122. Schritt
Als ich selbst noch ein Kind war wollte ich möglichst schnell eigene Kinder haben. Dieses Denken erfolgte aus dem puren Egoismus heraus, denn ich wollte an ihnen etwas vollziehen: geben wollte ich ihnen, was ich selbst nicht erhalten konnte. Verständnisvolle Eltern z.B., Hinwendung, Aufmerksamkeit und die Sorge, daß nichts was sie sich wünschen unerfüllt bleibt.
Dümmer konnte ich also kaum noch werden, dachte ich damals. Daran, daß ich zu diesem Zeitpunkt die höchstmögliche Entwicklungsstufe meines Geistes erreicht hatte, dachte ich nicht im Traum!
Denn in der Folgezeit ließ ich mir den Restbestand intakter Instinkte – falls ich so etwas überhaupt jemals besessen hatte – ab-erziehen. Meine Altvorderen betrachteten als gefährlich was ich sagte, denn sie waren klug und wussten wovon ich sprach. Sie verboten mir, ab sofort den Umgang mit Vertretern des anderen Geschlechts, dabei war ich noch nicht einmal in der Pubertät.
Sofort fing ich an zu degenerieren. Ich zog völlig falsche Schlüsse aus der elterlichen Entscheidung und kombinierte: also entweder haben Mädchen einen ganz schlechten Charakter, oder sie sind quasi überirdische Wesen, die man mit Leuten wie mich erst gar nicht konfrontieren darf.
Beides war natürlich falsch, aber woher sollte ich das wissen?! Ich spielte bald nicht mehr mit Mädchen, nur noch mit Fantasien – und wenn diese sich so langsam immer öfter um Mädchen drehten, dann vermutete ich für mich richtig, daß ich nichts weiter als ein Verbrecher sei und es doch notwendig gewesen war, mich von Engeln fernzuhalten!
Und meine Fantasie entfernte sich aus dem Bereich des Lebens und Treibens, des lebendigen Treibens in den Bereich idealer Strukturen hinein, wo es eine Welt gab, in der alles von selbst in Ordnung kam. Außer mir selbst natürlich, denn ich war schließlich der einzige dem man nicht über den Weg trauen konnte.
Um mich herum existierte die Herrschaft reifer Menschen, die das was sie taten aus edlen Beweggründen taten. Sie arbeiteten, damit der Staat über Mittel verfügen konnte, die nützlich für seine Bürger waren, sie benutzten ihre Geschlechtsteile um Kinder zu zeugen. Zu nichts sonst.
Ich hingegen dachte, im Zusammenhang mit Arbeit, nur an den persönlichen Wohlstand und im Zusammenhang mit Geschlechtsteilen ausschließlich an Spaß. Daran konnte man sehen wie unmoralisch und staatsuntauglich ich war. Sogar meine eigene Familie musste sich vor mir in Acht nehmen!
Völlig verblödet wurde ich so etwas wie erwachsen, praktisch ohne Kontakte zur Außenwelt. Mit meiner verbrecherischen Veranlagung hatte ich mich inzwischen weitestgehend abgefunden. Von Liebe verstand ich nicht die Bohne, nicht einmal das was die Erwachsenen darunter verstanden, nämlich einfach sich lustvoll abzureagieren.
Meine Welt war rein abstrakt und meine Ansprüche an die Realität waren inzwischen so hoch wie ich niedrig war, denn wer die Frechheit besaß von mir einen einwandfreien Charakter zu erwarten, der sollte erst mal selber einen vorweisen können.
Mein Suchen nach Menschen oder menschenähnlichen Wesen erstreckte sich mittlerweile auf mehr, als alles was in den Lichtkegel meiner Diogenes-Laterne geriet. Ich betrieb intensive Forschungen in eigener Sache und stieß schließlich auf eine Spezies, die zwar, der eigenen Sichtweise nach ehrlich war, aber leider gar nicht bemerkte was sie wirklich tat.
Keines dieser Individuen hielt meinen Prüfungen stand. Sie waren zwar alle, zugegeben, gewissermaßen „teamfähig“, aber sie forderten, einer wie der andere, ignorant den Teil ein von dem er glaubte, daß er ihm zustand. Im Klartext hieß das, sie logen und betrogen, die übervorteilten sich, sie jagten sich ins Bockshorn, wo sie nur konnten, da konnten sie sein, wer oder was sie wollten, Bauer, Unternehmer, Pfarrer, Polizist, oder Lehrer.
Nun erst begriff ich, was meine Eltern gemeint hatten, als sie mir den Umgang mit dem anderen Geschlecht verboten… Nachdem sie wussten, daß früher oder später der reine Spaß dabei herausgekommen wäre und ich mich sicherlich „aus Versehen“, ganz beiläufig fortgepflanzt hätte, wollten sie einfach meinen Irrtümern vorbeugen.
Daß auf diese Weise leider andere, noch schlimmere entstanden sind, konnten die guten Leutchen ja nicht ahnen. Und ich konnte nicht wissen, was sie mir eigentlich sagen wollten: „Junge, halte dich mit Bedacht zurück, denn diese Gesellschaft ist im höchsten Maße gefährlich – keiner hilft dir wenn du Opfer deiner Lust geworden bist, und wir müssen dann alle zusammen ausbaden was du in deiner grenzenlosen Naivität angestellt hast.
Nun war ich endlich klug aus dem Leben geworden, aber das half mir jetzt auch nichts mehr. Ich steckte zu tief in den Verstrickungen der einzigen, wirklichen und absoluten Logik, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte! Und die lautet: „Verstehe, bevor du etwas tust!“ Ganz nebenbei bemerke ich, daß dies der größte Blödsinn ist, den man nur denken kann, denn wenn man das alleine denkt, dann wird man zum Opfer des Wahnsinns – und zwar noch bevor die Wahnsinnigen zu ihren eigenen Opfern geworden sind…