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geschrieben.
»Was brauchst du?«
»Du bist hier um die Akten und Festplatten zu entsorgen, oder?« »
Ja, ich wurde beauftragt.«
»Die wollen etwas vertuschen. Ich will dir die Details ersparen, aber du musst eine Akte retten und jemandem übermitteln. Es geht um Akte 576 im Aktenschrank 4, Kategorie F. Du musst es zu Johannes Frankendorf bringen. Ich weiß nicht, wo er wohnt oder seine Telefonnummer, aber er wird wahrscheinlich noch in der Nähe wohnen.«
»Lässt du mich dann gehen?«, fragte ich.
»Ja. Das ist alles.«
»Okay, ich mach's.«
»Notier dir alles. Du kannst dann auch meine Festplatte ausbauen und weitermachen.«
Ich machte ein Foto mit meinem Smartphone und der Computer fuhr herunter. Ich machte mich daran die Festplatte auszubauen. Was für ein verrückter Scheiß. Ich ertappte mich mehrfach dabei wie ich über meine Schulter schaute. Bei jedem kleinen Luftzug und jedem plötzlichen Geräusch bekam ich eine Gänsehaut, aber ich machte weiter und baute erst die restlichen Festplatten aus, bevor ich mich den Akten widmete, da ich das Gefühl hatte, dass ich mit dem Ausbau einen weiteren Zwischenfall vermeiden könnte, auch wenn es mir seltsam vorkam, dass er, sie oder es Zugriff auf die Schiebetüren hatte – wahrscheinlich hatte ich gar keine Kontrolle darüber. Normalerweise hätte ich mir das nicht angetan und wäre abgehauen, aber ich brauchte das Geld unbedingt. Letzten Endes öffnete ich mit einem Schlüssel die Aktenschränke und fand auch bald die besagte Akte. Ich legte sie erst zur Seite und als ich fertig war, ganz oben auf den restlichen Stapel. Tatsächlich hatte die letzte Kiste gereicht, es waren nicht so viele Akten dort gewesen, wie ich erwartet hatte. Es war mittlerweile 19 Uhr und ich verließ das Gebäude mit der letzten Kiste – ganz ohne Zwischenfälle. Endlich war ich da raus. Eigentlich hatte ich mit dem Rauchen aufgehört, aber das Erste, was ich tat, als ich die Straße betrat, war nicht zum Bus zu gehen, sondern zu einem Kiosk und eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug zu holen. Was war das gewesen? Ich schaute mir das Foto an, dass ich geschossen hatte und da war dieser Text. Niemand würde mir glauben – ich hätte den Text ja auch selbst tippen können. Ich inhalierte den Rauch tief und machte mir nochmal die Absurdität der Situation bewusst und ich starrte auf die Akte. Dann kam mir ein Gedanke. Ich nahm die Akte und schlug sie auf. Es ging um einen Mitarbeiter. Frankendorf. Frankendorf? Aber der Vorname war anders; Wolfgang. Ein Verwandter von Johannes Frankendorf? Ich las, dass Wolfgang Frankendorf anscheinend sehr lange angestellt gewesen war und anscheinend mit der Zeit immer häufiger aufgrund von Lungenproblemen fehlte. Er wurde schließlich gefeuert; die Erklärung war recht undurchsichtig. Ich schlug die Akte wieder zu, warf sie in die Kiste und rauchte fertig, bevor ich mich zur Busstation aufmachte. Als ich Zuhause war, warf ich mich einfach aufs Bett – ich würde morgen das ganze Zeug vernichten. Im Bett schrieb ich meinem Auftraggeber, dass alles erledigt wurde und erhielt kurz darauf eine Nachricht, dass sie mir das Geld morgen überweisen würden.
Danach deckte ich mich zu und schlief ein.
Nach einer traumlosen Nacht wurde ich morgens von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Ich stand auf, machte mir einen Kaffee und setzte mich an den Computer. Ich zögerte einen Moment, aber schaltete ihn schließlich ein und öffnete Brave. Ich tippte die Adresse des Büros ein – irgendwas musste es ja auf sich haben. Langsam konnte ich mir nicht mehr einreden, dass es ein seltsamer Scherz auf meine Kosten war, aber was sollte es sonst sein?
Schnell fand ich ein paar Artikel: Das Büro wurde damals anscheinend geschlossen, da das Haus von Asbest durchsetzt war. Das erklärte auch die Lungenprobleme. War das der Geist dieses Mitarbeiters gewesen? Anscheinend wurde es vor über zehn Jahren geschlossen und eine Klage sollte in den nächsten Wochen angestrebt werden. Deswegen jetzt die Eile. Das erklärte es.
Ich machte mich daran die Festplatten einzeln zu zerstören und warf die kaputten nacheinander auf einen Stapel. Danach schredderte ich die Akten im Aktenvernichter und packte schließlich die Werkzeuge in einen Karton, um ihn morgen zurückzusenden. Es war kurz nach eins nachdem alles erledigt war und dann machte ich mich auf die Suche nach Johannes Frankendorf. Eine kurze Recherche bei DuckDuckGo zeigte mir, dass er in derselben Stadt wohnte und in einem Büro arbeitete; lag wohl in der Familie. Im Telefonbuch fand ich dann tatsächlich seine Privatnummer und wartete bis 18 Uhr, um dann anzurufen. In der Zwischenzeit suchte ich weitere Artikel zu dem Büro, dass ich ausgeräumt hatte. Pünktlich zum Glockenschlag ging ich raus zur nächsten Telefonzelle, warf ein paar Münzen ein und rief an. Irgendwie kam es mir falsch vor von meinem Smartphone aus anzurufen. Nach dem zweiten Klingeln wurde auch direkt abgenommen.
