Der Tod des Sardanapal

Bild von Michael Perkampus
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Das verabscheuungswürdige Gemälde über den Tod des Sardanapal, das heute im Louvre zu sehen ist, hat Eugéne Delacroix für eine Ausstellung im Jahre 1827 gemalt. Er hatte dabei nicht bedacht, daß jedes Gemälde auch die Gefahr des Einfrierens eines gewissen Augenblicks birgt, eines rätselhaften Momentes, der die gewesenen Dinge verstärkt und die zukünftigen Dinge erfindet.
Sardanapal liegt gleichmütig auf einem breiten Bett und betrachtet teilnahmslos, wie in seinem Gemach sämtliche Frauen von Dienern abgeschlachtet werden. Auch sein Araberpferd ist wie eine Frau mit Geschmeide und Perlen geschmückt und findet den Tod. Ein Diener hat das Messer tief in die Brust des Tieres gestoßen. Alles in allem werden hier die Vorbereitungen für den Freitod getroffen, denn der Feind (der soldatische Arbaces, dem sich alle Verräter der Stadt bereits angeschlossen haben) dringt bereits in die Stadt.
Ich erwähne das, weil die allgemeine Kunstkritik wie selbstverständlich davon ausgeht, es handle sich bei diesem Gemälde um eine Szene aus Byrons „Sardanapal“. Das ist jedoch nicht einzusehen, da sich in Byrons Tragödie der assyrische Herrscher mitsamt seinen Schätzen und mit Myrrha, einer ionischen Sklavin, an der sein Herz hängt, verbrennt. Von der Abschlachtung seiner Haremsfrauen ist darin nichts zu lesen.
Lange Jahre fand Delacroix für sein schockierendes Gemälde keinen Abnehmer, bis eines Tages im Jahre 1846 ein geheimnisvoller Käufer aus dem Nichts auftauchte. Dieser Herr bestand darauf, das Bildnis um jeden Preis zu erstehen, er selbst aber müsse vollständig anonym bleiben dürfen. Auf dem Blatt Papier, das ein Diener überbrachte, stand, daß der Überbringer sämtliche Befugnisse habe, die das Bildnis betreffe. Delacroix, der nicht umhin konnte, sein verschmähtes Werk nun endlich doch zu verkaufen, war allerdings nicht ganz einverstanden mit der Tatsache, rein gar nichts über den zukünftigen Besitzer in Erfahrung zu bringen und dachte bei sich, daß ein Mensch, der bereit ist, jeden Preis zu bezahlen, ebenso bereit sein müsse, andere Forderungen zu erfüllen.

Er gab dem Diener zu verstehen, daß er, Delacroix, ein derartiges Werk nicht in völlig unbekannte Hände geben könne. Der Grund sei dieser: Eingedenk der hohen gesellschaftlichen Welle und Kritik wäre es nicht undenkbar, daß man das Bild zu vernichten trachtete, und er, Delacroix, müsse sich in jedem Fall davon überzeugen können, daß er sich mit diesen Befürchtungen irre. Der Diener überbrachte die Nachricht, aber eine Antwort blieb aus. Delacroix war zur Hälfte amüsiert und zur Hälfte enttäuscht, denn er vermutete nun, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
An einem der folgenden Abende besuchten den Maler der Klaviervirtuose Chopin und die Schriftstellerin George Sand. Die beiden fanden Delacroix derart verstört vor, daß sie zunächst nicht wußten, was sie unternehmen sollten. Chopin gab seine Sonate g-moll, die für Klavier und Violoncello gedacht war (wobei den Cellopart Franchomme niedergeschrieben hatte). Seine Finger lagen zu Beginn auf e, fis, gis, h und c, sein Gesicht war hager und blaß wie immer. Der Maler indes, der die Musik Chopins sehr schätze, begann sich sichtlich zu entspannen, was nicht zuletzt daran lag, daß Frédéric ein Opus zum Besten gab, das ihn selbst sehr verunsicherte und das er in einem Moment rühmte, um es im nächsten doch wieder zu verwerfen.
George Sand, die später ein Buch herausgeben sollte, das die Gespräche zwischen den beiden unterschiedlichen Künstlern zum Inhalt hatte, verlor darin kein einziges Wort über jenen Abend. Sie erwähnte hingegen in ihren Tagebüchern, daß sie lange mit sich gerungen, dann aber entschieden habe, die Aufzeichnungen über die Konversation jenes Abends zu vernichten.
„Ich habe das Bild so gemalt, wie ich es beschrieben habe“ beteuerte Delacroix „aber anders, als es jetzt ist. An Sardanapals oberer rechter Seite fehlt Myrrha, die ionische Sklavin. Und erzähle mir nicht, ich kenne meine Bilder nicht mehr.“ George Sand schmauchte ihre Zigarre und notierte alles, was sie hörte. Und wenn nichts gesagt wurde, beschrieb sie das Schweigen.
„Warum hast du es auf diese Weise dargestellt? Das letzte Bild, dieses ... Massaker von Chios zeigte schon eine ähnliche Szenerie.“
„Weil Myrrha es mir so beschrieb.“
George Sand hörte zu schreiben auf. „Du bist überspannt. Wie lange warst du nun nicht mehr im Salon?“
Eugéne erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. „Das hat damit nichts zu tun. Glaubt ja nicht, daß ich derartiges erfinde. Ich bin kein Dichter!“ Er warf George einen gequälten Seitenblick zu und streifte damit ihr amüsiertes Lächeln.
„Frédéric, spiel mir eine Phantasie, damit ich mich sammeln kann. Ich will versuchen, euch alles zu erklären.“

„Was wollen Sie von mir?“ meinte Delacroix, hätte er die Dame gefragt. „Ich möchte nichts geringeres, als daß Sie mich retten“ sei ihre Antwort gewesen.
Sie erzählte von Sardanapal und daß das Feuer eine Lüge sei. Feige wie ein Hund habe er sich mit Gift das Leben genommen, während er den ganzen Harem niedermetzeln ließ. Sie aber sei entkommen. Ihr Name sei Myrrha.
Delacroix hielt die Frau für vollkommen delir, bat sie aber dennoch herein. Er dachte zunächst, daß es sich um eine Fanatikerin handeln müsse, die sich in die Orientalistik verstiegen hatte, die er ja durchaus selbst zu schätzen wußte. Als sie sich schließlich in seinem Atelier gegenübersaßen, fragte er sie: „Wie könnte ich Ihnen behilflich sein? Was glauben Sie?“
Ohne lange zu warten, so als sei es eine bereits ausgedachte Antwort auf eine erwartete Frage, sagte sie: „Malen Sie den Tod des Sardanapal! Malen Sie ihn ohne Feuer und zeigen Sie, was wirklich geschah.“
„Und was geschah wirklich?“
„Nicht, daß wir uns mißverstehen: Sardanapal fürchtete den Tod keineswegs. Er war für ihn nur ein endloser Schlaf. Die Sieger standen vor den Toren, jeder in der Stadt war bereits zum Verräter geworden. Niemand konnte und niemand wollte Widerstand leisten. Es schien, als wären ihm nur noch seine Frauen geblieben und einige seiner Diener, die ihm treu ergeben waren. Auch wir hätten davonlaufen können, aber wir taten es nicht.“
„Und warum nicht?“
„Es wird wohl Gewohnheit gewesen sein. Und die meisten von uns hätten sowieso den Tod gefunden. Damals waren Frauen nicht so viel wert, wie es heute in eurer seltsamen Welt der Fall ist.“

Delacroix mußte schallend

Veröffentlicht / Quelle: 
spatien - zeitschrift für literatur

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