Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

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von Alf Glocker

81. Schritt

Auch Selbstgespräche können zur Klärung bestimmter, sowie unbestimmter Sachverhalte beitragen. Aus diesem Grund ist es ebenso sinnvoll wie sinnlos Selbstgespräche zu führen. In Ermangelung eines geeigneten Gesprächspartners ist vor allem der Schizophrene schon fast gezwungen den Erfahrungsaustausch anderer Art herbeizuführen, denn der Wunsch nach bereichernder Kommunikation ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen, ob er nun völlig normal ist oder ob er im höchsten Grade spinnt.

Deshalb lasse auch ich manchmal die Parts meiner gespaltenen Persönlichkeit gegeneinander auftreten, um in Erfahrung zu bringen, was sich wohl nur so in Erfahrung bringen lässt.

Solche Gespräche beginnen manchmal mit den absurdesten Worten…

„E-N-I-G-M-A!“

„Wie bitte?“

„Enigma!“

„Ja, danke, und was soll ich damit anfangen?“

„Es ist eine Botschaft!“

„Aus dem Jenseits?“

„Nein, aus dem Diesseits“

„Und was bedeutet sie?“

„Das muss jeder selbst herausfinden!“

„Warum?“

„Damit du einen Grund zum Arbeiten findest!“

„Reicht es nicht, wenn ich die Augen aufschlage?“

„Ich glaube nicht. Der Mensch braucht doch immer Erklärungen – er sucht nach einem Sinn“.

„Und wenn er blöd ist?“

„Dann sucht er den Blödsinn, aber irgendetwas muss sein! Man muss sich seine Existenz schon irgendwie erklären können. Das ist gewissermaßen ein Zwang“.

„Muss ich mir etwas erklären? Ich sehe doch alles vor mir!“

„Was denn?“

„Die Straße, das Haus, das Feld, andere Menschen, die Sonne, den Mond und die Sterne – die ganze Welt sozusagen“.

„Das Universum – dein Universum?“

„Wenn man so will, ja!“

„Sieh nur, das Universum ist nicht deutlich!“

„Wieso? Ich kann es doch sehen!“

„Was denn?“

„Die Sterne zum Beispiel!“

„Und was glaubst du zu sehen?“

„Sterne eben!“

„Ja, Sterne eben. Aber das ist nur ein Eindruck, dein Eindruck. Du siehst sie ja nicht wirklich!“

„Wieso?“

„Weil sie so, wie du sie siehst, schon lange nicht mehr aussehen. Manche sind vielleicht schon gar nicht mehr da, aber du siehst sie noch.“

„Ich sehe sie, wie sie für mich aussehen, das genügt. Das gehört zu meiner Welt“.

„Zu deinem Weltbild!“

„Und?“

Dein Weltbild ist falsch!“

„Wie soll ich mir dasss denn vorstellen?

„Ungefähr wie ein Gerät zur Verschlüsselung militärischer Geheimnisse.
Das Universum tippt ein U, aber ein K kommt bei dir an. Und genauso ist es mit allen anderen Dingen auch – du siehst was du siehst, aber die Wahrheit ist es nicht, weil die vorher verschlüsselt worden ist.“

„Wodurch?“

„Beispielsweise durch dein eigenes Gehirn!“

„Wie darf ich das verstehen? Willst du mich beleidigen?“

„Keineswegs! Aber du bist selbst ein Teil des Universums: du sendest verschlüsselte Signale aus, beziehungsweise in dich hinein.“

„,Kgp49ghi?“

„Genau! So sieht es aus! Du müsstest der Schöpfer des Universums, sprich das Universum selbst sein, um alle deine Teile verstehen zu können. Du bist eine winzige Kreation, ein Versuch des Universums sich selbst zu entschlüsseln, eine spezifische Art des Verstehenwollens, nichts weiter. Deine Denkweisen sind allen anderen Geschöpfen nicht geläufig, auch wenn es scheinbar gewisse Übereinstimmungen gibt. Doch wer kann schon wissen, ob das nicht wieder eine Fehlinterpretation ist wenn man eine Übereinstimmung entdeckt zu haben glaubt. Denk an die Sterne…“

