eben auch schon da? Gibt es hier Bären? Mir wird unwohl bei dem Gedanken und ich kehre schnell um.

Wir essen am frühen Nachmittag – es gibt Spaghetti mit Champignons und einer Sahnesoße. Nichts Besonderes, aber Oma schlingt es förmlich herunter. Sie muss lange nicht mehr richtig gegessen haben. Opa hätte sich viel früher um eine geeignete Pflege kümmern müssen.
„Morgen wird es wieder passieren“, sagt sie irgendwann und starrt ängstlich nach draußen.
„Was wird passieren?“
Sie schüttelt den Kopf, wendet den Blick ab und isst weiter.
Ich tue es ihr gleich. Sie baut ab.

Am Abend suche ich mit meinem Smartphone die Kosten für eine Privatpflege heraus. Nicht einmal Wlan gibt es hier. Ich notiere alles und dann hoffe ich, dass Oma genug Geld auf dem Konto hat, denn das würde mein Gehalt komplett auffressen. Vielleicht wäre ein Pflegeheim wirklich eine Option.

Am nächsten Morgen ist Oma schon früh auf und eine Kaffeekanne steht schon auf dem Tisch, als ich aufstehe. Wir setzen uns wieder in die beiden Sessel am Kamin und trinken zusammen eine Tasse. „Oma, ich habe das Gefühl, dass es dir nicht mehr so gut geht.“
„Mein Mann ist tot.“
Ich zögere einen Moment.
„Was würdest du davon halten, wenn wir dich an einen Ort bringen? Ein Seniorenstift oder sowas?“
„Ein Pflegeheim? Das geht nicht, das geht auf keinen Fall.“
Sie steht auf und verlässt das Zimmer. Zwar nicht wütend, aber entschieden. Ich massiere meine Nasenwurzel und frage mich, was ich tun kann, um sie umzustimmen. Irgendwann stehe ich auf und mache Essen. Gefüllte Paprika. Kartoffelbrei und Speck und Bohnen. Vielleicht wird sie das wieder glücklich machen.

Während wir zusammen Essen wirkt sie noch abwesender als sonst, aber ich frage nicht nach. Irgendwann ruft meine Frau an, ich stehe kurz auf, rede kurz mit ihr und lege dann wieder auf. Irgendwie stört es mich. Die letzten Monate waren zu nah, die ganze Zeit. Wenn das Baby da ist, werden wir noch genug Zeit zusammen haben. Nach dem Essen liest sie ein wenig und ich räume etwas auf, ich will das es aussieht wie früher. Zumindest für ein paar Tage. Ich bringe die Papiere weg und immer wieder schaue ich nach draußen. Ich muss den Eingang reparieren, dringend.

Am frühen Abend trinken wir wieder einen Kaffee zusammen und ich versuche nochmal über ein Pflegeheim zu sprechen. „Nein Mortimer. Das geht nicht. Ich geh hier nicht weg.“
„Irgendwann wird ...“
„Nein, das geht nicht.“
Sie sieht mich an und ich merke, dass sie völlig klar ist. Aber ich habe noch ein paar Wochen. Sie blickt zu der Waffe am Kamin und schüttelt dann den Kopf.
„Wir sollten schlafen, es ist spät.“
„In Ordnung, Oma.“
„Ich bring dich ins Bett.“
Es ist ein seltsames Gefühl, als wir die Treppe nach oben steigen und sie mir an der Tür noch Gute Nacht sagt und mir einen Kuss auf die Wange gibt. Sie lächelt und geht dann in ihr Zimmer.
Irgendwie ist die Situation viel seltsamer für mich, als sie sein sollte.
Ich ziehe mich aus, öffne das Fenster, um frische Luft zu bekommen, und lege mich ins Bett, starre an die Decke. Wie soll das werden alles? Oma kriegt einen Pfleger, von dem ich noch nicht weiß, wie wir ihn bezahlen sollen und Lana bekommt ein Kind und ich liege hier und will nie wieder aufstehen, sondern nur noch schlafen.
Und irgendwann schlafe ich tatsächlich ein.

Ich wache von einem Knallen auf und stehe schlagartig auf. Was war das? Es regnet mittlerweile. Ein Blitz? Verschlafen gehe ich ans Fenster und will es schließen – es hat reingeregnet, doch da – meine Großmutter läuft in Richtung des Waldes.
„Oma!“, rufe ich. Sie scheint mich nicht zu hören und verschwindet zwischen den Bäumen.
Scheiße. Ich ziehe mich so schnell wie möglich an und renne nach unten, ziehe meine Schuhe an und gehe raus in die Gewitternacht. Ich kann sie zwischen den Bäumen schon gar nicht mehr ausmachen. „OMA!“, rufe ich noch einmal. Keine Reaktion. Dann laufe ich los und bin in wenigen Sekunden durchnässt. Immer wieder rufe ich nach ihr. Was will sie denn? Noch immer irgendwelche Jugendlichen verscheuchen? „KOMM ZURÜCK!“
Meine Klamotten sind mittlerweile ein einziger nasser Sack und meine Lunge tut weh vom Rennen, aber überall nur Bäume, Bäume, Bäume, nirgendwo sie. Und dann Geräusche. Knurren.
Ich sehe mich um, aber kann nicht erkennen wo es herkommt. Zweige knacken. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Wieder ein Knurren, näher und plötzlich werde auf den Boden geworfen und eine Klaue reißt mir die Kleidung auf. Es blitzt, und noch einmal und die Klaue reißt mir die Brust auf. Ich schreie. Ich schreie und schreie. Ich spüre den Atem der Kreatur auf mir, fingere nach meiner Tasche, noch ein Hieb mit der Klaue und dann streifen mich die geifernden Zähne. Speichel tropft in mein Gesicht. Tränen verschwimmen die Sicht, alles tut weh, ich will nicht mehr, ich denke an Oma, denke an mein Kind, an meine Frau, packe das Messer in meiner Tasche, klappe es auf und steche zu immer und immer wieder. Jaulen, hohes Jaulen. Die Kreatur lässt von mir ab, ich rappele mich auf, verfolge das Vieh und steche ihm in den Rücken wieder und wieder und wieder, bis die Kreatur zusammenklappt. Blut strömt aus so vielen Teilen meines Körpers; ich atme schwer und lehne mich an einen Baum, behalte das Wesen im Auge, aber es regt sich nicht mehr. Es sieht ähnlich aus wie ein Wolf, aber nicht … mein Herz ein paar Schläge lang aus, als ich sehe, wie sich die Haare des Tieres langsam in den Körper ziehen.
Da ist die nackte Tierhaut, die verschrumpelt und dann liegt da jemand. Es blitzt. Großmutter liegt da. Es gibt keine Jugendlichen. Gab es nie. Ich sehe hoch in den Himmel. Vollmond. Und dann sehe ich zu der Bisswunde, aus Blut tropft. Der Regen wäscht das Blut von mir. Ich atme tief ein und aus und hole mein Smartphone aus der Tasche.
„Lana, es tut mir leid, dass ich so spät anrufe. Aber … es ist wichtig. Wir müssen umziehen. Komm zum Haus meiner Großmutter, du hast doch die Adresse, oder? Ich erklär dir alles später.“

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Hörbuchversion von Besuch bei Oma
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker