Ich stell mir vor, ganz ohne Not
das Leben startet ungehemmt
nicht mit Geburt sondern dem Tod,
ganz anders also als man's kennt.
Jahrhunderte lag man im Grab,
so cirka sechs Fuß in der Erd‘,
wurde vom Staub zur Leich', die starb.
Und weil es jetzt läuft umgekehrt,
gräbt man den Sarg behutsam aus,
entnimmt ihm die besagte Leich'
bringt sie hernach zum Krankenhaus,
wo man sie ablegt warm und weich.
Der Mensch belebt sich selbst sodann,
beendet auch schnell Leid und Qual.
Das Altenheim steht nunmehr an.
darum verlässt er das Spital.
Nach Wochen im Seniorenheim
wird er gesünder, hoch betagt.
Er wird bald Juniorgreis dort sein.
denn er lebt rückwärts, wie gesagt.
Und schon ist er für‘s Heim zu jung,
zieht nunmehr in sein eignes Haus.
Mit Golduhr und Belobigung
zeichnet, betrieblich, man ihn aus.
Er wird geehrt für dreißig Jahr
die er nun bis zum Studium
sich aufreibt und Ihm wird's gewahr:
Bald geht’s ans Abiturium.
Die Jugend, glücklich , folgt hernach,
er nippt am ersten Alkohol,
schaut dann den süßen Mädels nach,
ahnt nicht, was das noch werden soll.
Danach steht's Grundschulalter an.
Und um ihn etwas zu erheitern,
erhält am ersten Schultag dann
er furchtbar viele Süßigkeiten.
Die Zeit als Kleinkind folgt, im Sand,
an dessen Start wird er geborn.
Inzwischen ist es ja bekannt:
Dieses Mal rückwärts, nicht von vorn.
Den Mutterleib füllt er gut aus,
verjüngt sich weiter, bis zum Schluss
und löst sich schliesslich vollends auf
als z'rück er zum Erzeuger muss.
Und die Moral von dem Gedicht?
Ich weiss sie, ehrlich, selber nicht.
© Horst Fleitmann 2020