Garfield & Co II

Bild zeigt Dieter J Baumgart
von Dieter J Baumgart

Pantoufle

Dieses überaus zarte, scheue Kätzchen, von dem bisher eigentlich nur am Rande die Rede war, jammerte fast eine Woche herzerweichend und suchte ihren großen Freund überall. Gipsy hingegen hatte sich bald mit dem Alleinsein abgefunden und ging seiner Wege, was Pantoufles Trauer noch verstärkte. Zwar hatte Pantoufle schon in der Ära Garfield keinen so großen Bogen um uns gemacht wie Gipsy, doch es sollte noch Wochen dauern, bis sie uns gelegentlich und eher zufällig mal mit der Schwanzspitze berührte.
„Dummes Vieh“, dachten wir manchmal, „kein Mensch tut dir was. Sei doch nicht so schreckhaft.“

Doch schließlich durften wir sie gelegentlich vorsichtig zwischen den Schulterblättern kraulen, und wenn es bei uns „fischig“ roch, dann vergaß sie sich schon einmal so weit, daß sie uns um die Beine strich. Als sie sich dann sogar – natürlich immer die offene Tür im Blickwinkel – ins Haus wagte, beschäftigten wir uns skizzenhaft mit ihrer Zukunft im Hinblick auf zu erwartende Urenkel unseres Pflegefalles. Sowohl die Erinnerung an das grau-weiße Katzengestell, wie auch das Schicksal, das Katzenkinder im allgemeinen zu erwarten haben, wogen doch schwerer als der mögliche Schock für Pantoufle und die fürderhin damit verbundene Abneigung gegen weißgekleidete Menschen.

Kurz und gut, wir faßten eine Kastration ins Auge, wobei die Tatsache, daß sie von Woche zu Woche zutraulicher wurde, sowohl unsere Entschlossenheit als auch unser schlechtes Gewissen gegenüber dem ahnungslosen Geschöpf verstärkte. Bei unseren Überlegungen haben wir sehr wohl darüber nachgedacht, daß ein solcher Eingriff bei einem Kater einfacher durchzuführen ist. Wäre Pantoufle ein Kater, hätten wir ihn natürlich ebenso kastrieren lassen, um zu verhindern, daß er pro Jahr einige zehn Kätzinnen schwängert und so dazu beiträgt, das Elend zu vergrößern. Die Möglichkeit, alle in Frage kommenden Kater in der näheren Umgebung einzusammeln, haben wir allerdings aus naheliegenden Gründen nicht in Betracht gezogen. Also servierten wir ab sofort die gelegentlich anfallenden Leckerbissen im Haus und damit in der Hoffnung, daß Pantoufle auf diese Weise ihre Scheu vor uns in den Griff bekommen würde, was sich dann auch bestätigte. Ein Termin beim Tierarzt in der Kreisstadt wurde gemacht, mit widerstrebenden Gefühlen plazierten wir den geliehenen Transportbehälter geöffnet im Haus und warteten gespannt auf die Reaktion.

Nein, Pantoufle rannte nicht in Panik davon, der Behälter schien also keine negativen Gerüche abzusondern. Ganz im Gegenteil: Mit Interesse beschnupperte sie das neue Möbel, ging hinein, drehte ein paar Runden und schaute zufrieden heraus. Das war vormittags. Am nächsten Morgen hatten wir den OP-Termin – mit nüchternem Katzenmagen. Natürlich wollten wir die Patientin in spe nicht unnötig früh einsperren und hofften, daß sie bald genug von selbst kommen würde. Der Abend versprach also spannend zu werden. Eine zünftige Katzentoilette in Form eines Pappkartons mit Sand von draußen stand bereit. Am späten Nachmittag gestand ihr meine Frau noch eine Galgenfrist zu und ich sah den Termin beim Tierarzt schon als erledigt an. Gegen zwanzig Uhr dann zog meine Frau die Notbremse und dünstete Möhren in Butter in der Pfanne an. Der Duft verbreitete sich im Sinne des Wortes in Windeseile in unserem Talkessel, und keine fünf Minuten später erschien unsere Katzendame und schaute nach, was da an Schmackhaftem anlag. Na gut, die Möhren haben wir gegessen, aber natürlich war da ein kleines Leckerli, und beruhigt konnten wir die Tür für die Nacht schließen. Die Reaktion ließ uns aufatmen: Mildes Gejammer, aber kein hysterisches Geschrei. Am nächsten Morgen begrüßte uns eine ausgeschlafene Katze mit einem „na ja, mit mir könnt ihr’s ja machen“ – Gesicht und präsentierte eine benutzte Pappkarton-Toilette. Ohne Widerworte ließ sie sich sanft in den Transportbehälter schieben – womöglich hatte sie schon darin geschlafen – und begann erst zu jammern, als es zum Auto ging. Die viertelstündige Fahrt in die Praxis war auch für uns nicht schön. Der Tag verging und gegen Abend machten wir uns voller Spannung auf den Weg, um die kleine Patientin wieder heim zu holen.

