Das Beste ist die Freiheit - ein Hund erzählt aus seinem Leben

Bild von Anneliese Haas
Bibliothek

Seiten

Das Anwesen des Karl Prommersberger liegt an einem Wanderweg, der über den Kühberg durch einen jungen Mischwald ins dahinter liegende Pfarrdorf führt. Oberhalb des Hofes, am Waldrand, lädt eine Bank zum Rasten ein, und eine wunderschöne Aussicht belohnt für die Mühe des Aufstiegs.
Dass mancher um das Prommersbergerhaus lieber einen Bogen macht, hat nicht mit dem Besitzer zu tun, sondern mit seinem Hund, dem Mane. Wenn nämlich der Karl, der einschichtig hier oben haust, seiner Arbeit in der Papierfabrik nachgeht, ist der Mane doppelt aufmerksam auf seinem Wachposten. Es handelt sich hier übrigens nicht um einen „Zerberus“, sondern eher um etwas, was man hierzulande einen „Zamperl“ nennt.
Eher klein, schwarzgelockt von der Schnauze bis zum Ringelschwanz, altersbedingt etwas angegraut, so taucht er plötzlich vor dem überraschten Wanderer auf und tut seine Missbilligung mit einem kurzen Bellen kund.
Dann läuft er um den Spaziergänger herum und beschnüffelt stumm, lange und ausgiebig, dessen Kniekehlen – eine Annäherung, die den meisten Leuten Unbehagen einflößt.

„Geh weg! Geh hoam!“, sagt der Eine streng.
„Braver Hund, ganz brav“, murmelt der Andere und beschleunigt unwillkürlich seine Schritte, bestrebt, seine Wadl aus der Gefahrenzone zu bringen.

Sollte es aber jemandem einfallen, dem Mane freundschaftlich seine Hand zum Beschnuppern hinzustrecken, wird er mit einem leisen Knurren und einer etwas hochgezogenen Oberlippe darüber belehrt, dass er es hier mit keinem Menschenfreund zu tun hat.
Was die wenigsten wissen, der Mane hat eine Schwachstelle: er ist bestechlich. Ich kenne den alten Grantler gut, ich komme öfter hier vorbei und ich weiß, dass eine bestimmte Sorte Leckerli seinen Ringelschwanz ein bisschen zum Wackeln bringt, das äußerste, was er an Sympathie bekunden kann.

So setze ich mich an diesem schönen Sommertag auf die warmen Steinstufen vor der prommerschbergischen Haustür und nehme den knurrenden Wächter (sein Herr schiebt diese Woche Spätschicht) ein wenig ins Verhör:
„Geh Mane, heit vozejst ma wos vo dir. Du bist do no gar net so lang do. Wo bist denn du friaras gwen, wo kommst denn du her?“ Dabei lasse ich die Leckerlitüte in meiner Jackentasche knistern.

„Geht di nix o“, brummt er, zeigt seinen linken Eckzahn und schielt begehrlich nach meiner Tasche.

„Ah, a bisserl wos konnst doch vozejn, vo deiner Jugend. Wia hat denn dei Mama ausg'schaut? So schwarz wia du?“ Sachte hole ich die Köstlichkeit ans Tageslicht, schlitze die Tüte auf und lasse ein Leckerli über das Pflaster vor seine Nase rollen. Schwupp, und weg ist es!
„Schau, heit hamma Zeit. De ganz'n Guti g'hern dir, wennst ma a bisserl wos vozejst.“

„Vo meiner Mama woaß i nix mehr“, rückt er langsam heraus. „Is ois scho so lang her. I woaß bloß no, wias mi furt ham. Die Nacht drauf – vostehst? Do hob i gwoant, die ganze Nacht. - So dumm war i do“, gibt er ärgerlich zu. „Ois wenn de Wuislarei wos heifat.“

Ich sage jetzt lieber nichts zu dem Eingeständnis seiner Schwäche, sondern frage vorsichtig: „Was warn nacha des für Leit, wo du hikemma bist?“

„Naja“, meint er, „eigentlich net zwida – zerscht. 's Fuada war guad, 's Bett a ned schlecht. Im Wohnzimma hob i am Kanapee lieg'n derfa, wenn s' Fernseh g'schaut ham. 'Bärli' ham s' mi g'hoaßn. 'Manderl macha' und 'Pfoterl geb'n' ham s' ma beibracht und wenn a Bsuach do war, hob i 's vorg'führt und olle ham s' g'sagt: 'Mei, is des a g'scheits Hunderl!' -
Des hot ma scho g'foin. Aber dann (nun legt der Mane seine Schnauze auf die Pfote und schaut mich schwermütig an), dann ham s' a Jung's kriagt.“

„Des hoaßt, es war vorbei für di mit'm Kanapee“, schlussfolgere ich.

„Net bloß mit'm Kanapee“, knurrt er, „i hob überhaupt nimma ins Wohnzimma eine derfa. Den ganz'n Dog is's bloß ganga: 'Buzi hin und Buzi her', und wenn mi er amoi g'streichlt hot, dann hot sie glei g'sagt: 'Wasch dir fei d'Händ, wann'st 's Bebi olangst!' “

Es entsteht eine Pause, in der der Mane bloß finster vor sich hinbrütet.

