Im Internet geistert seit einiger Zeit ein Abschiedsbrief herum, welcher von seltsamem Phänomen berichtet. Ob es sich dabei um eine Fälschung handelt oder ob es ein Original ist, wurde bisher nicht eindeutig geklärt, auch wurde nicht geklärt, inwieweit die beschriebenen Situationen und Gedanken, der Realität entsprechen oder ob es nur wahnhafte Albträume waren, die Stefan S. in den Selbstmord trieben.
Dieser Abschiedsbrief soll vor allem eine Erklärung für das Unerklärbare sein.
Anfang diesen Jahres unternahm ich mit Jenna eine Reise nach Dänemark. Wir waren mit unserem Wohnmobil dort hingefahren, da sie unbedingt einmal die Freistadt Christiana sehen wollte.
Ich wusste, dass in Kopenhagen eine größere Auktion stattfinden sollte, die mich sehr interessierte, deshalb war ich schnell einverstanden. Viel wusste ich nicht darüber, lediglich, dass kleine Kartons versteigert werden sollten. Man kannte weder den Inhalt, noch sonst irgendetwas. Meistens fand man nur Müll, manchmal aber einen kleinen Schatz. Wir waren am Tag vor der Auktion gegen 14 Uhr dort angekommen und wollten am nächsten Tag nach der Auktion direkt zurückfahren. Ich hatte mich, nachdem wir eingecheckt hatten, direkt hingelegt. Das Fahren hatte mich müde gemacht. Jenna sah sich noch die Freistadt Christiana an, aber kam nachts dann wieder zu mir.
Am nächsten Morgen erschrak ich. Die Uhr zeigte, dass die Auktion bald anfangen würde und ich wollte sie unbedingt besuchen. Eilig weckte ich Jenna und fuhr mit ihr schnell zur Auktion die glücklicherweise erst kurz vor unserer Ankunft angefangen hatte.
Sechs der rund hundert Päckchen waren schon versteigert worden, aber es blieben noch ein paar.
Im Laufe der Auktion konnte ich vier Päckchen ersteigern, was mich insgesamt circa 70 Euro gekostet hatte. Es war dieses weihnachtliche Gefühl was mich immer auf solche Auktionen trieb, dieses Gefühl ein Päckchen aufzumachen und nicht zu wissen, was man findet. Manchmal landete man einen Glückstreffer wie ein Video oder eine schicke Krawatte und manchmal fand man Socken, in seltenen Fällen sogar wirklichen Müll. Wir packten die Pakete hinten in den Wohnwagen, da ich sie erst zu Hause angekommen, öffnen wollte. Die Vorfreude ist einfach die schönste Freude.
Immer wieder wurden wir von Staus blockiert, bis wir schließlich zu Hause in Heidelberg ankamen.
Die Altstadtwohnung roch genauso wie davor und nachdem wir alles eingeräumt hatten, holte ich die Kartons und zog mich ins Schlafzimmer zurück. Jenna wusste, dass ich für das Auspacken Zeit für mich brauchte. Diese Momente konnte ich nur alleine ausleben. Also blieb sie im Wohnzimmer und wartete. Mit meinem Teppichmesser schnitt ich das Klebeband durch und öffnete den ersten Karton, doch außer einem abstrakten Bild in schlechtem Zustand und ein paar Stiften konnte ich nichts finden. Im zweiten Karton fand ich Bücher von Thomas Bernhard, keins seiner Theaterstücke, sondern seine Erzählungen, wie „die Billigesser“ oder dem Roman „Auslöschung. Ein Zerfall.“.
Die meisten Bücher hatte ich schon, weshalb ich nicht besonders glücklich war. Trotzdem freute ich mich über eine alte Ausgabe von „Der Untergeher“. Der dritte Karton enthielt vor allem alte Computerteile, die kaum noch Verwendung finden würden. Schnell ließ ich von dem Karton ab und öffnete den vierten Karton, welcher alte Kochbücher enthielt.