„Du meinst also…??“

„Natürlich! Alle Teilchen des Universums senden verschlüsselte Informationen an alle anderen Teilchen aus, so wie sich alle Galaxien von allen Galaxien entfernen. Während die Zeit vergeht werden die Abstände immer größer und die Informationen immer komplizierter. Ganz leicht erkennbar ist das an langjährigen Ehepartnern: sie verstehen sich immer weniger, je länger sie sich kennen und die Annahme, es habe bestimmte Übereinstimmungen gegeben, löst sich in Rauch auf. Es sei denn sie sind entweder einfach gestrickt, oder sie schalten sich zwanghaft gleich. Gleichschaltung ermöglicht Einfachheit, oder Alzheimer. Im Vergessen liegt das Glück, nicht aber die Lösung von Problemen. Im Gegenteil! Sie treten nur anders auf!“

„Ich muss also alle, bei mir eingehenden Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen?“

„Klar, aber während du das tust verändert sich die Wahrheit auch schon wieder!“

„Hä?“

„Na, ganz klar – irgendwer versucht dich übers Ohr zu hauen, oder dich zu lieben, dir was zu schenken, dich zu berauben, was auch immer, und während er das versucht, verändert sich doch die ganze Welt um euch beide, euch drei, euch 1000, euch 8 Milliarden. Dadurch ist der Ausgang des Planes, dich zu lieben, zu beschenken, zu bestehlen, zu betrügen, bereits wieder ungewiss, weil sich die äußeren Umstände verändert haben. Du kommst also zu dem Ergebnis, ich, du, er, sie, es will dich bestehlen, beschenken, usw. aber das ist bereits am Fehlschlagen, eine Täuschung demnach, weil er, sie, es, du nicht bedacht hat/haben, daß folgendes…………….. passiert ( an dieser Stelle kannst du das Ereignis eintragen, wenn du herausgefunden hast welches es war).“

„So einen Blödsinn hab ich schon lange nicht mehr gehört! Da wäre ja mein, nein alles Denken vollkommen überflüssig!“

„Wenn man es ernst nimmt, auf alle Fälle!“

„Aber ich muss doch mein Denken ernst nehmen, wenn ich – und sei es nur für mich – etwas bewirken möchte. Oder ich will nicht erfolgreich sein. Dann bin ich weltabgewandt, oder irgendwie nicht ganz koscher.“

„Das ist nun wieder dein Eindruck. Du bist erneut auf Enigma hereingefallen!“

„Auf wen?“

„Auf das Verschlüsselungsgerät!“

„Und wie kann ich dem entgehen?“

„Eigentlich gar nicht – oder durch konsequentes Nachdenken.“

„Harharr!“

„Nein, im Ernst! Jeder sollte einfach mal nach seiner Fasson denken, dann sieht er schon…“

„Und was wird damit bezweckt?“

„Das Überleben!“

„Wie jetzt??“

„Im Prinzip ganz einfach: das Verschlüsselungsgerät produziert ein X für ein U, du versuchst es zu lesen und je mehr du glaubst etwas herausgefunden zu haben, desto weniger kannst du mit dem Ergebnis anfangen. Tust du jedoch das spiegelverkehrt Gleiche, produzierst du ein U für ein X, dann kommst du der Sache schon näher. Dafür brauchst du aber keinen Verstand, sonder nur den Instinkt, einen Mechanismus also. Wenn du das oft genug wiederholst beginnst du an dich zu glauben, du wirst sozusagen zu einem glaubensmechanischen Gegengerät, dem es gar nicht mehr darauf ankommt worum es dem Universum ursprünglich ging. Und das ist die Wahrheit: ein stupider Mechanismus entschlüsselt einen stupiden Mechanismus, der stupide Mechanismen begünstigt. Wahnsinn gegen Wahnsinn also – und diese beiden Begriffe, die im Grunde ein einziger sind, egalisieren sich gegenseitig. Man muss nur kapiert haben wie das Gegenüber gestrickt, also, daß es ein Mechanismus ist“.

„Ist das nicht zum Verrücktwerden?“

„Selbstverständlich! Und selbstverständlich nicht – mit allen denkbaren Zwischenstufen! Das sind die Spielregeln!“

„Und wer entscheidet schließlich?“

„Na, wer wohl?!“

„Enigma?“

„E-N-I-G-M-A!“

Daß ich am Ende solcher hausgemachter Diskussionen völlig erschöpft in den angewandten Zweck-Optimismus hinein resigniere, dürfte hiermit ausreichend beschrieben sein. Wenn nicht, wiederhole ich noch einmal:
„ich bin, weil ich bin und weil ich bin, bin ich was ich bin, da ich nichts anderes sein kann und genau deshalb bin ich auch aufgerufen, zu denken was ich denken kann – richtig ist es allemal. Und wenn nicht, dann hat das Universum noch andere Lösungen auf Lager, die darauf hinauslaufen einen Schein zu erzeugen der glänzen möchte.

©Alf Glocker

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