Nach einer Weile raunzt er: „I hob mi dann scho obg'fund'n, dass ma nimma 'brav's Hundi', sondern bloß mehr 'Aus!' und 'Pfui!' sagt zu mir …
Überhaupt's dann – wia des Kloane o'gfangt hot, af olle Viere umanander zum laffa!“

Die schwarzen Augen unter den dichten Haarbüscheln wandern jetzt unruhig hin und her, und mich packt eine böse Ahnung. „Mane!“, rufe ich erschrocken, „du wärst as ja denascht net biss'n hom!?“

„Net biss'n!“, bellt er wütend. „Zwickt hob es. Weil 's in mei Fuadaschüssl eiglangt hot. Des duat ma net! Und i hob doch knurrt vorher! Oba des
hot 's überhaupt net interessiert.“

Ich erspare mir einen Kommentar und frage stattdessen bang: „Und dann?“

„Dann ham s' mi g'haut, - und wia! Und ins Klo eigsperrt! Und gschrian ham s'! De zwoa Oid'n ham lauter gschrian wia des Junge. Er hot sie oplärrt: 'Du muasst doch aufpass'n, wos kannt do passier'n!'
Und sie hot zruckgschrian: 'Des is koa Hund fia a kloans Kind, des sog i scho lang … und mei Mama sogt des aa! Der muass weg! Der muass weg!'
- Ja, und auf des hi“, schließt der Mane seinen Bericht, „bin i ins G'fängnis kemma.“

Ich muss ein paar Mal in meine Tüte greifen, bis er stockend fortfährt mit seiner Geschichte: „I woaß scho, dass die Leit 'Tierheim' sogn dazua, -
i sog 'G'fängnis'. - Oa Dog wia der ander. Lauter Hund, de bejn und wuisln und aussi mächt'n.“

Es folgt eine lange Zeit der Stille. Wir beobachten beide eine Katze, die gemächlich über den Hof wandert und ein paar Hühner, die an der
Böschung scharren. Es scheint, als möchte mein Freund nichts mehr erzählen. Ich überlege gerade, ob ich auf dem Rückweg einen Abstecher über das Schwedenhölzl machen soll, wo bei den großen Espen vielleicht ein paar Rotkappen stehen …

Da fängt er unvermutet wieder an:
„Wia i amoi a so in mei'm Käfig dring'sessn bin und an am Knocha affigfieslt hob, da steht de Frau drauss'n, de uns immer 's Fuada brocht hot und neben ihr a klona dicker Mo.

Die Geschichte entstand im Januar 2019.

Seiten

Hörbuch:

Auf Wunsch der Autorin am 14.11.2020 gelesen von Alfred Krieger.

Interne Verweise

Kommentare

01. Dez 2020

Ich tausche: KRAUSE gegen HUND -
AU! - Frau Krause - nicht auf den Mund ...

LG Axel

12. Dez 2020

An einen solchen Tausch zu denken,
mag manche Glücksgefühle schenken!

Liebe Advents-Grüße von Anneliese!

02. Dez 2020

Liebe Frau Haas - oder besser Anneliese (wir duzen uns hier),

"Ein Hund erzählt aus seinem Leben" ist ein gute Geschichte, sie gefiel mir. Auch Tiere, besonders Hunde, haben Gefühle.
Aber dieser Hund ist ein besonderer - er kann Geschichten erzählen! Schön, dass Du sie aufgeschrieben und sie uns zu lesen gegeben hast.

Mein Gefühl sagt mir, dass Mane irgendwo bei Straubing wohnt/wohnte. Im Krieg hat meine Mutter mich dort geboren, zwischen zwei Lagern auf dem Weg irgendwo hin.
Straubing habe ich nie gesehen, aber ich habe ein feines Buch über die Stadt.
So, jetzt mache ich mich auf Deine anderen Geschichten, Gedichten.

Viele Grüße aus Schweden
Willi

12. Dez 2020

Lieber Willi,
es ehrt mich, dass meine Geschichte sogar bis nach Schweden zu Dir gefunden hat. Du liegst richtig, wenn Du den Mane im Umfelde von Straubing angesiedelt hast.
Übrigens - ich weiß von "meinen Spionen", wie Du zu dem Bildbande über Straubing gekommen bist, auch deshalb wünsche ich Dir viel Freude damit.

Liebe Advents-Grüße von Anneliese!

02. Dez 2020

Eine ganz entzückend geschriebene Geschichte wenngleich auch mit zeitweise traurigem Inhalt!

LG Uschi

12. Dez 2020

Es läuft halt manches oft daneben ...
in uns'ren und den Hundeleben.

Mit lieben, adventlichen Grüßen dankt für Deinen wohlwollenden Kommentar
Anneliese.

03. Dez 2020

Großartig formulierte Text. Sehr gern gelesen !
HG Olaf

12. Dez 2020

DANKE, es freut mich, wenn Dir die Geschichte - welche ich anfangs eigentlich der vielen Dialektstellen wegen gar nicht veröffentlichen wollte - gefallen hat.
Herzliche Adventsgrüße
von Anneliese!

Seiten