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lachen, und Myrrha zuckte zusammen. „Lassen Sie das nicht in der Öffentlichkeit verlauten. Ich fürchte, man wird mit Ihnen nicht einer Meinung sein“ erwiderte der Maler vergnügt.
„Angenommen, ich würde das Bild malen. Was versprechen Sie sich davon? Soll ich nicht lieber Sie zeichnen?“
„Nein. Sie verstehen nicht. In dieser Nacht starben wir alle. Ich möchte noch einmal zurück in diese Zeit, in diesen Raum. Ich will, daß Sie mir meinen Körper in dieser Konstellation wiedererschaffen.“
„Mademoiselle, verzeihen Sie ... aber ich glaube ganz und gar, Sie haben den Verstand verloren.“ Er starrte sie an.
(Ich selbst übrigens bekam Kenntnis von dieser Unterhaltung durch eine handschriftliche Aufzeichnung, die ich in Paris bei einem Spaziergang zwischen Quai de la Tournelle und Quai Voltaire bei einem Bukinisten am Seineufer fand, als ich nach einem gänzlich anderen Manuskript Ausschau hielt. Es handelte sich um eine abgegriffene Broschur, und der Inhalt begann willkürlich und ungewohnt fahrig. Nirgendwo war ein Name verzeichnet. Dennoch war ich erstaunt, denn es schien das fehlende Puzzle der Gespräche zwischen Chopin und Delacroix zu sein, jenem Buch, das bei Michel Levy Fréres, Paris, in Erstauflage erschienen war. Ich gestattete mir diese Anschaffung zum sensationellen Preis von nicht mal einem Croissant. Und so erfuhr ich von dieser unglaublichen Geschichte.)
„Ein Getöse, als brächen alle Gewitter der Welt herein, war zu vernehmen. Die Mauern barsten an vielen Stellen gleichzeitig. Die Dienerschaft hatte bereits einen Scheiterhaufen errichtet. Denn von den Reichtümern im Palast, von den Leichen und den Ausschweifungen sollte nichts mehr übrigbleiben. Alle kostbaren Stoffe wurden aufgetürmt, mit Edelsteinen und goldenen Kelchen wurde die letzte Orgie gefeiert, trunkener Gesang mischte sich mit tausend Instrumenten. Die abgerichteten Löwen und Tiger, mit denen der Garten voll gewesen war, brüllten. Sie streiften nun durch den Palast und leisteten dem verbliebenen Hofstaat Gesellschaft, den Frauen und Günstlingen, den entehrten Priestern und Dienern.“
Mit weit aufgerissenen Augen erzählte Myrrha ihre Geschichte. (Laut Delacroix faszinierte ihn das visionierende Gesicht so sehr, daß er eine Studie begann, noch während sie da saß und so tat, als hätte sie das alles wirklich erlebt. Aus den Aufzeichnungen der George Sand ging hervor, daß Frédéric und auch sie selbst am ganzen Leib zu zittern begannen, so seltsam wirkte die Geschichte.)
„Warum wollte sie nun wirklich, daß du dieses Gemälde malst?“ wollte George von Delacroix wissen.
„Ich fürchte, genau aus jenem Grund, aus dem sie jetzt nicht mehr im Gemälde zu finden ist. Sie wollte, daß ich ihr ihren Körper zurückgab und zwar genau in der Form ihrer Erinnerung.“
„Ihr Zauberer! Macht, daß der Winter Rosen hervorbringt! Verdoppelt den Wein! Nehmt eure Herrschaft über die Elemente, um die Schönheit der Frauen göttergleich zu machen!“ So sprach Sardanapal, König der Assyrer, der es als sein ureigenstes Privileg verstand, daß Wunderwerke einzig seinem Vergnügen dienten. Und die Zauberer gehorchten. „Erscheint wie die Agave, denn sie entwickelt erst zum Lebensende hin Knospen!“ rief er den Frauen zu und gab den Befehl, alle mit dem Dolch zu töten, während er sich von seinem Mundschenk bedienen ließ.
Myrrha, dieses nackte, sinnliche Geschöpf, blickte im Raum umher, als würde sie etwas Bestimmtes suchen, etwas, das nur sie erkannte. Das Licht flimmerte, und als einer der Diener ihr das Messer an die Kehle setzte, tauchte der Pinsel auf, schob das Messer beiseite und umrahmte ihr Gesicht. In jenem Moment spürte sie zwei Dinge gleichzeitig: einen rasenden Schmerz, der ihr das Leben nehmen wollte und eine erfrischende Berührung, die ihre Lebensgeister aufstachelte. Aber noch etwas Drittes mischte sich darein: Das war genau jene Sekunde, die sie benötigte, um ein Bild in Auftrag zu geben.
