Als flögen wir davon

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von Marie Mehrfeld

Ich halt inne. Werde ruhig. Nehme den Blick meiner Augen, den Augenblick wahr. Nur er zählt. Ich schaue hin. Schaue andächtig hin. Beuge mich. Mache mich klein. Denn ich bin klein. Winzig klein. Angesichts der Schönheit der Schöpfung. Der Anmut des kleinen Schmetterlings. Der versehentlich leicht schaukelnd auf meiner Hand gelandet ist. Er trägt den malerischen Namen Tagpfauenauge. Rostrot ist er. Die vier schwarzweißen Flecken auf seinen seidigen hauchdünnen Flügeln sollen Feinde erschrecken. Nur ein halbes Jahr lebt er. Doch er weiß nichts vom Tod. Er lebt, vermehrt sich und stirbt. Ich teile viel mit diesem Schmetterling. Wie lange noch werde ich leben? Ich weiß es nicht. Weiß so wenig. Lese nach im 90. Psalm, Vers 10: Wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon. Alte, sehr weise Worte. Ganz still halte ich. Atme verhalten. Damit ich ihn nicht erschrecke. Freue mich. Freue mich sehr. Wenn er gleich abhebt. Und seine zarten Flügel ihn davon tragen ... wohin auch immer.

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