»Guten Tag, ich habe etwas für Sie, was Sie interessieren könnte.«
»Wer sind Sie? Und was wollen Sie für mich haben?«
»Ich habe eine Akte im Besitz. Über Wolfgang Frankendorf. Und soll Sie Ihnen geben. Wie kann ich Ihnen die Akte am besten zukommen lassen.«
Für einige Momente hörte ich nur das Atmen am anderen Ende der Leitung.
»Was wollen Sie für die Akte meines Vaters?«
Ich hielt inne. Das war nicht geplant gewesen. Anscheinend war ich zu lange irritiert, denn am anderen Ende der Leitung wurde wieder gefragt.
»Kommen Sie, was wollen Sie?«
»Tausend«, presste ich hervor.
»In Ordnung. Wann? Wo?«
»Können Sie heute noch?«
»Ja. Wo?«
»21 Uhr vor dem Büro, in dem Ihr Vater gearbeitet hat.«
»In Ordnung, bis später.«
Ich hängte den Hörer wieder ein und ging zurück zu mir Nachhause. Das war eine große Sache. Eine richtig große Sache. Niemand würde ohne zu Zögern tausend Euro rausrücken, wenn das Dokument nicht wichtig wäre. Hätte ich mehr verlangen sollen?
Wieder in meiner Wohnung lud ich mein Smartphone auf und überlegte, was ich als nächstes tun sollte. Wenn es so wichtig war, würde ich Probleme bekommen, aber ich wollte nicht auf die tausend Euro verzichten. Dieser verdammte Geist oder was auch immer das gewesen war, sollte schön in dem Büro bleiben. Für immer. Ich war niemandem etwas schuldig und die tausend Euro seines Sohnes waren eine angemessene Entschädigung für die Angst, die mir sein Vater oder was auch immer das war, gemacht hatte. Nur der Ort, den ich gewählt hatte, gefiel mir nicht. Aber was sollte passieren? Sollten die ganzen Rechner aus dem Fenster springen und mich anfallen? Ich grinste. Aber dann überlegte ich direkt wieder. Wie sollte ich die Situation lösen? Ich ging an meinen Computer und schaltete ihn wieder ein. Sobald mein Desktop sichtbar war, öffnete ich OpenOffice. Ich kopierte einfach einen Wikipediaartikel über Portugal hinein und druckte das Dokument aus – dann schredderte ich das richtige Dokument und legte die Papiere in die Akte. Als es 20:10 Uhr war, ging ich zum Bus, fuhr wieder die vier Stationen und stellte mich vor dem Büro hin. Was sollte ich machen, wenn er erst den Inhalt sehen wollte? Irgendwie würde das klappen, irgendwie musste das klappen.
Es war kurz vor halb 9 als ich anfing eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, die ich immer weit von mir wegschnippste, weil ich plötzlich den irrigen Gedanken hatte, dass man eine DNA Analyse machen könnte. Die Fingerabdrücke auf der Akte würden mich ja schon allein überführen.
Immer wieder drehte ich mich zu dem Gebäude hinter mir um, die ganze Atmosphäre war extrem unangenehm. Um kurz vor neun kam ein Mann mittleren Alters auf mich zu. Unauffällige Kleidung, ein dunkles Freizeithemd.
»Warten Sie auf mich?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich knapp.
»Haben Sie die Akte?«
Ich hielt sie hoch und er wollte nach ihr greifen, aber ich zog sie zurück.
»Erst das Geld.«
»Woher haben Sie die Akte?«
Ich zögerte.
»Das kann ich nicht sagen.«
Er hielt den Kopf für einen Moment schief, sagte aber dann: »In Ordnung. Tausend, ja?«
Ich nickte.
Er gab mir einen prall gefüllten Briefumschlag. Ich öffnete ihn und einige Fünfziger sahen mir entgegen.
»Passt.«
Ich lief an eine etwas dunklere Stelle, gab ihm die Akte und ging ohne ein weiteres Wort. Schritt für Schritt, die Gedanken leer, nur eine tiefe, tiefe Angst gleich erwischt zu werden. Als ich am Ende der Straßenecke war, hörte ich ihn schließlich rufen und rannte los. Ein paar Seitenstraßen weiter versteckte ich mich in einem Hauseingang und erst nach einer Stunde fühlte ich mich sicher genug, um in die Richtung meiner Wohnung zu gehen. Die Fünfziger in meiner Tasche fühlten sich zwar gut an, aber meiner Angst hatte die ganze Aktion nicht gut getan. Ich war sehr vorsichtig, während ich nach Hause wanderte, und mied die größeren Straßen. Schließlich stand ich endlich vor meiner Haustür, sah mich noch einmal um, öffnete sie dann, stieg in den Aufzug und war einfach froh, dass es vorbei war. Die Türen schlossen sich und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Langsam wurde ich nach oben gebracht, aber plötzlich – alles dunkel! Stromausfall?
Mein Herz raste, und dann spürte ich wie mein Smartphone kurz vibrierte. Ich griff danach und war froh ein bisschen Licht zu haben, aber das was ich auf dem Display sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Bildschirm war komplett weiß, nur ein großes FICK DICH prangte darauf und wenige Sekunden später ging das Smartphone komplett aus. Panisch versuchte ich es wieder anzuschalten, aber es klappte nicht. Immer wieder drückte ich auf den Knopf an der Seite, aber nichts passierte. Ich griff nach dem Notknopf im Aufzug und drückte ihn. Kein lauter Alarm, nichts. Scheiße.
Dieses Etwas war mir bis hierher gefolgt und es wusste, was ich getan hatte.
Hätte ich nur die Treppe genommen.