Das Geständnis - Page 4

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von Thery Trojan

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Gut so. Wenn man besonders ist, gibt es immer einen Ausweg.
Ich hatte ihn auch schon entdeckt. Vier Meter unter uns. Oder besser unter ihm. Großvaters alter Pflug, umgedreht und aufgebockt. Sollte wohl mal was gemacht werden dran. Selbst Schuld, sage ich mir immer. War doch wie 'ne Aufforderung. Ich musste den Schlägen nur geschickt ausweichen und ihn an die richtige Stelle lenken. Wissen Sie, dass Besoffenen wie Berserker rasen können? Und dann hatte ich ihn dort, wo ich ihn haben wollte. Während er zum nächsten Schlag ausholte, sprang ich vor und gab ihm einen leichten Stoß. Mehr brauchte es nicht. Als er nach hinten ins Leere flog, guckte er wie Krause das Jahr zuvor. Er kam nicht mal zum Schreien. Dieses Geschrei mag ich überhaupt nicht. Wie soll man denn da genießen können. Weil er nicht schrie, konnte ich das brechen seiner Wirbelsäule hören. Ganz deutlich. Ein kurzes Knack ... nicht wirklich spektakulär, aber ein interessantes Geräusch. Und da spürt ich es. Das Beben begann in meinen Fingerspitzen. Beinahe wäre ich auch noch gestürzt, so schnell kletterte ich die Leiter runter. Ich musst zu ihm, bei ihm sein. Er lebte noch. Genug, um begreifen zu können. Mit dem Begreifen flackerte eine gigantische Panik in seinen Augen auf. Das Beben lief durch meine Arme, in den Brustkorb, nahm mir die Luft. Irgend was musste in ihm kaputt gegangen sein. Sein Mund öffnete sich und gerade als ich dachte, jetzt sagte er was, kam ein Schwall Blut raus. Einfach so. Mund auf und schwapp. Oh mein Gott, in diesem Moment spürte ich so viel Liebe für ihn. Das Beben lief durch meine Knie und ich musste mich festhalten, weil sie ganz weich wurden. Er war wunderbar, schaute mir direkt in die Augen. Da war so unendlich viel, so ganz anders, als bei dem Hund. Die Panik verwandelte sich in Ungläubiges Staunen, ich lächelte ihn aufmunternd an. Dann sah ich das Verstehen, und endlich ... die nackte Angst. Seine Lider beganne zu flattern wie aufgeregte kleine Spatzenflügel und hinter Ihnen, endlich, erlosch das Leben Das Beben ließ meine Knie endgültig
nachgeben, raste hoch in meinen Bauch, den Kopf, schleuderte mich wimmernd zu Boden, raste in meinen Unterleib um dort zu explodieren.
Geben Sie mir einen Moment, Herr Kommissar. die Erinnerung nimmt mich gerade sehr mit.
Wissen Sie, dass es Orgasmen gibt, bei denen man Angst hat, dass der Schwanz platzt? Aus mir ist alles rausgespritzt, was sich in den letzten beiden Jahren angesammelt hatte. All die Wut, die Verachtung, das nicht verstehen, das sich klein fühlen ... alles. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag und Welle um Welle mich überrollte. Ich weiß nur, dass in diesem Augenblick mein neues Ich geboren wurde. Als ich mich erhob, war ICH ein Anderer. ICH fühlte mich unendlich stark und endlich vollkommen. ICH WAR DER BESONDERE!
Es ist wichtig, dass Sie das wissen, Herr Kommissar, weil Sie sonst nicht verstehen können. Am Ende hätten sie noch geglaubt, ich sei einer von diesen billigen kleinen Halunken. Na sehen Sie, jetzt kann ich Ihnen auch endlich von Marie erzählen. Jetzt, wo wir doch Freunde sind.
Mein Vater hatte mir zu Lebzeiten nichts gegeben, aber in seinem Sterben ALLES. Es war so überwältigend, dass eine lange Zeit der Zufriedenheit anbrach. Ich war endlich existent.
Sie schauen so ungläubig. Verstehe schon. Sie wundern sich, dass ich damit durchgekommen bin. Damals war alles anders. Da hat man keine Kriminaltechniker und Pathologen auf den Plan gerufen, wenn ein ortsbekannter Säufer von der Tenne fiel.
Eine Zigarette wäre jetzt gut. Darf ich noch ein letztes Mal? Danke, Sie sind sehr freundlich.
