Nun ist der Mai gekommen, alle Bäume schlagen aus:
sind übermütig große grüne Pferde; bleib zu Haus
und lass getrost die Wolken wandern dort am Himmelszelt;
sie sind dort droben sicherer als du hier unten auf der Welt.
Vater und Mutter auch, falls sie noch nicht im Himmel sind.
Und wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute nah, sag, bist du blind?
Auf jeder Straße langmarschiern zu wollen, ist doch doof!
und weshalb immer Wein, was soll das ständige Geschwof' …?
Die Sonne macht dir Krebs, bist weder frisch noch munter.
Von Bergen fällt man leicht ins tiefe Tal hinunter.
Dein Herz ist müd' und schwach, die Bäume, lass sie rauschen.
Du kennst das Lied der Lerche nicht und darfst nur lauschen.
Und abends gehst du eh in deine alte Kneipe an der Ecke;
der Wirt schiebt dir 'ne Flasche Korn zu und ein helles Bier.
Der Spielmann ist ein Vagabund; schläft in der Hecke.
Dein Schatz hat dich verlassen, denn du trinkst zuviel.
Hotels und Herbergen um diese Zeit: stark überfüllt!
Draußen ist' s kalt, es scheinen weder Mond noch Sterne.
Die Linde, frühjahrsmüd', hat sich in Schweigen eingehüllt.
Du glaubst, das Morgenrot hat dich geküsst? Es war die Gaslaterne!
O Wandern, wandern, Hühneraugen, Hammerzeh …
da wehet Gottes Odem ach so kalt in deine Brust;
dein Herz holpert nach tausend Metern und tut weh;
dann kehrst du um und wankst nach Haus, vorbei die Lust!
Der Mai ist gekommen - von Emanuel Geibel
1.
Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zuhaus;
wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.
2.
Herr Vater, Frau Mutter, dass Gott euch behüt!
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht?
Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert,
es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.
3.
Frisch auf drum, frisch auf drum im hellen Sonnenstrahl
wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal.
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all;
mein Herz ist wie ’ne Lerche und stimmet ein mit Schall.
4.
Und abends im Städtlein, da kehr ich durstig ein:
„Herr Wirt, eine Kanne, eine Kanne blanken Wein!“
Ergreife die Fiedel, du lust’ger Spielmann du,
von meinem Schatz das Liedel, das sing ich dazu.
5.
Und find ich keine Herberg, so lieg ich zu Nacht
wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht.
Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
es küsset in der Frühe das Morgenrot mich wach.
6.
O Wandern, o wandern, du freie Burschenlust!
Da weht Gottes Odem so frisch in die Brust,
da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
wie bist du doch so schön, du weite, weite Welt!
Ich habe Emanuel Geibels schönes Mailied ein bisschen geändert - für Menschen, denen Wandern ein Graus ist. So etwas gibt es - und muss toleriert werden. Man muss ab und an auch ein bisschen "ringelnatzen".