„Pantoufle?“ meinte der Tierarzt und lächelte, „ja, sie war heute die einzige OP-Patientin.“ Dann verschwand er in den hinteren Räumen und sehr bald hörten wir die bekannte Stimme. Ganz schnell nach Hause, Tür zu, Klappe auf und eine aufgeräumte, noch ein wenig wacklige kleine Katze kam langsam zum Vorschein. Allerlei Steine fielen uns vom Herzen: Pantoufle nahm nicht übel, schien das Ganze auch psychisch gut überstanden zu haben und kroch sogar hin und wieder ohne Argwohn in den Transportbehälter. Am nächsten Morgen allerdings forderte sie unwirsch ihre Freiheit zurück. Und wieder wurden wir positiv überrascht: In den folgenden Tagen und Wochen verlor sich ihre Scheu nahezu völlig, sie akzeptierte uns vielmehr als „ihre“ Menschen, legte allerdings auch weiterhin Wert darauf, daß die Haustür offen blieb, um fluchtartig das Weite zu suchen, wenn die Gefahr bestand, daß andere Menschen beabsichtigten, das Haus zu betreten.

Der Winter nahte, und damit auch unsere alljährliche Reise nach Deutschland. Drei Monate mußte Pantoufle nun allein zurechtkommen, und wir waren doch froh, daß sie keine Ambitionen zeigte, einen Job als Hauskatze bei uns ins Auge zu fassen. Unsere Nachbarn versprachen, gelegentlich für Futter zu sorgen. Mehr war allerdings nicht drin, denn nebenan herrschte Bobine als Familienkatze, die schon zu Garfield kein gutes Verhältnis hatte. Pantoufle legte sich also ein ordentliches Winterfell zu und ließ uns Mitte Dezember gleichmütig davonziehen. Natürlich waren wir in diesen drei Monaten mit unseren Gedanken oft in Mourèze und bei Pantoufle. Und natürlich hofften wir, sie im März wieder anzutreffen, aber eine Wette hätten wir nicht riskiert. Freunde, mit denen wir telefonierten, berichteten uns, daß sie bei gelegentlichen Wanderungen in der Nähe unseres Hauses von einem kleinen Kätzchen begleitet wurden, das sich aber keinesfalls streicheln ließ.

Das konnte nur Pantoufle sein, und hoffnungsvoll machten wir uns Mitte März wieder auf den Weg nach Südfrankreich. Ein kalter, aber sonniger Tag empfing uns in Mourèze. Keine Spur von Pantoufle, Koffer auspacken, einräumen, Kaminfeuer in Gang bringen, das Haus aus dem Winterschlaf holen. Und plötzlich stand sie da. Mit einer deutlichen „Ach, sieht man euch auch mal wieder?“ Miene stand sie vor unserem Haus, nahm von uns Notiz und wahrte gleichzeitig Abstand, was Katzen in der Regel meisterhaft verstehen.

Inzwischen sind fast sieben Monate vergangen. Noch zwei Monate und wir machen uns wieder für drei Monate auf den Weg nach Köln. Pantoufle geht es prächtig. Sie akzeptiert, daß es bei uns gelegentlich Besuch gibt, ja, sie kommt neugierig herbei und nimmt sogar freundlich Streicheleinheiten entgegen. Auch die Tatsache, daß ihr hin und wieder Zoulou, ein großer schwarzer Hund, der mit uns befreundet ist, entgegenkommt, wenn sie eben mal hereinschauen möchte, kann sie nicht erschüttern. Für diesen Fall hat sie einen Baum in der Nähe, auf dem sie dann in Ruhe den weiteren Verlauf abwartet. Und wenn Monsieur Pierre mit seinem weißbraunen Setter auf seiner Runde durchs Dorf vorbeikommt, dann ist das schon gar kein Grund zur Aufregung, denn der Setter ist längst jenseits von Gut und Böse und außerdem an einer langen Leine. In diesem Falle genügen zwei Meter Abstand.
Nur das Verhältnis zu Bobine hat sich nicht geändert. Zugunsten von Pantoufle muß allerdings auch angemerkt werden, daß Bobine eine Zicke ist, was ja schon ihr Verhältnis zu Garfield belastet hat. Bobine erweckt, gnatzig, wie sie sein kann, gern den Eindruck, als ob sie bei uns ein- und ausgehen darf und ist in dieser Beziehung leider auch überhaupt nicht lernfähig. Vor drei Tagen geschah es, daß Bobine wieder einmal ganz selbstverständlich ins Haus stiefelte, um sich an den Resten in Pantoufles Napf zu bedienen und überhaupt die Nahrungsvorräte großräumig zu überprüfen.

Ich setzte also die empörte Bobine vor die Tür und im gleichen Moment kam eine ahnungslose Pantoufle um die Ecke. Was geschah, habe ich nicht gesehen, aber drei Tage lang betrat Pantoufle das Haus mit größter Vorsicht, immer in der Erwartung, daß ihr eine wutschnaubende Bobine entgegenkommt. Nun ist es natürlich nicht so, daß Pantoufle, was ihr Verhältnis zu Bobine angeht, generell unter dem Pantoffel steht. Bestimmend ist stets die Ausgangsposition: Wer war zu erst da, beziehungsweise wer hat die größere Wut im Bauch. Wobei die Aggressionen zunächst von Bobine ausgehen. In diesem Zusammenhang ist es schon faszinierend, was Katzen an Verhaltensmustern an den Tag legen, wenn es darum geht, das „Gesicht“ nicht zu verlieren.

