80. Schritt
Als ich mich noch nicht so gut kannte hatte ich großes Vertrauen zu mir. Ich glaubte mir alles was ich sagte und was ich dachte war mir Leitfaden im Leben. Die Art zu empfinden, die mein Inneres für mich und andere auszudrücken versuchte, schien mir alleinseligmachend, logisch, kurz: wert empfunden zu werden.
Aber bald riet mir ein Dämon misstrauisch zu sein. Woher er kam war nicht ganz klar, denn er sprang mich aus fremden Gesichtern an, er erschien in meinen Träumen, ich traf ihn in der Schule und an allen meinen Arbeitsplätzen, die ich einnehmen musste um etwas füttern zu können, das doch nur diesen Namen trug: „Besessenheit“!
Wo er konnte legte mich der Dämon hinterhältig herein. Das war ganz leicht, denn er gab vor alles besser zu wissen als ich, er paktierte mit jedermann, außer mit mir, und irgendein Gegenteil von dem was durch sein Zutun eintrat konnte ich niemals beweisen.
Anfangs versuchte ich das noch. Ich redete mit ihm und sagte ihm mitten ins Gesicht: „Du bist gar nicht da – nur ein Phantom bist du, sonst nichts!“. Ich wusste, alle anderen hätten mir recht gegeben, denn sie kannten ihre Dämonen kaum und meinen schon gar nicht. Aber ich fragte sie nicht danach. Ich wollte nicht noch einmal Unrecht haben.
Deshalb schloss ich bald Wetten mit ihm ab! Ich prophezeite ihm, daß ich erreichen würde, was ich mir vorgenommen hatte. Er lächelte nur und schwieg. Dann, als mir ein gestecktes Ziel durch die Lappen ging, hörte ich ihn lauthals im Keller lachen. Er hatte sein Lachen zwar vor mir scheinrücksichtsvoll zu verbergen versucht, aber manchmal sind meine Sinne zu Rekordleistungen fähig!
Dann wechselte ich meine Strategie: ich dachte! Ich stellte mir vor, das Leben sei wie ein einziges Schachspiel. So plante ich möglichst viele Züge voraus, sicherte meine Entscheidungen durch 99,9%ige Kontrollen ab und fragte mich 999,9mal: „wird das wohl gut gehen?“ Aber, während ich oft auf dem ominösen Brett mit den 64 Feldern gewann, verlor ich ebenso oft in der ominösen Realität, obwohl ich beide Male ebenso vernünftig wie auch entschlossen vorging.
Nun stellte ich Vergleiche an und wurde eines seltsamen Umstandes gewahr, den ich kaum ernst nehmen wollte: Leute, die ich intellektuell spielend beherrschen konnte, trafen, meist ohne wirklich zu denken, offenbar im ganz normalen Alltag, die effizienteren Entscheidungen – sie waren wesentlich erfolgreicher als ich! Aber resignieren wollte ich deshalb noch lange nicht.
Konnte ich etwas von ihnen lernen? Ihre „Fähigkeiten“ schienen doch vorbildhaft. Immerhin wären sie vielleicht imstande mich besser als mein Dämon zu beraten. Wenn ich ihren Methoden folgte, überlegte ich schlau, dann würde ich auf die gleiche Weise wie sie, sicher ebenfalls erfolgreich sein. Ich imitierte ihr Verhalten, spiegelte ihre Persönlichkeiten, taktierte absichtlich weniger geschickt, um meinem Verhalten diese urtümliche Wucht zu geben, die sie offensichtlich auszeichnete. Doch alles schlug fehl!
Mein Dämon hatte wieder eine Wette gewonnen. Und er triumphierte: „So wie du dir was denkst wird es nie kommen, und je mehr du an dich glaubst, desto mehr wirst du enttäuscht werden. Das ist dein Schicksal, deine ganz persönliche Note“. Da räumte ich, im Gespräch mit meinem Dämon nüchtern ein, daß er wohl recht habe und mein Misstrauen allem – auch mir selbst – gegenüber gerechtfertigt sei. Und auf einmal hatte ich Glück! Was ich anfing gelang!
Da wusste ich plötzlich was hier gespielt wird! Ich begann das Schicksal zu überlisten. Jetzt musste es mir endlich auf den Leim gehen, denn für mich war anscheinend die Methode angesagt, keine Vorfreude empfinden zu sollen. Das konnte ich bestimmt ebenso gut improvisieren wie ich demonstrativ an mich glauben konnte. Man müsse halt nur die richtigen Mittel anwenden, kombinierte ich schärfer als Sherlock Holmes Rasiermesser.
Daß ich mich dabei schon wieder geschnitten hatte konnte ich lange nicht fassen, bevor mich dann doch endlich die ultimative Eingebung überkam. Dies hier konnte nichts anderes sein als ein Forum für Wahnsinnige, ein Holodeck für Verrückte, eine abgefahrene Spielwiese, auf der sich am liebsten Wesen tummeln die nicht alle Tassen im Schrank haben. Mein unfreiwilliges Ziel wurde mir ganz nebenbei auch klar: Ich befand und befinde mich auf dem Weg in den Wahnsinn! Und die letzten 365 Schritte waren bereits längst angebrochen…
©Alf Glocker