Weihnachten

Bild zeigt Kurt Tucholsky
von Kurt Tucholsky

Von Theobald Tiger
(Anmerkung Redaktion: Pseudonym von Kurt Tucholsky)

In meiner Heimat, da oben im Norden,
sind wir als Kinder versammelt worden,
Anna stand hinter der Tür und hatte
einen Vollbart an aus furchtbar viel Watte.
Und während wir drin um den Weihnachtsbaum sangen,
hat sie ganz vorsichtig angefangen,
ein kleines Paket durch die Tür zu schieben,
da stand nun irgendwas drauf geschrieben:
Für Peter – Für Theo – Für Mary – Für Claire –
und wir platzten vor Neugier, was das wohl wäre – –
Und dann machte die Weihnachtsfrau draußen: Schwapp!
Und warf den Packen und rief:
„Julklapp!“

Ich werf euch nun so einige Packen
mit Spielzeug und Bildern und Nüssen zum Knacken:
Karl Liebknecht, wie bist du rein und fanatisch,
auf die Dauer wirkst du doch unsympathisch;
du bestärkst den Radau, treibst der Rechten die Mühlen –
ich glaube, du sitzt grade zwischen zwei Stühlen – –
Julklapp!

Frau Schwerindustrie, da hockst du und wartest.
Weißt du, daß du uns vier Jahre lang narrtest?
Jetzt sind dir die Felle stromabwärts geschwommen –
Bei Thyssen! sie werden schon wiederkommen – –
Julklapp!

Herr Major, die gesträubtesten Schnurrbarthaare
trösten uns nicht über die letzten Jahre.
Wo ist Ihr Glanz? Jetzt sitzt er und putscht.
Herr Major, Sie sind hinten runtergeruscht!
Julklapp!

Fühlst du dich etwa vom Frieden betroffen?
Herr Schieber? Mein Lieber, ich will es nicht hoffen.
Denn darin seid ihr euch gleich geblieben:
Für den Tüchtigen gibt es stets was zu schieben – –
Julklapp!

A und S – eine liebe Erscheinung!
Von jeher war das meine Meinung:
wir haben zu wenig Beamte im Haus.
A. u. S. Vielleicht heißt das: „aus“?
Julklapp!

Die Kinder … das ist ein ernstes Kapitel:
Brotkarten, Vaterns Soldatenkittel –
die Schule fällt aus – unsre Hoffnung nicht minder –
ich glaube, ich habe zum Glück keine Kinder …
Julklapp!

Der Tanz ist erwacht mit einem Male.
Der Fox-Trott zieht durch alle Lokale;
und wer ihn nicht richtig tanzen kann,
der ist überhaupt kein deutscher Mann – –
Julklapp!

Mein Kino, du hast jetzt gute Tage!
Keine Aufsicht mehr, keine Zensurenplage.
Man kann jetzt unverhüllt alles sehn –
und trotzdem bist du genau so schön – –
Julklapp!

* * *

Ich hoffe, ich habe keinen vergessen.
Aber ihr geht nun gewiß zum Weihnachtsessen.
Und wenn wir das hier so alles lesen:
es ist eine schöne Bescherung gewesen!

Veröffentlicht / Quelle: 
Ulk Jahrgang 47, Nummer 51, Seite 202; 20. Dezember 1918; Rudolf Mosse-Verlag Berlin
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