„Am gestrigen Tage nun“ fuhr Delacroix fort, „kam der Bote erneut und verkündete, sein Gebieter möchte mich zu sich einladen. Er habe beschlossen, sein Geheimnis zu lüften. Meine Nervosität entging dem Diener nicht, wenn er sie auch falsch deutete, dachte er doch, ich sei in heller Aufregung wegen des mysteriösen Treffens. Das Problem lag aber nun auf der Hand: Ich konnte das Bild unmöglich verkaufen, denn sicher kannte der Interessent das Original. Nie-mand würde mir abnehmen, eine der Konkubinen sei über Nacht aus dem Gemälde verschwunden. Noch weniger würde man glauben, es handle sich darüber hinaus um jene Sklavin, die das ganze Gemälde bei mir in Auftrag gegeben hatte.“
„Das ist eine Geschichte wie aus einem Opiumtraum“, sagte George Sand, während Chopin kümmerlich und blasser denn je, regungslos an dem kleinen Flügel hockte. „Als nächstes wirst du uns erzählen, der unbekannte Kunstkenner sei ebenfalls aus dem Gemälde entstiegen.“
Delacroix blickte sie leidgeplagt an. „Nicht ganz.“
Eugéne goß sich einen Gin in sein Glas und sagte dann: „Diesen Herren hatte ich auf dem Gemälde nicht bedacht. Es handelte sich um den treuesten Diener des Assyrerkönigs, und sein Name ist Pania. Myrrha zufolge war er es, der ihr das Messer an die Kehle setzte, um sie zu töten.“
„Aber es gelang ihm nicht, weil du sie maltest?“ George vergaß beinahe, weiter zu schreiben.
„Genau so ist es. Myrrha hatte mir erzählt, sie sähe die einzige Möglichkeit zu entkommen darin, sie von ihrem menschlichen Körper in das Gemälde zu versetzen. Ihr bliebe nur eine Sekunde, und ich müßte mich also sofort entscheiden. Selbstverständlich war ich davon überzeugt, es handle sich um den barsten Unsinn, den mir je ein Mensch erzählen könnte. Auf der anderen Seite fand ich ihre Erscheinung höchst anregend, und so stimmte ich dem Vorhaben zu. Ich dachte mir, ein solches Werk passe sogar zu mir. Ich erinnerte mich, daß auch Byron eine Verserzählung über den spektakulären Selbstmord des verweichlichten und weibischen Herrschers geschrieben hatte.
Ich lächelte Myrrha an in der Hoffnung, sie merke nicht, daß ich sie für eine Wahnsinnige hielt, und ich gab ihr zu verstehen, ich würde heute noch mit dem Skizzieren beginnen. Eine Sekunde aber würde sicher nicht ausreichen. Daraufhin gab sie ein merkwürdiges Gleichnis über die Zeit zum Besten, das ich nicht ganz verstand und das ich deshalb auch nicht wörtlich wiedergeben kann. Es besagte in etwa, daß die Zeit an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich flösse. Was sollte ich darauf geben?
Nun, das Bild wurde gemalt und wie ihr wißt, wurde es nicht gerade bejubelt. Ganz im Gegenteil versagt man mir die Anerkennung bis heute.“
„Aber warum ist sie erst nach all den Jahren aus dem Bild entflohen?“
„Ich glaube, weil sie wußte, daß man ihr wieder auf den Versen war.“
„Ich habe heute keine Lust mehr, zu präludieren.“ Chopin erhob sich. „Ich finde, wir sollten uns in den Pariser Salon begeben und über etwas anderes reden.“
„Eines würde mich noch interessieren“, sagte George Sand, „hast du diesem Pania von der verschwundenen Konkubine erzählt?“
„Das mußte ich nicht. Er wußte bereits, daß Myrrha wieder entkommen war. Nur diesmal hatte er keine Möglichkeit mehr, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Er zog das Angebot zurück und riet mir, nicht weiter über Geschichte nachzudenken. Er sagte, unsere Vergangenheit sei eine einzige erfundene Tatsache. Manche Menschen fänden seltsame Wege, ihrem Schicksal zu entgehen, nur um ein neues anzunehmen, von dem sie ebensowenig wüßten. Worte sind Worte, Gemälde sind Gemälde, Ereignisse sind Ereignisse. Nichts ist wahrer als etwas anderes, nichts wiegt schwerer.“
„Hat er gesagt, was er nun zu tun gedenkt?“
„Ja“ schloß Delacroix: „Er sagte, er werde sich eine Metapher suchen, in die er entschwinden könnte.“