Mikesch
Zwei Jahre sind inzwischen vergangen, Pantoufle ist eine selbstbewußte Katze, die sich in ihrem Revier zu behaupten weiß. Und nicht nur das: Sie weiß auch, was sie will.
Als ihre Mutter vor drei Jahren im Herbst wieder einmal Nachwuchs hatte, entschied sich Pantoufle im darauf folgenden Frühjahr, eines der drei kleinen Kätzchen zu adoptieren. Nein, gefragt wurden wir natürlich nicht. Warum auch?
Es ergab sich einfach. Die anderen beiden Halbgeschwister hatten sich bald selbständig gemacht und übrig blieb ein zarter weißer kleiner Kater, den Pantoufle unter ihre Fittiche nahm. Die ausgeprägte soziale Ader unserer Katze ist uns bekannt und bisher hatte sie sich ja auch einsichtig gezeigt. Aber diesmal schien sie entschlossen zu sein, und angesichts unserer winterlichen Abwesenheit hatten wir auch keine vernünftigen Einwände gegen den Familienzuwachs.
Also wurde Kater Mikesch bei uns eingeführt und wuchs heran. Pantoufle hatte einen Spielkameraden, und wir hatten kein schlechtes Gewissen, wenn wir verreist waren, denn die Beiden vertrugen sich prächtig.
Doch das sollte sich eines Tages ändern: Mikesch entwickelte Macho-Allüren und Pantoufle wagte sich nicht mehr ohne Zustimmung ihres Halbbruders an die geliebten „Katzenbonbons“. So hatten wir eigentlich nicht gewettet und sannen auf Abhilfe mittels vorgezogener Kastration.
Der Tierarzt wurde befragt und meinte, daß es unter diesen Umständen durchaus an der Zeit sei, etwas zu unternehmen. Gesagt, getan, eines schönen Morgens im Frühsommer lieferten wir den Jungkater in der Praxis ab, um den unangemessenen Herrschaftsansprüchen einen Riegel vorzuschieben. Gegen Mittag läutete das Telefon. Der Arzt war am Apparat und informierte uns, daß Mikeschs Ohren ganz offensichtlich Ansätze zu Hautkrebs aufwiesen. Eine Erkrankung, von der besonders die weißen Katzen in der Region häufig befallen würden.
Auf unsere Frage, was dagegen zu tun sei, meinte er sachlich: „Abschneiden. Er liegt noch in der Narkose, das ist dann ein Abwasch.“
„Ja, aber kann er denn dann noch hören und überhaupt...“, fragte meine Frau einigermaßen geschockt.
„Kein Problem“, hieß es am anderen Ende der Leitung.
Oh, Pantoufle, dachten wir, was hast du uns da eingebrockt. Die Ohren des Katers wurden also abgeschnitten.
Allerdings hatten wir keine Vorstellung, was wir da abends nach der Operation in Empfang nahmen. Es war ein Bild des Jammers, und wir waren gar nicht mehr sicher, daß unsere Entscheidung richtig gewesen war. Inzwischen kennen wir allerdings eine weiße Katze im Dorf, die von fortgeschrittenem Hautkrebs befallen ist, und wir wissen, wovor wir Mikesch bewahrt haben. Zunächst aber kamen wir mit diesem armen Tier nach Hause. Die Restohren, silbrig-schwarz mit Zinksalbe versorgt, das kleine Köpfchen mit den großen Augen in einer „Tüte“. Pantoufle war entsetzt und ergriff die Flucht. Der kleine Kater knallte mit seinem Kunststofftrichter gegen Tisch- und Stuhlbeine. Eine Woche sollte er das Gerät behalten, und nur zu gut konnten wir Pantoufle verstehen, die ja davon ausgehen mußte, einen Außerirdischen, ein Monster vor sich zu haben. Mikesch litt sehr und versuchte Pantoufle klar zu machen, daß er doch noch immer derselbe sei. Tage später, als er sich mal auf Frauchens Arm selbst im Spiegel sah, wandte auch er sich entsetzt ab.
Einziger positiver Nebeneffekt: der Speiseplan änderte sich. Statt der bisherigen Katzenbonbons, die eigentlich nur eine Geste waren, um die selbständige Futtersuche nicht zu gefährden, gab es jetzt leckere Dosenkost – für Mikesch mit Medikamenten – mit dem Ergebnis, daß seine Tüte bald seinem Freßnapf ähnelte. Doch schon nach wenigen Tagen überwand sich Pantoufle und leckte vorsichtig das eingeschaufelte Futter, angewidert und gierig zugleich, vom Kragenrand ab.
Die Katzentoilette mit Hygienestreu war eine Fehlinvestition. In der ersten Nacht benutzte Mikesch in seiner Not ein Kissen auf „Hempels Sofa“. Als wir ihm am nächsten Morgen einen Pappkarton mit noch regenfeuchtem Sand von draußen spendierten, war das Problem gelöst. Hätten wir uns eigentlich denken können: Einem frei lebenden Kater Katzenstreu mit Geruch absorbierender Beimischung anzubieten, das war schon eine Zumutung, auf die er noch zurückhaltend reagiert hatte.
