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Senegal, Jahreswechsel 1973-74
Wir trafen uns an einem Strand,
an deinem Strand, in deinem Land.
Du fandest uns, so sag ich mal,
ein schwarzer Junge in Senegal.
Wir wurden schnell und gut bekannt.
Du, in deinem zwölften? Lebensjahr,
wir, ein damals junges Urlaubspaar,
sprachen englisch miteinander.
Es ging gut, nicht durcheinander.
Französisch, Wolof deine Sprachen war'n.
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Dreizehn Jahre nachdem Senegal von Frankreich unabhängig wurde, war es Zeit dieses afrikanische Land zu besuchen. Den eigentlichen Anstoß gab mir ein Artikel im Spiegel Juni 1973, der mich neugierig machte. "Das wäre doch ein Weihnachts- und Neujahrsgeschenk für deine Verlobte," - flüsterte ein Gedanke mir zu - "ihr seht euch doch nur am Wochenende!".
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Anmerkung
Wir waren nicht verlobt, aber wohnten seit einem Jahr zusammen - im schönen Königstein bei Frankfurt. Wir hatten keinerlei Anknüpfung an diesen Ort. Sie wohnte bisher in einer Kleinstadt in Schweden, ich hatte meine Adresse bei den Eltern und den Arbeitgeber in Düsseldorf, war aber selten dort. Ich war ein reisender Jung-Ingenieur. 1970 schickte mich mein Arbeitgeber nach Ravensburg. Die besagte "Verlobte" - mit dem altschwedischen Namen Gullan - war bereits dort, in der selben Firma. Sie hatte eine Anstellung für ein Jahr, hauptsächlich um Deutschland und dessen Sprache kennenzulernen. Der Zufall wollte, dass auch wir uns kennenlernten "in jenem Blumenmai". Nach einem guten halben Jahr musste sie wieder zurück in ihre Heimat und ich, etwas später, nach Erlangen.
1971 war ein schwieriges Jahr. Wir wollten wieder zusammenkommen, aber wie und wo?
Das ist jedoch eine andere Geschichte.
Ab Ostern 1972 hatten wir also eine kleine, möblierte Mietwohnung im feinen Königstein. Gullan bekam umgehend eine Anstellung in Oberursel, 10 km von Königstein. Es waren gute Zeiten damals. In einer kleinen Firma mit netten Kollegen und Kolleginnen fühlte sie sich sofort wohl. Dies war wichtig, denn mittlerweile hatte ich eine Aufgabe auf der Baustelle des Kernkraftwerkes Biblis A, 75 km von Königstein.
Für meine Frau in spe war dies dennoch eine große Umstellung. Am Wochenende und Mittwochs pendelte ich, Montag, Dienstag und Donnerstag übernachtete ich in Worms.
1973 schickte man mich wieder nach Erlangen. Nun kam ich nur am Wochenende nach Hause (250 km). Allerdings bekam man damals jeden Monat zwei freie Tage extra. Dennoch, dies war auf Dauer kein Leben. 1975 hatte das Schicksal ein Einsehen: es schickte mich (und damit Gullan) für vier Jahre nach Forsmark, Schweden. Dort angekommen, wusste ich nach nur wenigen Tagen: wenn die beiden Kraftwerke nach ca. vier Jahren fertig sind, werden wir in Schweden bleiben. Mein Arbeitgeber durfte dies natürlich nicht wissen.
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Das Geschenk sollte also eine Reise nach Senegal sein. Ich hatte mir vorgenommen, zwei längere Reisen pro Jahr vorzuschlagen, als kleinen Ausgleich für die vielen Tage, die meine Partnerin alleine verbringen musste.
Im Spiegel las ich, dass Neckermann und Reisen (NUR) im Dezember einen neuartigen Urlauber-Club "Aldiana" an Senegals Küste eröffnet. Der Name entstammt der Sprache der Wolof, einer der wichtigsten Sprachen Senegals, und steht für "Der Ort, an dem die Glücklichen leben".
Mein Vorschlag wurde angenommen, mit dem Zusatz: "Wenn die Übersetzung von "Aldiana" stimmt, dann sind wir dort richtig."
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Fakten
Bis zum Jahr 1891 kam das gesamte Gebiet des heutigen Senegal unter französische Kontrolle. Die Königreiche wurden durch Kantone ersetzt, denen Adelige nach traditionellem System vorstanden, die aber wenig Einfluss ausüben konnten. Es entstanden Zeitungen, politische Parteien und Gewerkschaften. 1902 wurde Dakar Hauptstadt der 1895 gegründeten Konföderation Afrique Occidentale Française (AOF). 1956 wurde, noch unter französischer Kolonialherrschaft, das allgemeine Wahlrecht für Erwachsene garantiert. Als das Land 1960 unabhängig war, wurde dieses Recht bestätigt.
