Sündenbock

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von Marie Mehrfeld

So läuft es. Nicht nur in diesem Land.
Wenn irgendwo ein Unglück passiert,
wird bald ein Sündenbock benannt.
Die Meute klagt ihn ungeniert an.
Nur selten bekennen sich „die ganz oben“.
Wir staunen, meistens sind’s Subalterne,
die lassen sich profitabel wegloben
und opfern sich dem Volkszorn gerne.
Der Bock gibt seinen Rücktritt bekannt,
der Gerechtigkeit ist Genüge getan.
Danach herrscht wieder Ruhe im Land.
Grundsätzliches geht man so nicht an,
das wird auf St. Nimmerleinstag verschoben.
Probleme werden so selten behoben ...

Als Sündenbock wird umgangssprachlich jemand bezeichnet, dem man die Schuld für Fehler, Misserfolge oder anderes Konfliktpotenzial zuschiebt, um von eigenem Versagen abzulenken. Tatsächliche Schuld spielt dabei keine Rolle. Der Fußballverein gewinnt nicht mehr, schuldig sind nie die Spieler, sondern immer der Trainer, er wird umgehend entlassen. Sind Menschen frustriert oder unglücklich, richten sie ihre Aggression oft auf Personen oder Gruppen, die unbeliebt, leicht identifizierbar und machtlos sind, wenn die Gemeinschaft innerlich zerrissen ist oder sich von einer Katastrophe bedroht fühlt. Nachdem eine falsche kausale Verbindung zwischen Bedrohung und dem ausgewählten Sündenbock hergestellt worden ist, fühlt sich die Gemeinschaft wieder geeinigt und stabilisiert. Die Redensart vom Sündenbock lässt sich wie viele andere auf die Bibel zurückführen. Die Wendung bezieht sich auf ein altes Ritual des Volkes Israel, bei dem einmal jährlich durch Priester die Sünden des Volkes auf einen Ziegenbock übertragen wurden. Dieser wurde dann, beladen mit den Sünden des nun gereinigten Volkes, in die Wüste geführt und dort sich selbst überlassen. Im Mittelalter wurden sogar Tiere für Straftaten vor Gericht gestellt, zum Beispiel wurden Schweine wegen Kindestötung angeklagt und zum Tod am Galgen verurteilt. Diese tierischen Sündenböcke wurden für menschliche Fehler verantwortlich gemacht und stellvertretend hingerichtet. Solche Prozesse gab es bis in das 19. Jahrhundert hinein.
Das beigefügte Kirchenfenster aus dem Kölner Dom zeigt den Widder als Sündenbock. Gott hatte von Abraham verlangt, dass er ihm seinen Sohn Isaak opfert. In letzter Minute erst, nach dem er den unbedingten Gehorsam Abrahams erkennt, schickt er ihm den Widder. Nachzulesen im AT, Genesis 22, 1-13.

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