Träume

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von Daniel G. Spieker

Ich bin mit meiner Freundin schon seit fast vier Jahren zusammen. Wir leben in einer gemeinsamen Wohnung, planen ein Kind und zu heiraten, all diese Sachen. Wir sind ein glückliches Paar. Klar, wir streiten ab und zu, aber welches Paar tut das nicht. Wir sind erst vor Kurzem in eine neue Wohnung eingezogen und es schien alles gut zu sein, doch nach kurzer Zeit plagten mich schlimme Albträume.
Ich träume, dass Menschen aus meiner Umgebung sterben. Manchmal wache ich direkt auf, wenn ich den Toten gefunden habe, manchmal bekomme ich die Beerdigung des Toten mit, manchmal werde ich verhaftet.
Es gibt viele Variationen der Träume, doch immer stirbt jemand aus meiner Umgebung, kurz nachdem ich beginne zu träumen.
Die Träume können sehr lange sein und sich über Monate erstrecken. Die Zeit ist stark verzerrt und ich gehe genauso schlafen und wache wieder auf in meinen Träumen, weshalb ich oft nicht wusste, ob ich träumte oder nicht.

Wenn ich dann richtig aufwachte, konnte ich mich nicht an Genaues erinnern, dennoch hatte ich das Gefühl, dass eine lange Zeit vergangen ist und musste vor allem an die verstorbene Person denken.

Es belastete mich, meine Beziehung und meine Arbeit als Dozent und Forscher sehr, sodass ich meinen Hausarzt aufsuchte. Nachdem einige Medikamente nicht geholfen hatten, empfahl er mir einen Psychologen.
Ich halte nicht viel von Psychoanalyse und dem ganzen Zeug, weshalb ich mich dafür entschied jemanden aufzusuchen, der mir luzides Träumen beibringen könnte.
Denn wenn ich klarträumen könnte, könnte ich auch besser mit allem umgehen.
Zufälligerweise hielt ein Meditationslehrer gerade ein Seminar zum besseren Träumen und ein paar anderen Dingen, weshalb ich diesen aufsuchte und ihm meinen speziellen Fall schilderte, ihn fragte, ob er mir helfen könnte.
Fälle wie meiner waren selten, aber es kam doch ab und zu vor, sagte er mir.
Er zeigte mir verschiedene Techniken wie ich mit dem Träumen besser zurechtkam und zeigte mir ebenfalls wie ich die Zeit im Traum nutzen könnte, damit diese nicht ungenutzt verstreicht.
Da alle meine Träume gemeinsam hatten, dass ich in den ersten paar Minuten nach dem Aufwachen direkt mit dem Tod eines Menschen konfrontiert wurde, war dies das Zeichen für mich, dass ich träumte.
Ich erledigte Aufgaben, dachte über Entscheidungen nach und nutzte die Zeit in der ich träumte. So hatte ich mehr Zeit tagsüber, da ich vieles schon erledigt hatte und mich auch immer besser erinnern konnte, was ich im Traum getan hatte.
Ich arbeite an verschiedenen kulturwissenschaftlichen Feldforschungen. Ich bin nicht der bekannteste Forscher, konnte mir aber zumindest im eigenen Land einen kleinen Namen in meinem Fach machen, auch wenn meine Arbeiten sehr kritisch behandelt werden, teilweise verrissen werden.
Daneben arbeite ich als Dozent an der Universität und unterrichte Studenten meines Studienfaches.

Mir kamen also meine langen Träume immer mehr gelegen, da ich mit der Technik des Meditationslehrers viel Zeit dort hineininvestieren konnte.

Ich dachte nach und schrieb im Traum, übertrug dies dann am Tag. Meine Arbeiten verbesserten sich, da ich einfach mehr Zeit hatte. Auch meine Studenten schienen mehr von meinen Seminaren zu haben. Dank der Technik konnte ich neben meiner Lehrtätigkeit ohne Probleme mehrere Texte verfassen. Die Rezeption verbesserte sich, war immer noch sehr kritisch.

Heute Nacht träumte ich wieder.
Als der Traum begann, lag meine Frau tot neben mir im Bett und ich war ein weiteres Mal dankbar, dass mir der Meditationslehrer damals alles beigebracht hatte, denn sonst hätte mich die Trauer und die Angst überwältigt.
Ich rief die Polizei im Traum an, denn sie würde sowieso kommen und ließ mich freiwillig abführen, denn auch im Traum hatte ich Stille gerne und im Gefängnis war es sehr ruhig. Es war nicht das erste Mal, dass ich verurteilt wurde und wäre sicher auch nicht das letzte Mal gewesen.
Ich wurde verurteilt und kam in das Gefängnis. Schrieb dann an verschiedenen Texten und veröffentlichte sie schon aus dem Traumgefängnis.
Einfach nur um zu sehen, wie mein Unterbewusstsein darauf reagieren würde.
Ein weiteres Zeichen, dass ich träumte, zeigte sich so: normalerweise wurden meine Beiträge sehr kritisch behandelt, meine neuesten Publikationen wurden allesamt gut, teilweise herausragend rezipiert.
Der gefeierte Wissenschaftler im Gefängnis.
Es war durchaus interessant zu sehen, wie sich die Dinge entwickelten, auch wenn ich mich vor allem auf meine Arbeiten konzentrierte.
Ich freute mich schon aufzuwachen und alles niederzuschreiben. Dieser Traum ging lange. Sehr lange. Der längste Traum hatte bisher die Dauer von sieben Monaten.
Es sind jetzt schon mehrere Jahre vergangen und ich frage mich immer noch, was der Punkt sein wird, der mich zum Aufwachen bringt.
Aber ich denke heute wird es sein. Das Traumurteil. Alles wie im Fernsehen. Henkersmahlzeit und so.
»Kommen sie jetzt. Es ist Zeit«, sagt der Wärter und bringt mich in einen anderen Raum.
Der elektrische Stuhl. »Was wenn das doch kein Traum ist, was wenn...«, schießt mir kurz der Zweifel durch den Kopf. Aber ich wische den Gedanken weg und setze mich auf den Stuhl, lasse mich festschnallen.
Gleich halte ich wieder meine Frau in meinen Armen. Ich lächle.

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Hörbuchversion von Träume
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker