Ein Tränenmeer

Bild von René Oberholzer
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ICH GESTEHE, ICH HABE MICH IN SOPHIE VERLIEBT, GENAUER GESAGT IN IHRE MUSIK, ABER VERMUTLICH AUCH IN BEIDE, WEIL SIE SO AUSSIEHT WIE EINE FRAU, IN DIE ICH MICH VOR JAHREN VERLIEBT HATTE. ES PASSIERTE AUF EINER SCHIFFSFAHRT RUND UM STOCKHOLM AUF EINE DER ZAHLREICHEN SCHÄRENINSELN, BEIM FLIRTEN, OHNE DASS ICH JE EIN WORT MIT IHR GESPROCHEN HÄTTE.

Die Sophie, von der ich rede, ist Sophie Zelmani, die brillante schwedische Songschreiberin, die ihr Leben mit ihrer Tochter in der beschaulichen Provinz geniesst, genauer gesagt auf einer 3000-Seelen-Insel, eine Stunde von Stockholm entfernt. Auf dieser Insel gibt es nicht viel, die Hauptattraktion ist ein Restaurant mit Karaoke-Betrieb, in dem alle singen, nur sie nicht. Falls ich einmal dort auf dieser Insel landen werde, und das könnte schon bald sein, werde ich Sophie besuchen und sie zu einem Duett mit mir einladen.
Doch ich weiss, meine Chancen stehen nicht so gut, Sophie ist eine extrem schüchterne und menschenscheue Frau, ich habe das an ihrem Zürcher Konzert diesen April gesehen. Am liebsten hätte sie ihr Konzert, das mich zu Tränen gerührt hatte, irgendwo auf einer schwedischen Insel abgehalten und dabei aufs Meer geschaut. Und ich bin weiss Gott kein gefühlsduseliger Trottel oder ein Weichei. Aber was Sophie mit ihrer Musik zustande bringt, ist Magie, ihre zart hingehauchten Songs höre ich zu jeder Tages- und Nachtzeit, sie wühlen meine Herzklappen auf, ihre Musik ist für alle Lebenslagen geeignet, vor allem auch für die Liebeslagen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Kerzenlicht, Augen zu und Liebe machen zu ihrer Musik ist nur eine der Möglichkeiten, die ich Euch empfehle, doch Achtung: Ihre Texte handeln von Melancholie. Melancholie ist immer noch der beste Grund, einen Song zu schreiben, findet meine Sophie. Damit ist der Unterhaltungsschwerpunkt der Stockholmer Songwriterin definiert, die Bob Dylan und Leonard Cohen und Charlie Rich und Lisa Miskovsky und ein paar schwedische Bands und immer wieder Bob Dylan zu ihren musikalischen Vorbildern zählen.
Sophie hasst Interviews, weil es ihr schwer fällt, mit Fremden zu sprechen. Zudem hat sie in Interviews oft das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. Wenn sie spricht, hat sie eine eher leise Stimme, ist manchmal stockend, verlegen, lässt Sätze manchmal unvollendet verklingen. Ihr Ausdruck ist die Musik, in der sie das ausdrücken kann, was sie mit eigenen Worten niemals sagen könnte. Die Leute bei Sophies Label haben sich an ihre Schüchternheit und Zurückgezogenheit gewöhnt und wissen unterdessen, wie sie mit ihr umzugehen haben. Ihr Antistar-Charakter ist nicht Attitüde, sondern real, es exististieren deshalb nur wenige, dafür wunderschöne Fotos von ihr, so z.B. vom Starfotografen Anton Corbjin, der sich selbst als Fotograf bei ihr angeboten hatte. Diese Zurückgezogenheit, die auch ein Rückzug aus der heutigen Welt mit all ihrem Zerfall ist, macht die musikalische Vermarktung von Sophie nicht einfach. Aber es werden immer mehr Fans, und ich werde meinen Teil dazu beitragen. Deshalb verschenke ich seit Jahren die CDs „Sing And Dance“ und „Time To Kill“ an Menschen, die mir wichtig sind, und diese wiederum kaufen CDs von Sophie und schenken sie wiederum weiter.
