Schon am frühen Morgen steht er stocksteif vor meinem Bett und beobachtet mich mit quadratischen Augen beim Aufstehen. Wenn ich ihn erblicke möchte ich gleich wieder einschlafen und – jahreszeitlich unabhängig – von Schnee träumen, denn dann werden alle meine Glieder winterlich schwer.
Sein offenstehender Mund kommt nicht vom Staunen, sondern von seiner unglaublichen Einfalt. Sein Name ist Jagodir Gleichgult und so benimmt er sich auch. Seit ca. einem Jahr ist er mein Buttler. Ich hatte die Stelle zwar nicht ausgeschrieben, aber er hat sie einfach trotzdem angetreten.
Er erledigt nichts für mich, er steht einfach nur da! Er meint – selbstverständlich ohne Worte – daß er eine eindeutig beratende Funktion habe, ob ich das nun einsehen könne, oder nicht. Wie sehr mich das beruhigen soll weiß ich nicht…
Also tue ich so, als gäbe es ihn gar nicht. Doch das ist schwierig, denn, selbst wenn ich ihn nicht direkt anschaue, fühle ich überall seinen grauen Schatten!
Manchmal habe ich einen Traum, einen Wiederholungstraum! Er spielt in einem Schloss in den Wolken. Von dort aus überblicke ich einen Mangrovensumpf. In den Ästen der Bäume tanzen die wilden Affen. Sie schreien und quietschen!
Manchmal üben sie sich im Fangen. Immer wenn jemand einen anderen erwischt hat, teilt sich der Erwischte – dann werden sozusagen aus einem Affen zwei! Wenn mehrere aufeinander losgehen, dann zerreißen sie sich in der Luft! Das ist kurzweilig.
Manche Affen schwingen Taktstöcke und brabbeln dabei unverständliches Zeug, damit die Luft scheppert. Andere sammeln faules Obst, das sie aus den angrenzenden Paradies-Gärten geklaut haben.
Oft wache ich schweißgebadet auf. Sobald ich jedoch bemerkt habe, daß bei mir alles beim Alten ist, nähert sich Jagodir Gleichgult und wischt mir die Stirn mit einem säuregetränkten Tüchlein ab, damit ich nicht völlig abstumpfe, denn erst wenn mir das Blut von oben in die Augen tropft, akzeptiere ich es, handeln zu müssen, wie es die Situation erfordert.
Gleichgult rät mir demgegenüber aber auch, ich soll nicht oft an wilde Affen denken, sondern mich mehr auf Dinge konzentrieren, die ich besitze. Sie seien, so meint er, wertvoll für mich, schön und warmherzig – zumindest im Vergleich mit den Affen. Denn sie empfänden wie ich empfinde, sie seien mir treu, solange sie der Zahn der Zeit nicht zernagt und sie liebten mich, wenn ich sie nur liebte. Ihre Forderungen an mich seien nur welche, die ich selbst an mich stelle.
Während ich hemmungslos und wohl auch ein wenig verzweifelt vor mich hin staune, erzählt er mir die Geschichte von einem Gott, der Angst vor dem Alleinsein hat. Er sitzt im Vakuum und friert. Er blickt um sich, kann aber nirgendwo etwas entdecken.
Leider weiß er genau, wenn er jetzt zu denken anfängt, dann kommt nichts Gescheites dabei heraus. Gescheit, im Sinne von insgesamt gut, von sanft und harmonisch, von rücksichtsvoll und mitfühlend. Aber nach einiger Zeit fängt er zu „schöpfen“ an.
Fürchterliches entsteht: er verliert seine Identität, sein Gedächtnis, aber auch den größten Teil seiner Angst. Und auf einmal sind da nicht nur Nebel und Sterne, sondern auch Welten, ja, sogar Traumwesen, die aussehen wie er. So beginnt er zu hoffen! Er entdeckt das Größte was ihm je zu erfinden gelang – die Verschiedenartigkeit der Geschlechter. Und das, so glaubt er jetzt, sähe einem Sinn schon täuschend ähnlich.
Denn ein Sinn ist auch plötzlich notwendig geworden, in dem aufgeschlüsselten Tohuwabohu, dem Chaos des lebendigen Seins. Und da ist der ängstliche Gott glücklich! Es ist ihm gelungen, sich selbst etwas vorzuspiegeln.
Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Ich fürchte mich vor einem Ende des Traumes, obwohl ich unbewiesenermaßen wach bin. Und dort, in der Ecke – eigentlich in allen Ecken und an allen Enden gleichzeitig – steht mein Buttler, der Gleichgult. Er ödet mich an! Sein unverschämtes Grinsen kann ich auch nicht mehr ertragen.
Ich weiß, er hat recht – ich habe alles was ich brauche: Gutes Essen, eine passable Unterkunft, meine gesammelten Augenblicke in Form dinglicher Werte, selbst geschaffen oder gekauft, den schönsten Job der Welt: mittelloser Künstler! Was will ich mehr?! (harharr!). Nur eines habe ich eben nicht – Ehre! Ich habe einfach keine Ehre! Ich bin niemals ein Mann geworden! Meine Ignoranzbereitschaft hält sich in Grenzen, ich kann niemanden beschützen, beherrschen und dergleichen. Ich kann mich nur immer wieder selber damit trösten das zu sein was ich bin.
Gewissermaßen kann ich hierbei von einer Zauberformel sprechen, die mich leichtfüßig die Grenze vom „Genie“ zum „Wahnsinn“ überschreiten lässt – und zwar täglich, jeden Morgen! Und die geht so: „Ich bin nicht Gott! – er ist nicht da! – ich bin nicht da! – es gibt keinen Gott außer Gott! – die `Wirklichkeit` ist mir nicht gleichgültig! – aber alles um mich herum schon!“
Wenn ich dann wieder mal soweit gekommen bin, diese Formel, gegen meinen Buttler, den Gleichgult, einigermaßen panisch anzuwenden, sehe ich alles deutlich vor mir: meine persönliche Subkultur, mein aufgeklärtes Wesen, sowie meine Angst alleine zu sein, mein ganz persönliches Vakuum! Intuitiv weiß ich, daß es eigentlich Zeit für eine Neuschöpfung wäre. Eine Neuschöpfung von was? von mir in wen? Von innen nach außen oder von außen nach innen, von jetzt auf gleich? von wegen?
Wovon spreche ich überhaupt? Ich schlafe doch noch und wenn ich in Bälde erwache, dann erblicke ich einen hilfreichen Buttler, der mir den Therapeuten ersetzt, dem ich von meinem Buttler erzählt habe und der es daraufhin aufgab mich weiter zu behandeln. Ich glaube, ich leg‘ mich gleich hin und wache ein, oder ich träume ganz einfach auf, von einem affenlosen Wolkenschloss mit ohne Geschlechtsteilen, verschieden oder nicht und außerdem überhaupt…
©Alf Glocker
Kommentare
Leider: Fiktiven Butler kann ich mir nicht leisten -
(Reicht nur zu Bertha Krause. Der DREISTEN!)
LG Axel
Richtig, Mensch, Du hast die Krause!
Das ist auch so eine Perle, die Dich nervt.
ich mach nur gelegentlich mal Pause -
von meinem Buttler eingeschärft.
Glück auf!
LG Alf
Lass dich nicht vom wilden Affen beißen!