vergessene Bilder flirren über verwischten Sprachtrümmern,
erst schwebend, dann stürzend, falle ich unsanft, träumend
in das grüne Kindergitterbett, hoch oben der dunkele Mann
in steif gekoppelter Uniform, so hebt er mich ins grelle Licht,
lächelnd mit schiefen Zähnen und tief tief traurigen Augen,
ich spüre den Abschied nicht, er zieht mit getäuschtem Mut
aufrecht in den Krieg, falscher noch als alle falschen Kriege,
und steht geknickt zerbrochen vor der Tür nach langer Zeit,
schlafend kehre ich zurück, wieder und immer wieder, in
mein altes gelbes Haus, nur, dass die Türen schief hängen
in den Angeln, Tapeten fehlen, und triste leere Vierecke da,
wo diese Bilder einst hingen, kein Kinderbett mehr, keine
Kerzen auf den Tannenzweigen, kein vielstimmiges Singen
zur Weihnachtszeit mehr und der Mann jetzt im Grab,
doch der Krieg ist noch in mir beim Blick in den verdorrten
Garten, so grau, und der Regen schüttet durch Dachsparren,
bildet Pfützen auf altem Holz, und ich suche suche und finde
den tröstlichen Frieden nicht und den Schnee, der so lieblich
leicht aus den Wolken fiel, auch das Summen, das Streicheln,
Gespräche am Mittagstisch gelöscht, jemand war da vor mir,
hat alle bunten Farben gestohlen, ich verschlucke, erwachend,
den trostlosen Traum verschreckt hinter vorgehaltener Hand
Kommentare
Man kann durch solche Hände sehn -
Und das gelang Dir hier sehr schön ...
LG Axel
Die Finger vor Augen filtern das Licht –
was man nicht mag, sieht man so nicht …
LG und danke - Marie
Im Traum kann man durch Wände gehn, durch Zeiten, es wachsen dort so viele Dinge, die wir oft im Nebel wähn'n...und die auch manchmal über ins Erwachen gehn -
LG Yvonne
Danke, es stimmt, was Du schreibst, man kann durch Wände gehen, hat wunderbar helle Träume, die in den Tag hinein strahlen, und dann gibt es die dunkelen, vernebelten, die belasten, die man erst verstehen kann, wenn man sich intensiv mit der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzt und auch Schmerz zulässt, eine sehr wertvolle Erfahrung ..
LG Marie.
Träume spiegeln Welten - sind so komplex wie wir selbst - im Guten wie im Schlechten - und eine Auseinandersetzung mit ihnen gibt uns immer etwas, wenngleich auch manchmal schmerzhafte Erfahrungen - und doch, tragen nicht auch sie dazu bei, dass wir am Ende des Tages ein wenig besser mit uns selbst zurechtkommen, so wir ebenjene auch zulassen, sie nicht verdrängen unter einer scheinbaren Zufriedenheit, sondern sie aushalten, mit und an ihnen zu wachsen, so weh das auch manchmal tut, und wie heftig es sein kann, das hast du im Gedicht auf wirklich beeindruckende Art und Weise dargestellt - welch eine Stärke kommt da zum Ausdruck.
LG in deinen Sonntag - Yvonne
„Eigentlich sinken wir im Traum zurück in eine Welt, die noch außerhalb der Sprachfähigkeit liegt, in der wir mit Bildern unser Leben zu erklären versuchen. Tagesreste, die nicht erledigt worden sind, Erinnerungen an frühe Kindheit, die symbolisch sich einspielen halten ein Szenario bereit, das jeden zu dem Shakespeare oder Dante seines eigenen Lebens macht.“
Das schreibt Eugen Drewermann, der Theologe und Psychologe, von dem ich viel halte, zum Thema Traum, er bringt es auf den Punkt, das wollte ich Dir schreiben, liebe Yvonne.
Liebe Grüße und danke, dass Du Dich noch einmal gemeldet hast - Marie
Vielen Dank; diese Lektüre interessiert mich brennend :), kannst du mir vielleicht einen Literaturtipp geben? Grüße dich herzlich zurück Yvonne
Gerne. Das war ein Beitrag im „Deutschlandfunk Kultur“ vom 2.2.13, als Eugen Drewermann (Theologe, Psychoanalytiker, Schriftsteller und ehemaliger römisch-katholischer Priester) im Interview mit Kirsten Westhuis sagte, Träume seien ein Versuch, das Leben zu erweitern. Er hat kein speziellen Buch über Träumen geschrieben, sich aber immer wieder dazu geäußert. Hoch interessant auch seine Bücher über Märchen, tiefenpsychologisch gedeutet.
LG
Erschütternd, liebe Marie, wie sich der Krieg in dieser von Dir intensivierten Darstellung in Dein Gedächtnis gegraben hat, nicht allein als dramatische Einschüchterung, sondern auch in Form von Verlusten, Verlustängsten - unreparabel. Der Krieg hat Dir die unbeschwerte Kindheit gestohlen und seelische Erschütterungen in Dir ausgelöst, die bis in die heutige Zeit nachwirken. Arme, kleine Marie ...
Liebe Grüße,
Annelie
Danke, liebe Annelie; ja, es gibt (nicht nur in meinen) Nächten Wiederholungsträume, die mit Vergangenheit zu tun haben, und die ganz ganz junge Marie hatte im Krieg einiges unverarbeitet wegzustecken, das lebenslänglich in Träumen wieder auftaucht. Der erwachsenen und inzwischen gar nicht mehr jungen Marie aber geht es sehr gut, sie hat das im Griff und ist in der Lage, die Ängste des Kleinkindes tröstend aufzufangen …
herzliche Grüße zu Dir - Marie
Liebe Marie, nur durch Erzählungen meiner Mutter und Großeltern und durch dein so detailliert geschriebenes Gedicht, kann ich mich in eine Zeit rein denken, die ich nie erlebte und die hoffentlich niemand mehr, erleben muss. Tröstlich, sehr tröstlich ist, das du Geschehens mittlerweile im Griff hast, das tut gut zu wissen. Doch schade, Marie, dass du es erfahren musstest!
Herzliche Grüße in deinen Abend
Soléa
Alle Erfahrungen prägen, liebe Soléa, die guten stärken das Selbstbewusstsein, man wächst aber auch an den schlechten, und ich hatte Glück, weil ich in einer stabilen Familie aufwuchs, dadurch hatte ich ein gutes Seelenpolster, mir tun alle Kinder leid, die Krieg erleben, damit meine ich auch und vor allem die vielen kleinen Kriege, die ganz ohne Schusswaffen auch heute noch im Alltag stattfinden mit Schlägen, aber auch mit verletzenden Worte, mit Lieblosigkeit …
liebe Grüße zu Dir und Lupine - Marie
Marie Mehrfeld, Mehrfeld, Mehrfeld!
Was du kannst und machst! Bin sprachlos und sprachenlos. Da schreibe ich bewusst, mit Überzeugung, womit einst Briefe endigten:
Hochachtungsvoll!
Uwe
ach, Uwe, Deine ganz besondere Art, zu schreiben, stimmt mich froh-fro-froh ...
höchst-achtungsvoll zurück - Marie