Gebet einer Zweiflerin

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von Marie Mehrfeld

Wenn es Dich gibt, Herr aller Himmel, der fernen und nahen, der leichten, der schweren, lass die von Krieg, Tod und Hass geschwärzten Horizonte in sich zusammenstürzen und verschone die hellen blauen der Kindheit, die über grünen Tälern schweben - für alle, die guten Willens sind und für die Unschuldigen, die nach uns kommen,

Du lässt alle Winde wehen, die säuselnd schmeichelnden, die Blüten bestäuben, Gitarrenklänge weiter tragen und gutes Denken um die Erde schicken, und die wirbelnden rasenden Orkane, die uns ängstigen und unsere Häuser zum Einsturz bringen, Leben bedrohen und vernichten, lass nicht zu, dass die wilden Stürme die linden Winde besiegen,

Du bist der Herr des Wassers, ohne das wir nicht leben können, es erhält und trägt uns, kann uns indes auch überfluten oder ganz ausbleiben und alles zerstören und töten, was uns lieb und wert ist, stärke das Gleichgewicht der guten und der gefährlichen Wässer und sorge für gerechte Verteilung,

Du bist der Herr der Lüfte, die sauerstoffgesättigt aus den Wäldern der Welt aufsteigend unseren Atem reinigen, unser Wohlbefinden stützen, über den Städten jedoch weht der krankmachende Hauch aus Abgasrohren gigantisch großer Wagen, in denen nicht selten nur ein Mensch sitzt, giftige Ausdünstungen aus

Automobilen, Kühlschränken und Fabrikschornsteinen steigen hoch auf und zerstören den Schutzmantel der Erde, gib deinen Geschöpfen die Weisheit, umweltfreundlichere Vehikel und Geräte zu erfinden und strengere Gesetze zu erlassen, sie können das, es wird höchste Zeit,

gibt es Dich, dann kennst Du alle verschwiegenen und ausgesprochenen Gedanken, die kurzen und langen, die zärtlich klingen und von Wärme und Nähe sprechen wie auch die schwarzen feindlichen, die von Neid, Hass und Verachtung sagen und geflucht oder nachts heiser gehustet werden mit gebrochener

Stimme, die Kriege verursachen und unsere Sprache vergiften, die guten und die bösen Worte treten gegeneinander an in dieser Welt, hilf, dass die Sprache der Liebe den Zweikampf gewinnt, eine wundersame Natur hast du uns geschenkt mit ungezählten stillen Pflanzen und schwimmenden, kriechenden, fliegenden, laufenden Wesen, die braun sind oder gelb oder schwarz

oder rot mit langen oder kurzen Hälsen, und als Krönung die Aufrechten in vielen Farbabstufungen, denen du Verstand gabst, den sie verwenden, um deine Schöpfung zu erhalten und zu ehren, aber auch, um dein Geschenk zu zerstören, indem sie den lebendigen Wesen aus purer Geldgier den Lebensraum nehmen, indem sie Waffen erfinden, mit denen die sich gegenseitig töten und die Erde unbewohnbar machen können,

zwei Seelen hast du uns gegeben, eine leuchtend helle und eine dunkle, eine wache leichte und eine schlummernde schwere, ein Plus und ein Minus, unser Leben lang bekämpfen sich die konträren Pole, gib der Wahrheit, der Klarheit des Tags die Kraft, die negativen Gedanken der Nacht zu überstrahlen,

genau so hast du uns geschaffen, in uns gespalten, wir leugnen und verfluchen dich auf verschiedene Weisen oder beten dich an, du sollst uns gehören, wir wollen dein Eigentum sein, doch du bleibst gelassen, lässt dich nicht vereinnahmen und achtest auf Abstand, denn du hast zu viele Kinder im unendlich weiten All, und du weißt um unsere Sterblichkeit,

wie gut, dass wir nur ahnen können und niemals wissen werden, wer, wo, wie und ob Du bist, denn nur die Ungewissheit lässt uns hoffen, und Du allein bestimmst die Länge unseres Lebens und hast uns gelehrt zu sagen - wenn es gut war, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.

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