Einwohnerzahl: gut 16 Millionen (2016)
Amtssprache ist Französisch, Verkehrssprache ist Wolof.
Außer diesen gibt es in Senegal ca. 35 weitere Sprachen.
Neben Französisch werden sechs Sprachen in den Grundschulen verwendet.
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Einige Tage vor Weihnachten 1973 saßen wir in unserem roten VW und fuhren im Schneematsch zum Frankfurter Flughafen. Mit einer Boeing 737 ging es in Richtung Dakar, der Hauptstadt von Senegal. Wir waren 180 Personen, die mit einer gewissen Erwartung dem neuen Urlauberclub Aldiana - wo angeblich die Glücklichen leben - entgegenfieberten. (Der Name entstammt der Sprache der Wolof, einer der wichtigsten Sprachen Senegals und steht für "Der Ort, an dem die Glücklichen leben".) Der Pilot informierte uns, dass wir in Oran, Algerien einen kurzen Zwischenstopp zum Tanken machen werden. Es handelt sich um einen Militärflugplatz. Wir dürfen aussteigen, der Aufenthalt wird eine knappe Stunde dauern. Eine kleinere Truppe (der ich mich anschloss) machte sich auf den kurzen Weg zu einem kleinen Gebäude. Es war Nacht, im schwachen Lampenlicht erkannte man eine Reihe bewaffneter Soldaten. Sie zeigten uns sozusagen den Weg zur Toilette.
Nach dem Weiterflug sahen wir nach weiteren 4,5 Stunden die Lichtperlen entlang dem Strand von Dakar.
Das Auschecken auf diesem Hauptstadtflugplatz konnte einfacher nicht sein. Ohne irgendeine Kontrolle im Flughafen stiegen 180 glückliche, sonnenhungrige Weihnachtsurlauber in vier Busse, bestückt mit einer Art Korbstühle ohne Federung. Nach ca. 90 km entlang der Küste in südliche Richtung waren wir an der nagelneuen Anlage nahe dem Ort Nianing.
Hier war es Null Uhr dreißig, die Zeiger mussten eine Stunde zurückgestellt werden.
Man führte uns umgehend zu unserem "Rundalow" (Rund-Bungalow). Nach einem kurzen Rundblick durch diesen, war es höchste Zeit zu schlafen.
Beim Duschen am Morgen sahen wir den Hinweis, dass das Wasser gereinigtes und entsalztes Meerwasser ist. Trinkwasser gab es aus den bereitgestellten Flaschen.
Die Rundalows, relativ schlichte, lagen aufgereiht direkt vor dem breiten Sandstrand.
In einem großen Raum wurden wir Neuankömmlinge in die wesentlichen Dinge dieses Clubs eingeweiht. Die Gäste heißen hier "Aldianerinnen bzw. Aldianer". Alle sollten sich duzen und einen kleinen, ledernen Brustbeutel tragen, auf dem der Vorname steht. Darin befindet sich eine Kreditkarte, die Bargeld im Club überflüssig macht. (Den Brustbeutel mit Kreditkarte fand ich großartig. Diese Art zu bezahlen kannte man damals noch nicht.)
Das Frühstück sowie die zwei Mahlzeiten mit Getränken waren im Preis enthalten. Wohl im Schnellverfahren wurden einheimische Kräfte ausgebildet - freundliche, hochgewachsene Schwarze, die sich Mühe gaben. Deutsches/weißes Personal sah man nicht in dem riesigen Speisesaal, auf dem Gelände kaum. Einige deutsche professionelle Gutelaunemacher gaben sich Mühe, die Clubmitglieder mit allerlei Spiele zu unterhalten.
Wir begnügten uns am Anfang mit Baden im Meer und Lesen oder Dösen unter einem Sonnenschirm. Schon am dritten Tag kam mir der Gedanke, ob das Clubleben nicht ein bisschen eintönig
© Willi Grigor, 2020
Zugehöriges Gedicht:
literatpro.de/gedicht/190516/du-kamst-uns-irgendwie-abhanden
Kommentare
(D)Ein Text, der wieder fasziniert!
(Bloß Bertha Krause schien schockiert,
Dass man den Sekt so falsch serviert ...)
LG Axel
Ich frag mich heut noch ab und an:
"War das ein Spaß von Neckermann?"
LG
Willi
Ein spannend beschriebenes Stück deiner Lebensgeschichte umrahmt von Gedichten; Du lässt uns teilnehmen, danke dafür, ich habe es mir großem Interesse gelesen, lieber Willi -
und grüße Dich herzlich!
Marie
Danke für den Kommentar, Marie.
Der Bericht kam zustande dank eines wiedergefundenen Tagebuchs meiner Frau.
Freundliche Grüße
Willi
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