Die nächsten drei Jahre führte ich so was wie ein "normales" Leben. Meine Mutter schleppte ein Jahr später diesen Freund ins Haus. Auch ein Arschloch, aber der ließ mich in Ruhe. Ich glaube, dem war ich nicht ganz geheuer. Warum, weiß ich bis heute nicht, ist auch nicht wichtig.
Manchmal wollte diese Unruhe wieder hochkommen, dann musste ich nur die Augen schließen und die Macht dieser wunderbaren Bilder auf mich wirken lassen. Seine Augen, dieser Blutschwall ... meine Macht.
Leider ist kaum was für die Ewigkeit, oder sollte ich sagen zum Glück, Herr Kommissar? Ich war 18, als die Unruhe stärker wurde und die Bilder anfingen zu verblassen. Die Zeit des tun müssens brach erneut an. Sehen Sie, es war doch richtig, Ihnen alles zu erzählen. Jetzt muss ich nichts mehr erklären. Sie wissen, was ich tun musste. Wenn man in einem Dorf lebt, sind einem die Hände ganz schön gebunden. Ich hätte Aufsehen erregen können, also schnürte ich mein Bündel und zog in eine große Stadt. Welche? Egal, wichtig ist nur, sie war sehr groß.
Ich fand einen Job als Müllfahrer. Jetzt denken Sie sicher, das war unter meiner Würde. Nicht doch, man muss Kompromisse eingehen. Ich kam rum. Unauffällig, wer schenkt schon einem Müllfahrer Beachtung. So lernte ich dann die Rotlichtviertel kennen. Und die Huren. Es war eine gute Zeit.
Die Viertel lagen weit auseinander und ich konnte viele wunderbare Bilder speichern, ehe in den Zeitungen Wind gemacht wurde. Sie waren doch schon im Dienst, können sich sicher erinnern. Aber ich war clever. Da nie eine Leiche auftauchte, vermutete man Frauenhandel hinter dem Verschwinden. Durch Zufall hatte ich diesen alten Stollen entdeckt. Ich lief nach wie vor gerne herum. Der Eingang war total zugewuchert und sah aus, als wäre dort seit vielen Jahren keiner mehr gewesen. Aber Sie kennen ihn ja nun selbst.
Vorsichtshalber wechselte ich dennoch in den folgenden Jahren die Städte. Wieder und wieder. Sagte ich schon, dass nichts für die Ewigkeit ist? Huren. Ich sage Ihnen was. Ob beim Blasen oder beim Sterben ... Huren können auf Dauer nicht befriedigen.
Sie wissen, was jetzt kommt, nicht wahr, Herr Kommisar? Ich kann Ihnen die Ungeduld ansehen. Gleich, gleich. Nur noch einen winzigen Moment Geduld. Sie müssen das verstehen, Herr Kommissar, hätte ich Ihnen gleich von Marie erzählt ... Hand aufs Herz ... hätten Sie mir so lange zugehört? Sehen Sie, ich mache nichts, ohne mir was dabei zu denken.
In der nächsten Stadt stieß ich erstmals auf ein Problemchen. Die Müllabfuhr hatte keine Stelle frei. Einen kurzen Moment dachte ich an Briefträger, verwarf es jedoch. Da hat man zu persönliche Kontakte, wird zu schnell be- und erkannt. Warum eigentlich gleich wieder arbeiten, dachte ich schließlich, meine Ersparnisse reichten durchaus für einen verlängerten Urlaub. Mein Auto kennen Sie ja, Herr Kommissar, damit fiel ich auch nicht auf, wenn ich mehrmals durch die gleichen Straßen fuhr. Und ich hatte bedeutend mehr Zeit für die Auswahl.
Die Erste war eine Blondine aus so einem Nobelviertel. Üppiges Weib, würden Sie sicherlich sagen, aber darauf kam es mir nicht an. Sie hatte so was stolzes, fast majestätisches, wenn sie aus dem Haus kam. Aber an sie ran kommen hat ein verdammtes Stück Zeit gekostet. Und Zeitverschwendung ist nicht gut. Nicht in meinem Fall, da wird die Unruhe zu groß und dann konnte ich schon mal die Beherrschung verlieren. Spät abends in einem Parkhaus erwischte ich sie endlich. Ohne das gute alte Äther hätte ich die Kratzbürste nicht in meinen Kofferraum gekriegt. Da waren die Huren viel kooperativer.
Und ein paar Stunden später, in diesem Stollen, gerade als das Beben so richtig schön losgehen wollte, bekam sie den Hals zum Schreien frei. Verdammt noch mal, die hat sich aufgeführt wie eine Irre! Als ich sie endlich still hatte, war nichts mehr mit diesem wunderbaren Gefühl. Die reiche Schlampe hatte mir alles versaut. Die ganze Arbeit umsonst!