Enttäuscht seufzte ich und suchte noch den Karton mit den Computerteilen ab. Vielleicht fand ich ja etwas weiter unten und tatsächlich: eine Kamera. Sie schien recht neu zu sein und sah teuer aus. Der einzige Makel war ein kleines rotes Kreuz, welches links eingeritzt worden war. Ich versuchte die Kamera einzuschalten, doch es passierte auch nach mehrfachem Drücken des Knopfes nichts. Ich wollte schon aufgeben und die Kamera in den Müll werfen, als sie plötzlich ein Summen von sich gab und angeschaltet war. Ein Lächeln flog über mein Gesicht, denn der Apparat schien gut in Schuss zu sein und ein paar Fotos von mir bestätigten das.
Ich vernahm ein kleines Geräusch, kaum hörbar, als hätte jemand unten auf der Straße ein älteres Radio eingeschaltet. Wirklich Gedanken machte ich mir nicht darüber und zeigte Jenna stolz meinen Fund. Sie freute sich ebenfalls und schlug vor, dass wir die Kamera morgen ausprobieren sollten. Wir hatten sowieso vorgehabt zur Thingstätte zu gehen, weshalb ich einwilligte. Die Kamera ließ sich nicht mehr abschalten, aber wenn man sie nicht bewegte, wurde sie dunkel und schien auf diese Weise Strom zu sparen. Ich hoffte, dass der Akku noch einige Tage lang halten würde, machte mir aber keine speziellen Sorgen.
Am nächsten Tag fuhren Jenna und ich auf den Berg hinauf. Wir hatten vorher ein paar Butterbrote gemacht und einen Schlafsack eingepackt, um auf der Thingstätte übernachten zu können. Es lag noch Dreck vom 1. Mai herum, die Feier war noch nicht lang her. Oben angekommen fing ich direkt mit dem Fotoschießen an und war überglücklich über die gute Qualität der Kamera.
Auf den Treppen oder am Waldrand, auf den Ruinen oder auf den Sitzplätzen, alle paar Minuten schoss ich ein Foto, bis ich schließlich sogar aufhörte mir die Bilder anzusehen. Wir machten irgendwann eine Pause, um von den Broten zu essen. Jenna sah etwas seltsam aus, weshalb ich sie fragte, was denn los sei. „Hörst du das auch?“, fragte sie. „Was denn?“ „Dieses Geräusch...“ „Was für ein Geräusch?“, fragte ich. „Hörst du es denn nicht? Irgendwie .. irgendeine seltsame Melodie...“
Ich schüttelte den Kopf und fragte sie, ob ich noch ein paar Fotos machen sollte. Sie lächelte etwas gequält, stimmte aber zu, sodass ich sie noch ein paar Mal ablichtete. Der Speicher der Kamera schien unbegrenzt zu sein, doch irgendwann wollte Jenna nicht mehr.
„Was ist das für ein Geräusch, was ist das für ein Geräusch, es wird immer lauter“, sagte sie immer wieder und ich machte mir Sorgen, was denn sein könnte, da ich nichts hörte, außer dem Rascheln der Blätter im Wind.
Jenna steckte sich fest ihre Finger in die Ohren, so fest, dass ihre Fingernägel in die Haut des Ohres hineinschnitten und dunkles Blut langsam über ihre Wangen herunterlief und schließlich auf den Boden tropfte. Jetzt sorgte ich mich wirklich und ich rief einen Krankenwagen.
Die Ärzte konnten keine körperliche Beeinträchtigung feststellen und überwiesen sie ein paar Tage später in eine psychiatrische Klinik. Ich war schockiert, aber hoffte, dass es ihr bald besser gehen würde und besuchte sie jeden Tag.
Bald wäre unser dreijähriges Jubiläum und ich wollte ihr eine Freude machen und die besten Fotos, die ich von ihr im Wald gemacht hatte, einrahmen lassen. Am Computer sah ich mir die ersten Bilder an und musste lachen, als ich die Testbilder sah, die ich von mir gemacht hatte. Ich fand in den ersten 30 Bildern von Jenna ein paar gute, welche ich auf den PC zog und dann ein wenig an den Kontrasten herumspielte.
Doch dann bemerkte ich etwas: Ein kleines Augenpaar war hinten im Wald zu erkennen. Ich hielt das für eine Bildstörung und beachtete es nicht weiter. Doch auch im nächsten Bild und im übernächsten Bild war das Augenpaar wieder zu sehen. Ganz klein, kaum erkennbar.
Langsam war eine Fratze zu sehen, die mit jedem Bild näher kam. Eine seltsam verdrehte Kreatur, die schwarzsilbrig glänzte und immer in der Nähe von Jenna war. Ich bekam Angst, meine Nackenhaare stellten sich auf und ich wollte nicht weiter sehen, aber mit jedem weiteren Bild kam die Kreatur ein wenig näher. Auf dem letzten Bild konnte ich die Kreatur in voller Größe sehen. Sie war 2 Köpfe größer als Jenna. Die Hände verdreht auf dem Rücken, bückte sich die Gestalt zu Jenna herunter und schien ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich verstand es nicht und wusste nicht was ich tun sollte. War das real? Hatte dieses Tier die Geräusche ausgelöst?
Ich wusste es nicht und konnte nichts tun. Ein Gefühl der Hilflosigkeit umfasste mich. Plötzlich klingelte das Telefon und ich erschrak fürchterlich. Das laute Geräusch hatte mich aus den Gedanken geworfen. Ich nahm zitternd ab und eine dunkle Stimme redete davon, dass ich mich setzen sollte und dass es sich um einen Unfall gehandelt hätte. Jenna war tot. Sie hatte sich an der Schnur eines Turnschuhs erhängt. Alles verschwamm, ich konnte weder etwas verstehen, nur das eine Wort hing in meinem Kopf und wiederholte sich immer und immer wieder: „Tot“.
Ich organisierte die Beerdigung und hoffte alles richtig zu machen, da ich unter anderem nicht wusste, wie Jenna beerdigt werden wollte. Über so etwas hatten sie nie gesprochen.
Ich zog mich stark zurück und verstand nichts mehr, mit der ständigen Angst, dass dieses Tier auch mich holen könnte. Irgendwann entschied ich mich, das Tier zu töten. Es ging nicht anders, niemals könnte ich wieder schlafen, wenn ich wüsste, dass dieses Tier noch am Leben wäre. In der Küche griff ich mir ein langes Messer und fing an Fotos von mir zu machen. Ich bemerkte, wie langsam das Geräusch lauter wurde und sah mir ein paar Fotos an, doch das Tier war noch nicht nah genug. Weitere Fotos folgten und das Geräusch wurde immer und immer lauter und ich stieß in alle Richtungen mit meinem Messer. Als das Geräusch unerträglich laut wurde, sah ich auf dem Apparat, dass das Tier direkt neben mir stand und stach zu, immer und immer wieder. Doch es wurde nicht leiser, dass Geräusch blieb. Ich warf die Kamera gegen die Wand, doch es änderte sich nichts. Ich wollte die Kamera zerstören, doch egal was ich auch tat, sie blieb ganz.
Nun sitze ich hier, umgeben von diesem Geräusch, dass sich tief in mein Gehirn bohrt und jeden Gedanken zunichtemacht. Ich habe mein Fenster geöffnet und werde springen, wenn ich fertig bin, wenn ihr meine Geschichte kennt. Und auch jetzt höre ich dieses verdammte Geräusch, diese unwirkliche Melodie. Ich will dass es aufhört und ich hoffe, dass mit meinem Tod auch dieses Geräusch ein Ende nimmt. Wenn ihr eine Kamera mit einem kleinen roten Kreuz an der Seite findet, fasst sie nicht an, macht keine Fotos damit. Versteckt sie und holt sie nie wieder hervor.
Nur wenig ist sicher, doch soll der Abschiedsbrief an einem leeren Schreibtisch gefunden worden sein. Der Standort der Kamera ist unbekannt, aber es soll immer wieder Sichtungen von einer Kamera mit einem dunkelroten Kreuz auf der Seite geben.