Unter Krummholzner

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von Max Dernet

Wie oft musste ich in letzter Zeit wieder hören: ‚Unter Krummholzner hätte es das nicht gegeben!’

Solchen hoffungslos Gestrigen halte ich sofort entgegen: Unter Krummholzner hätte es auch keine beheizten Schuhlöffel gegeben, sogar die ohne Heizung wären verboten gewesen. Deshalb hätte man sich beim Anziehen seiner Treter stets die Fersen aufgerieben und gar nicht selten auch den Mittelfinger gebrochen dabei.

Erwidert dann einer, auch unter Krummholzner hätte man bereits erfolgreich Schuhe getragen, ist meine Antwort: Damals seien die Leute in ein Paar Stiefel hineingewachsen für den Rest ihres Lebens.

Dies lässt auch die Renitentesten verstummen, denn wie es unter Krummholzner tatsächlich war, weiß keiner mehr genau. Es ist ja alles verbrannt worden, was an ihn erinnerte, die Alten wurden zum Schweigen verdonnert und wir Jungen kamen, noch bevor wir sprechen konnten, in geschulte Obhut, die gedankliches Unkraut erst gar nicht aufkommen ließ. Wie hoffungsfroh waren die Lieder, die wir als Kinder sangen, wie hell und klar in der Diktion unsere Fibeln, die Bilder darin so pastellfarben, ins Weiße hinein verschwimmend, zeigten rundköpfige Wesen, die sich freudig ihre blitzblanken Schuhlöffel liehen.

Und trotz allem - immer wieder Krummholzner! Die Sehnsucht nach ihm scheint wie Herpes, der einen schon im Mutterbauch befällt. Sie überwältigt auch nicht wenige von uns Desinfektoren, uns meist sogar besonders heftig. Wild schreien auch die Zuverlässigsten plötzlich nach Krummholzner und zerbrechen alle Schuhlöffel, derer sie habhaft werden. Diese Unglücklichen müssen dann von einer soliden Mehrheit überwältigt, zum Schweigen verdonnert und zu den unheilbar Altmodischen gesteckt werden.

Dabei will ich nicht klagen, wir kommen zurecht. Wie ein chronischer Kranker eben mit seinem Leiden zurecht kommt, weil er auch in Momenten scheinbarer Gesundheit weiß, wie trügerisch dieses Gefühl sein kann und dass Sorglosigkeit nicht einen Moment lang angebracht ist, weil ein Rückfall alle Anstrengungen zunichte machen könnte.

Zuweilen, in schlaflosen Nächten etwa, scheint mir, wir zahlen einen zu hohen Preis für unsere temperierten Schuhlöffel. Ich erschrecke jedes Mal heftig über diesen Gedanken, singe die Lieder meiner Kindheit, denke an die wonnigen Wesen in den Fibeln und poliere meinen Schuhlöffel blitzeblank.

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