Überhaupt hat sich das ehemals schüchterne, kleine Kätzchen Pantoufle erstaunlich „gemausert“. Glücklicherweise liebt sie weiterhin ihre Selbständigkeit, wobei es sein kann, daß sie auch einmal einen oder zwei Tage unterwegs ist. Wir müssen uns keine Sorgen machen, sie ist selbstbewußt und würde sich gewiß nicht von Fremden einfangen lassen. Zu ihren liebenswertesten Eigenschaften gehört, daß sie sich unbändig freuen kann, wenn wir spät in der Nacht nach Hause kommen, und sie zufällig in der Nähe ist: Begeistert wälzt und kugelt sie sich zunächst im Sand, um anschließend mit erhobenem Schwanz, unterbrochen von Freudensprüngen, vor uns her zum Haus zu wandeln. Gelegentlich wird auch ausgiebig am Lieblingsbaum gekratzt oder er wird spektakulär erklommen und in zwei Meter Höhe wieder verlassen.

Auf der kleinen Sitzbank, auch „Hempels Sofa“ genannt, im unteren Zimmer unseres Hauses, liegt eine handgewebte Decke aus Afrika. Auf der Decke hat ein kleiner Teppich, so etwa 40 x 60 cm, Platz gefunden. Auf diesem Teppich, und zwar nur auf diesem Teppich, verbringt Pantoufle gelegentlich einige Stunden, putzt sich ausgiebig und macht auch ein Schläfchen, das sich schon mal bis in den späten Abend hinziehen kann. Dann allerdings ruft die weite Welt in der Form unseres Talkessels, und es bedarf nur einer milden Aufforderung, und schon ist Pantoufle auf dem Weg nach draußen – auch bei Regen, Blitz und Donner.

Ich tippe eben den vorstehenden Text ins Notebook, da ruft meine Frau von unten: „Dieter, du bekommst Besuch!“
Es dauert auch nur wenige Sekunden und ich weiß, wer mich da zu später Abendstunde beehrt: Es ist Picasso, der Hund, mit dem uns eine nun schon fast zehn Jahre währende Freundschaft verbindet. Als junger Tunichtgut kam dieser Mischling aus Collie und Pyrenäenschäferhund ins Dorf, suchte sich ein Frauchen, zufällig eine Malerin – die ihn dann kurzer Hand „Picasso“ taufte – und brachte sie durch sein Ungestüm immer wieder in peinliche Situationen. Mit Picasso habe ich oft stundenlange Wanderungen gemacht, die mich die Unterschiede zwischen Mensch und Tier glatt vergessen ließen. Wir haben ihn gepflegt, als er eine schwere Infektion hatte, und ich habe seine Unarten, die eigentlich nur ungestüme Freundschaftsbezeigungen waren, entschuldigt, bis gelegentlich sogar bei uns der Haussegen schief hing. Mit den Jahren wurde er ruhiger, warf nicht mehr alle kleinen Kinder und alten Leute um, nur weil er mit ihnen spielen wollte. Das Frauchen wohnt inzwischen am Ende des Dorfes in einem Haus mit großem Waldgrundstück und Picasso genießt den schönsten Lebensabend, den man einem Hund wünschen kann. Aber hin und wieder steht er bei uns vor der Tür und möchte von mir nach Hause gebracht werden. Und nicht nur wegen der ungezählten wunderschönen Spaziergänge, die wir miteinander machten, ist das für mich eine Ehrensache...

Natürlich bin ich froh, das Pantoufle eben nicht da war. Denn bei Gefahr – und Hund ist nun mal gleichbedeutend mit Gefahr – fühlt sie sich draußen am sichersten. Und Picasso hat auch im hohen Alter noch Spaß am Jagen von Katzen. Das Jahrtausende alte kommunikative Mißverständnis zwischen Hund und Katze beruht bekanntlich auf den völlig gegensätzlichen Gefühlsäußerungen. Wir kennen genügend Katzen und Hunde, die im besten Einvernehmen miteinander leben, weil sie gemeinsam aufgewachsen sind. Pantoufle, Picasso und Zoulou werden wir es nicht vermitteln können. Und selbst der unvergessene Garfield hatte seine Probleme mit diesen entsetzlich lauten, wild mit dem Schwanz wedelnden Gestalten, die da so plötzlich, meist im Gefolge von Menschen, denen ja nun auch nicht immer zu trauen ist, auftauchen.
Nein, wir werden sie nicht alle miteinander einladen können. Es muß auch nicht sein, denn einzeln, jeder für sich, erfreuen sie uns mit ihrer Zuneigung und sind stets gern gesehene Gäste.

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