Nach einer Woche konnten wir ihn endlich von seiner Tüte befreien. Unsere Vorfreude war groß, und gern hätten wir es ihm auch schon am Abend vorher mitgeteilt. Aber schließlich war der Moment da. Und was sich da vor unseren Augen abspielte, das war eine Darbietung der besonderen Art in Sachen Verhaltenskodex bei Katzen: Nicht etwa, daß sie sich um den Hals fielen. Pantoufle kam, sah und staunte: Mikeschs Kopf war nun wieder kleiner und sah nicht mehr wie ein verstopfter Trichter aus. Aber dann wurde geputzt, wozu der Kater natürlich allen Grund hatte, und wir begriffen, was das arme Tier durchgemacht haben mußte.
Doch nicht nur Mikesch leckte sich den Pelz. In drei Meter Entfernung putzte Pantoufle sich zur Gesellschaft mit – mindestens eine Stunde lang. Mikesch noch einiges länger, denn immer wieder fand er Stellen, die intensiv gesäubert werden mußten. Immerhin war es eine Woche Dreck, der da runter mußte. Endlich hatten die Beiden wieder etwas gemein, und Pantoufle war die Erleichterung an der Schwanzspitze anzusehen.
Eine Woche später wurden dann auch die letzten Fäden aus den Teddy-Ohren gezogen. Und als nach Jod stinkender kleiner Kater trat er eine Viertelstunde später wieder unter die Augen der großen Schwester. Die hatte den neuerlichen Abtransport in der Peddigrohrhöhle schon mißtrauisch zur Kenntnis genommen und begutachtete sichtlich erleichtert das ärztliche Werk. Und auch der intensive Jodgeruch beleidigte die Katzennase nicht. Der Katzenalltag konnte wieder beginnen.
Fünf Jahre sind inzwischen vergangen. Noch zweimal mußte Mikesch die Tüte tragen. Allerdings nicht wegen der Ohren. Die sind gut verheilt und stehen ihm prächtig. Freunden, welche die Geschichte nicht kennen, stellen wir ihn als südeuropäische Kurzohrkatze vor und ernten großes Interesse an dieser seltenen Rasse. Nein, die Gründe für die neuerlichen Besuche beim Arzt waren andere: Zweimal wurde er offensichtlich von Mardern angefallen, vermutlich auf Grund seines weißen Fells. Beim erstenmal stand er tagelang unter Schock. Wir entdeckten ihn regungslos in einem Gebüsch oberhalb unseres Hauses, wo er schon mindestens zwei Nächte und einen Tag zugebracht haben mußte. Völlig teilnahmslos ließ er sich zum Arzt bringen und kam erst wieder richtig zu sich, als er „betütet“ zu Hause war. Pantoufle nahm das immerhin einigermaßen gelassen hin. Das zweite Mal ging es glimpflicher ab, nur ein kleiner Riß im Fell – und Pantoufle freute sich schon auf das köstliche Krankenfutter, von dem ja auch sie profitierte.
Fünf beziehungsweise acht Jahre sind die Beiden nun bei uns. Es ist eine Freundschaft der besonderen Art. Unsere beiden Katzen sind völlig selbständig und natürlich im Haus willkommen, wenn wir auch da sind. Aber wenn wir schlafen gehen, bleiben sie auch im Winter bei –6° Celsius nachts draußen, wo sie eine Auswahl an geschützten Unterkünften haben. Wenn wir vierzehn Tage verreist sind, versorgen sie sich problemlos selbst und freuen sich riesig, wenn wir wieder auftauchen. Und wenn wir spät in der Nacht von einem Ausflug zurück kommen, steht unser Empfangskomitee mit erhobenen Schwänzen bereit, das dann fällige Leckerli zu verputzen. Verglichen mit anderen Katzen im Dorf, haben sie hier am Rande des Talkessels ein Paradies. Aber auch wir sind ihnen dankbar für ihre Zuneigung, ihr Vertrauen, das sie uns entgegenbringen. Und auch die Teilhabe am Umgang, den sie miteinander pflegen, ist immer wieder ein Erlebnis für uns. Sie lieben einander innig, haben hin und wieder ihre kleinen Zwistigkeiten, die aber keine 10 Minuten anhalten und auf eine Weise beendet werden, die uns fasziniert.
Hinzu kommt, daß wir einander unsere kleinen Schwächen nicht übel nehmen. Wenn sie etwas klauen, dann suchen wir die Schuld zu Recht bei uns, schließlich hätten wir die leckeren Sachen wegstellen können. Wenn uns gelegentlich auch Hunde mit ihren Menschen besuchen, dann beobachten unsere Katzen von höherer Warte aus das Geschehen. Und wenn die großen Tiere wieder weg sind, erscheinen unsere Beiden, unterziehen das Haus zunächst einer gewissenhaften Inspektion und informieren sich bei der Gelegenheit auch, ob vielleicht irgendwo Interessantes herum liegt.
Und natürlich sind unsere Gedanken auch oft bei Garfield, diesem unglaublichen Kater, mit dem das alles begann. Und so ist diese Geschichte auch als eine Hommage, ja, sagen wir ruhig, als eine Art Denkmal für einen ganz besonderen Kater zu verstehen.
Danke, Garfield.