Wilde Erdbeeren - hinterm Pippi-Langstrumpf-Haus

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Da wuchs doch damals dieser Rhododendron mit den atemberaubenden
kirschroten Blüten – mitten im Vorgarten, äußerst robust, nicht mal
Zikaden gelang es, seine Pracht zu verhindern, blühte pünktlich im April
auf dem Rasen vor dem weiß getünchten Haus, das die Kirche im
Dorf ließ.

Schon sein Name (Rhododendron) flößte Ehrfucht ein, und ich ließ
den Strauch weitestgehend in Ruhe, zupfte malhiermaldort paar welke
Blütenblätter aus den leuchtenden Kugeln, lockerte ebenso flüchtig wie
behutsam im runden Beet die Erde auf.

Schwieriger war der Steingarten mit seinen kleinen Pflanzen zwischen
den Findlingen: Bärenfellgras, Sternmoos, Lampenputzergras,
Zwergwacholder, Zittergras etc.
Stunden, was sage ich, Tage hat es gedauert oft, bis das Gartenstück
neben der kleinen Einbahnstraße wirklich 'in Schuss war'.
Oft war es schwierig, das Unkraut vom Ziergras zu unterscheiden,
und ich zupfte bisweilen gar an einer 'Fetthenne' herum, sofern diese
nicht grad in Blüte stand und sich als Blume outete.

Unsere Wellblechgarage – ein Kapitel für sich. Ich erinnere
insbesondere und mit wohligem Schaudern deren Rückwand, die weich
wie Butter war. Das durfte ich feststellen, während ich unser fast neues
Auto 'durch die Garage fuhr', weil ich die Bremse nicht fand (Liebling,
ich fahre mal eben unser Auto durch die Garage, hah!).
Ging nochmal gut, aber besser im Leben ist, rechtzeitig die Bremse
zu ziehen; es gibt durchaus Situationen, die anderenfalls tödlich
enden könnten. Nein? - Doch! Das steht in jeder Zeitung.

Oder als das kleine Kind einmal hoch oben auf dem Apfelbaum, der
zwischen den wilden Erdbeeren wuchs, hockte und hockte und nicht
mehr runterkam. Niemand konnte sich erklären, wie es dort hinaufgelangt
war. Möglicherweise waren ihm Flügel gewachsen.

Wir ließen es paar Minütchen lang zappeln, weil es sehr kiebig
sein konnte und außergewöhnlich abenteuerlustig war, lehnten dann
aber zu guter Letzt die Leiter an den Baum, um unseren kleinen
blonden Pfirsich mit den braunen Kulleraugen aus den Äpfeln
zu pflücken.

Oder es setzte sich mal kurz auf das uralte schwarze Riesenmonster
von Fahrrad, das neben dem braunen Holzschuppen lehnte. Auch dieses
Kunststück ein Rätsel. Hat wohl viele Versuche und unendliche Geduld gebraucht,
den hohen Sattel zu erklimmen. - Und dann saß es da –
wie draufgesetzt und zurückgelassen und kam weder vor noch zurück. Die
Füßchen baumelten in der Luft, weil die dicken Beinchen noch viel zu
kurz für die Pedalen waren. Ein Bild für die Götter! -
Und das, obwohl vor zuvor erwähnter Garage aufgereiht standen:
ein orangefarbenes Kettcar, ein Roller, ein Tretauto sowie ein blaues Dreirad
in Form einer Rakete. Ja, ihr habt recht, man kann es auch übertreiben:
Ein Fuhrpark für Zwerge – muss nicht sein.
Aber das war scheinbar alles pillepalle gegen dieses schrullige alte Vehikel,
mit dem man klingeln konnte, sofern man niemanden umfahren wollte;
das schöne bunte Auto hingegen besaß 'lediglich' eine schnöde Hupe.

Neben der Wand hinter dem Haus, auf einem langgestreckten, schmalen
Beet: Frühblüher; nannten sich Tulpen, Narzissen, Osterglocken,
Maiglöckchen etc. Auch die rührte ich selten an: blühten so schön, waren
viel zu schade zum Pflücken. Sogar das Kind freute ich über die Pracht und
betrachtete das kunterbunte Gemisch mit gewisser Ehrfurcht.

Ich strich sämtliche Türen im Haus dunkel-organge und hing Selbstge-
maltes an die Wände im großen Flur. Die Mauern waren so dick, dass
wir uns rufen mussten, sofern wir uns nicht gemeinsam in einem der
Zimmer befanden.

Wir stutzten die Hecke zum Nachbargrundstück; und ich harkte fast
jeden Freitag die Auffahrt zum Haus; das Muster hielt nie länger als eine
Stunde.
Im Winter zitterte die Waschmaschine im Nebengelass vor Kälte und
ich wusch häufiger bei 90 Grad, damit sie nicht ständig verschnupft war.

Von der kleinen Speisekammer führte eine Steintreppe in den Keller,
der bei heftigen Regenfällen unter Wasser stand; ich fürchtete mich
sehr vor Ratten, aber es tauchten nie welche auf.
Fürchtete mich auch vor dem großen Dachboden, stieg selten hinauf.
Die dunklen Nischen entfachten gruselige Träume in mir; Edgar Allan
Poe mit seinen Geschichten schien mir dagegen ein Waisenknabe ...

Sonst passierte wenig. Es war meistens sehr ruhig im Dorf und man
hörte die Vögel singen und etliche Katzen miauen.

Manchmal kamen fremde kleine Tiger zu Besuch und ein-, zweimal der
Pastor mit seiner Frau. Die kleinen Tiger bekamen Milch, dem Pastor nebst
Frau, beide noch sehr jung und außergewöhnlich freundlich, servierte ich
Cola und Mineralwasser.
Die Frau des Pastors war aufmüpfig und konnte ganz prima mit Absicht
schielen, wenn ihr danach war. Der Pastor schimpfte dann; aber ich
fand es toll.

Wenn sich nachts im Dorf wer stritt, vernahm man das Gezeter weithin,
selbst dann, wenn man den Streit nicht hören wollte – Ohropax gab
es damals noch nicht - aber niemand schlug Kapital aus jenen Gefechten.

Was soll ich noch sagen?

„Unser Pippi-Langstrumpf-Haus“, pflegte das blonde, quirlige Kind mit
der Pfirsichhaut und den kurzen Beinchen zu krähen – aber wir hatten
mitnichten ein Pferd auf der Veranda – leider.

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