Sophies Songwriting klingt nach nichts Vergleichbarem, ebenso ihre zarte, zauberhafte und glasklare Stimme, an der ich mich nicht satthören kann. Am ehesten tönen ihre englisch gesungenen Songs wie ein Blick in den mittleren Westen der USA, in dem nichts ist, nur ein paar Häuser, ab und zu ein Feld, ab und zu ein Wind, der Staub bringt oder ihn aufwirbelt. Ansonsten klingt ihre Musik wie ein Blick in den Himmel dieses Westens, der so weit und offen ist, dass man gezwungenermassen den "„Blues" bekommt. Und ich kenne keine andere Frau, die den „Blues“, ich meine den inhaltlichen „Blues“ so draufhat wie Sophie, meine Sophie. Und ihr „Blues“ hat nichts mit der Kühle Skandinaviens zu tun, sie hat auch nichts mit der klassischen Country- oder Folk-Musik zu tun, ihr „Blues“ ist eigen, zärtlich, behutsam. Ihre Musik ist auch nicht leidenschaftlich im klassischen Sinn. Das Timbre ihrer Musik ist eher ruhig, aber in ihrer Sinnlichkeit so leidenschaftlich, dass ich mich immer wieder frage, was mit mir passiert, wenn ich mir auch ihr zweites Album „Precious Burden“ (1998) oder ihr bislang neuestes „Love Affair“ anhöre. Ich merke dann, ihre Musik ist für mich immer auch eine Liebesaffäre. Ich hoffe, es werden noch viele folgen.
In ihren Songs erzählt Sophie mir Geschichten, die ich gerne einer guten Freundin weitererzählen möchte. In ihnen dreht es sich um Beziehungen zwischen Menschen, um die Liebe und das Leben, um Angst und Verlust, um Sinnlichkeit und Sensibilität. Und Sophie Zelmani versteht es, diese für sie und für mich und für euch wichtigen Themen in ihrer eigenen Schlichtheit brillant zu vertonen. Sparsam arrangiert sie die Instrumente und die Mitmusiker um ihren Gesang herum. Zart fühlend setzt sie Dynamik ein, die man nicht als Dynamik im herkömmlichen Sinn definieren könnte. Dezente Perkussion mit akustischer Gitarre und Pedal Steel bilden zum Folk-Picking unter anderem den Rahmen eines musikalischen Gemäldes, das man mit einer verschneiten Winterlandschaft bei Sonnenaufgang oder einem Blick in den nächtlichen Sternenhimmel vergleichen könnte. Ihr Mitmusiker und Produzent Lars Halapi, der seit Anfang mit dabei ist, seit ihrer ersten Platte „Sophie Zelmani“, versteht es äusserst geschickt, die Texte und die Stimmung von Sophies Musik in solche Vorstelllungen von äusseren und inneren Landschaften umzuwandeln. Und dieser Lars ist auch der Hauptgrund, dass sie sich traut, immer wieder eine neue Platte zu machen.
Aber leichter ist das Schreiben und Aufnehmen von neuen Songs für die Brünette mit dem schönen Mund und den grünen Augen damit nicht geworden. Die sonst eher schüchterne Sophie braucht den Kontakt zu den Menschen, mit denen sie manchmal einen Kaffee trinken geht, um neue Inspirationen für ihre Songs zu holen. Vielleicht sollte ich schon bald nach Stockholm aufbrechen, um ihr meine Lebensgeschichten bei einem Kaffee zu erzählen. Und wer weiss, vielleicht würde es ja nicht nur bei der einen Tasse Kaffee bleiben. Aber eben, ich bin ja nicht der einzige Fan von ihr. Sie erhält von einem 75-jährigen Fan, dessen Briefe sie faszinieren, regelmässig Post. Wenn er 50 Jahre jünger gewesen wäre, hat Sophie neulich gesagt, wer weiss, was dann passiert wäre. Morgen muss ich endlich ihre Adresse ausfindig machen, ich bin erst 41. Und noch etwas: Sollte es zwischen mir und Sophie nicht klappen, dann möchte ich wenigstens, dass man an meiner Beerdigung „Yes I Am“ aus „Sing And Dance“ vom CD-Player abspielt. Damit alle so schön weinen können, voller Melancholie eben.

Veröffentlichungen: Sophie Zelmani (1995, Columbia Sony Music), Precious Burden (1998, Columbia, Sony Music), Time To Kill (1999, Columbia, Sony Music), Sing And Dance (2001, CH: 2002, Columbia, Sony Music), Love Affair (2003, CH: 2004, Columbia, Sony Music), Internet: www.zelmani.com, Konzert: KKL Luzern, Blue Balls Festival, 23. Juli 2004

Dieser Artikel von René Oberholzer ist im Juli 2004 im Lifestyle-Magazin "Faces" erschienen.

© René Oberholzer

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