das Neunte

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von Dirk Tilsner

Zunächst erscheint ein flatterhafter Willen:
Ich schreib heut‘ Abend ein Gedicht.
Die Zeit verstreicht. Bald denke ich im Stillen:
So flutscht das mit den Reimen nicht.

Bei einem Gläschen Wein komm ich ins Wanken:
Terzine? Madrigal? Sonett?
Beim zweiten sprießen unverhofft Gedanken
an weiche Arme und ein Bett.

Beim dritten wird mir klar, die rote Rose
ist als Metapher démodé.
Sie wandelt sich beim vierten zur Mimose;
ein scheues Reh im Negligée.

Das fünfte, und ein Pferd schlägt mit den Flügeln;
es trägt uns durch die Sternennacht.
Das sechste kann die Sprache kaum noch zügeln:
die Amazone voller Kraft;

das Licht, Gestirn auf ungeahnten Bahnen,
das siebente! – den Stier im Blick.
Ein wilder Tanz ums Feuer der Schamanen,
das achte – ein binärer Trick.

Beim neunten schwant es mir: jetzt naht das Ende.
Ein letzter Vers. Es ist schon spät.
Im Rausch besiegt die flammende Legende
ernüchternde Realität.

Gedichtform: 
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