Herr Kommissar, lernen Sie was daraus. Nie eine von diesen reichen Schlampen. Das bringt nichts. Was sage ich da. Nein, Sie doch nicht, Sie haben einen guten Geschmack. Sie hatten ja Marie.
Tja, Herr Kommissar, dass ist wirklich ungünstig gelaufen, aber wer kann schon seinem Schicksal entgehen. Wir beide wissen das. Und Marie wusste das auch. Zumindest in ihren letzten Minuten. Woher sollte ich denn auch wissen, dass ein Kommissar in so einem netten Vorstadthäuschen wohnt. Stand ja nicht dran, "Hier wohnt ein Kommissar". Was für eine köstliche Idee, ha ha ha, aber für Sie kommt sie nun leider zu spät. Man muss sich den Humor erhalten, der ist wichtig, das verstehen Sie doch?
Sehe ich da etwa Hass in Ihren Augen? Man könnte glatt meinen, dass Sie mich schlagen möchten. Aber das können Sie nicht, nicht wahr? Wie ist das eigentlich, wenn einem die Hände gebunden sind? Naja, lassen wir die Späße, dass viele Reden macht mich langsam müde.
Als ich sie das erste Mal sah, glaubte ich auch das erst Mal daran, dass es so etwas wie Liebe gibt. Dieses Lächeln, dieser Gang. Sie war eine kleine Elfe. So zierlich und zerbrechlich wie sie wirkte, weckte Marie meinen Beschützerinstinkt. Wirklich, ich wollte sie beschützen. Vor dieser ganzen kranken Welt da draußen. Sehen Sie, ich bin gar nicht so schlecht, wie Sie glauben. Sie war wunderbar. Noch wunderbarer als mein Vater. Mit keiner anderen Frau habe ich diese Zeremonie so genossen, wie mit Ihrer, oder sollte ich sagen unserer? Marie. Sie war so anders. Kein Strampeln, kein Kratzen, kein Schreien. Nein, nicht Marie. Sie redete mit mir. So viel Optimismus in so einer kleinen Person. Sie können stolz auf sie sein, Herr Kommissar, selbst als dieser Optimismus aus ihren Augen Verschwand, versuchte sie nicht zu schreien. Sie hatte so eine zarte Haut, wie Alabaster. Sagt man nicht so? So weich, so verführerisch, aber ich ließ mich auch davon nicht verführen. Ich bin schließlich kein Schwein.
Sehen Sie sich mein Armband an, es ist eine Erinnerung an Marie. Diese samtweiche Haut, ich konnte einfach nicht widerstehen. Wollen Sie mal auf die Innenseite gucken? Sehen Sie hier, ich habe sogar ihren Namen reingeschrieben.
Jetzt werden Sie doch nicht gleich wütend, ich habe ihr nicht weh getan! Ich habe mir diesen kleinen Streifen Haut erst stibitzt, als alles vorbei war. Was denken Sie denn von mir! Langsam machen Sie mich wirklich sauer.
Habe Sie ihre kleine süße Marie schon mal wütend erlebt? Nein, ich denke nicht. Sie war ein Engel. Was für eine sanfte Stimme. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können und glauben Sie mir, ich habe gut zugehört. Sie wurde kurz vor dem gigantischen Beben noch mal so richtig redselig. Das arme Ding glaubte tatsächlich, es würde ihr helfen, wenn sie mir verrät, dass die Polizei mich schon längst im Visier hat. Das ihr Mann, der Kommissar, und mir schon auf den Fersen ist.
Ja, staunen Sie nur, ich habe Sie erwartet. Sie konnten ja nicht wissen, dass ich DER BESONDERE bin. Aber jetzt, jetzt wissen Sie es. Ich habe ihr versprochen, dass Sie bald wieder vereint sein werden. Und ich halte meine Versprechen. Ihnen ist doch klar, dass ich Sie nicht mehr gehen lassen kann?
Sie hätten nicht so neugierig sein dürfen, mir nicht in meinen Stollen folgen sollen. Und vor allem hätten Sie nicht so hinterhältig mein ganzes Leben aus mir herausquetschen dürfen. Obwohl, es gut getan hat, mal zu reden. Meine Hände kribbeln.
Ich werde ihnen jetzt den Klebestreifen vom Mund abreißen, Herr Kommissar.
Versprechen Sie mir ... nicht zu schreien?

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