Ein Herr, der hatte einen Diener,
sehr treu ging der die Wege mit
'Bereite heute die Melone,
ich habe darauf Appetit!'
So sagte er, der Diener folgte,
servierte ihm die süße Frucht
'So koste sie!', bat der ihn freundlich
Er hatte sie selbst ausgesucht
Der nahm ein Stück, ein zweites, drittes,
er aß das ganze schöne Obst
Der Herr nahm rasch den letzten Bissen,
verzog die Miene, fast erbost
'War'n deine Stücke auch so bitter?'
'Ja, sie waren fürchterlich!'
'Warum hast Du dann nichts gesagt?',
so fragte er ihn väterlich
'So lange bin ich Euch zu Diensten,
hab' so viel Süßes schon erfahr'n
Wenn e i n e Frucht heut' bitter war,
kann ich das Klagen mir erspar'n!'
2017 - Nach einer Sufigeschichte
Kommentare
In vielen anderen Balladen werden schicksalhafte Ereignisse und starke Gefühle auf dramatische Weise erzählt.
Hier dagegen fließt eine Erzählung ruhig dahin, sie malt sprachlich in wenigen, meisterhaften Strichen ein ganz alltägliches Bild von Herrn und Diener .
Doch plötzlich geschieht eine unerwartete Wende, die ebenfalls großartig kanpp erzählt wird. Sie stellt alles Seitherige in Frage, auch unsere festgefügten Sicht- und Handlungsweisen. Und betroffen frage ich mich, wo ich die Weisheit des "Dieners" zu wenig sehe und wo ich zu viel über die bittere Melone jammere, in Beziehungen oder im ganzen Leben.
So ist diese Ballade sprachlich eine Freude, inhaltlich jedoch eine bittere, aber heilsame Arznei, für die ich herzlich danke!
Jolanthe
Die Sufis wissen um den großen Reichtum, den wir oft tagtäglich empfangen und genießen (können). Sie machen dem Schüler Mut, das Bittere auch zu nehmen. Lieber mutig reinbeißen als klagend und fragend sich zurückziehen. So erweisen sie Gott die Ehre.
Im Original lautet der Schluss: 'Der Diener antwortete: Mein Herr, ich habe so viel Süßes von deinen Händen gekostet, dass eine bittere Melone mir nicht erwähnenswert schien'.
Danke und sonnige Grüße aus einem herrlich frischen Wintertag! JW
Sehr herzlichen Dank für Ihre Antwort, vor allem, dass wir Gott ehren, wenn wir das Bittere annehmen. Sehr nachdenkenswert!
Mir fiel zum Thema noch ein Gesangbuchvers von Bonhoeffer ein:
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar, ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Meint das Ähnliches? Und wie komme ich zu dieser Haltung?
Mit hellen Wünschen grüßt Jolanthe
Dietrich Bonhoeffer war verlobt und sie wollten heiraten - und nun saß er in Berlin im NS-Gefängnis, weil er Kontakte zum Widerstand hatte. Er wusste, was ihm drohte. Und dennoch sind seine Briefe aus dem Gefängnis das Bewegendste, was er geschrieben hat und sie haben den Protestantismus der Nachkriegszeit sehr geprägt. Er hat dieses Lied mit seinem Sterben unterschrieben, das macht es so glaubwürdig! Ein Zeuge berichtet: „Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefaßt die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“ Es ist nicht die einzige Art, wie man loslassen und vertrauen kann, aber eine sehr respektable. Danke! JW
Lieber Jürgen,
mir gefällt dein Gedicht gut. Die Aussage hat seinen Reiz!
Wir können nicht jeden Tag das Glück an unserer Seite haben und dennoch hin und wieder lächeln, wenn die eine oder andere Frucht nicht unserem Geschmack entspricht. Deswegen muss diese Frucht nicht weniger gut sein und manchmal kann ein Lachen viel mehr erzählen als ein Jammern um den bitteren Geschmack.
Beste Grüße.
Heike
Wunderbar! Danke! Jürgen
Weisheit eines Dieners. Lehrreich. Gefällt mir.
LG Monika