Casanovas Heimfahrt - Page 5

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durch dessen vier schmale hohe Bogenfenster sich ein weiter Blick nach allen Seiten auf die sonnbeglänzte Ebene mit grünen Weingeländen, bunten Fluren, gelben Feldern, weißen Straßen, hellen Häusern und dunklen Gärtchen darbot. Casanova kümmerte sich nicht weiter um die Aussicht und machte sich rasch fertig, nicht so sehr aus Hunger, als aus einer quälenden Neugier, Marcolina so bald als möglich von Angesicht zu Angesicht zu sehen; er wechselte nicht einmal das Gewand, weil er erst am Abend glänzender aufzutreten gedachte.

Als er das im Erdgeschoß gelegene holzgetäfelte Speisezimmer betrat, sah er um den wohlbestellten Tisch außer dem Ehepaar und den drei Töchtern ein in mattschimmerndes, einfach herunterfließendes Grau gekleidetes Mädchen von zierlicher Gestalt sitzen, das ihn mit so unbefangenem Blick betrachtete, als wäre er jemand, der zum Hause gehörte oder doch schon hundertmal hier zu Gast gewesen. Daß sich in ihrem Blick nichts von jenem Leuchten zeigte, wie es ihn früher so oft begrüßt, auch wenn er als Nichtgekannter im berückenden Glanz seiner Jugend oder in der gefährlichen Schönheit seiner Mannesjahre erschienen war, das mußte Casanova freilich als eine längst nicht mehr neue Erfahrung hinnehmen. Aber auch in der letzten Zeit noch genügte meist die Nennung seines Namens, um auf Frauenlippen den Ausdruck einer verspäteten Bewunderung oder doch wenigstens ein leises Zucken des Bedauerns hervorzurufen, das gestand, wie gern man ihm ein paar Jahre früher begegnet wäre. Doch als ihn jetzt Olivo seiner Nichte als Herrn Casanova, Chevalier von Seingalt vorstellte, lächelte sie nicht anders, als wenn man ihr irgendeinen gleichgültigen Namen genannt hätte, in dem kein Klang von Abenteuern und Geheimnissen verzitterte. Und selbst als er neben ihr Platz nahm, ihr die Hand küßte, und aus seinen Augen ein Funkenregen von Entzücken und Begier über sie niederging, verriet ihre Miene nichts von der leisen Befriedigung, die doch als bescheidene Antwort auf eine so glühende Huldigung zu erwarten gewesen wäre.

Nach wenigen höflich einleitenden Worten ließ Casanova seine Nachbarin merken, daß er von ihren gelehrten Bestrebungen in Kenntnis gesetzt sei, und fragte sie, mit welcher Wissenschaft sie sich denn besonders abgebe? Sie erwiderte, daß sie vor allem das Studium der höhern Mathematik betreibe, in das sie durch Professor Morgagni, den berühmten Lehrer an der Universität von Bologna, eingeführt worden sei. Casanova äußerte seine Verwunderung über ein solches bei anmutigen jungen Mädchen wahrlich ungewöhnliches Interesse an einem so schwierigen und dabei nüchternen Gegenstand, erhielt aber von Marcolina die Antwort, daß ihrer Ansicht nach die höhere Mathematik die phantastischeste, ja man könnte sagen, unter allen Wissenschaften die ihrer Natur nach wahrhaft göttliche vorstelle. Als Casanova sich über diese ihm ganz neue Auffassung eine nähere Erklärung erbitten wollte, wehrte Marcolina bescheiden ab und äußerte, daß es den Anwesenden, vor allem aber ihrem lieben Oheim, viel erwünschter sein dürfte, Näheres von den Erlebnissen eines vielgereisten Freundes zu erfahren, den er so lange nicht gesehn, als einem philosophischen Gespräch zuzuhören. Amalia schloß sich ihrer Anregung lebhaft an, und Casanova, immer gern bereit, Wünschen solcher Art nachzugeben, bemerkte leichthin, daß er in den letzten Jahren sich vorzüglich auf geheimen diplomatischen Sendungen befunden, die ihn, um nur die größern Städte zu nennen, zwischen Madrid, Paris, London, Amsterdam und Petersburg umhergetrieben. Er berichtete von Begegnungen und Unterhaltungen ernster und heitrer Art mit Männern und Frauen der verschiedensten Stände, auch des freundlichen Empfangs zu erwähnen vergaß er nicht, der ihm am Hof der Katharina von Rußland zuteil geworden, und sehr spaßhaft erzählte er, wie Friedrich der Große ihn beinahe zum Erzieher an einer Kadettenschule für pommersche Junker gemacht hatte; – eine Gefahr, der er sich allerdings durch rasche Flucht entzogen. Von all dem und manchem andern sprach er, als hätte es sich in einer eben erst verflossenen Zeit zugetragen und läge nicht in Wirklichkeit Jahre und Jahrzehnte zurück; mancherlei erfand er dazu, ohne sich seiner größern und kleinern Lügen selber recht bewußt zu werden, freute sich seiner eignen Laune wie der Teilnahme, mit der man ihm lauschte; und während er so erzählte und phantasierte, ward ihm fast, als wäre er in der Tat noch heute der glückverwöhnte, unverschämte, strahlende Casanova, der mit schönen Frauen durch die Welt gefahren, den weltliche und geistliche Fürsten mit hoher Gunst ausgezeichnet, der Tausende verschwendet, verspielt und verschenkt hatte – und nicht ein herabgekommener Schlucker, den ehemalige Freunde von England und Spanien her mit lächerlichen Summen unterstützten, – die indes auch manchmal ausblieben, so daß er auf die paar armseligen Geldstücke angewiesen war, die er dem Baron Perotti oder dessen Gästen abgewann; ja, er vergaß sogar, daß es ihm wie ein höchstes Ziel erschien, in der Vaterstadt, die ihn erst eingekerkert und nach seiner Flucht geächtet und verbannt hatte, als der geringste ihrer Bürger, als ein Schreiber, als ein Bettler, als ein Nichts – sein einst so prangendes Dasein zu beschließen.

Auch Marcolina hörte ihm aufmerksam zu, aber mit keinem andern Ausdruck, als wenn man ihr etwa aus einem Buch leidlich unterhaltsam Geschichten vorläse. Daß ihr ein Mensch, ein Mann, daß ihr Casanova selbst, der all dies erlebt hatte und noch vieles andre, was er nicht erzählte, daß ihr der Geliebte von tausend Frauen gegenübersaß, – und daß sie das wußte, davon verrieten ihre Mienen nicht das geringste. Anders schimmerte es in Amaliens Augen. Für sie war Casanova derselbe geblieben, der er gewesen; ihr klang seine Stimme verführerisch wie vor sechzehn Jahren, und er selbst fühlte, daß es ihn nur ein Wort und kaum so viel kosten würde, das Abenteuer von damals, sobald es ihm beliebte, von neuem aufzunehmen. Doch was war ihm Amalia in dieser Stunde, da ihn nach Marcolina verlangte wie nach keiner vor ihr? Durch das mattglänzend sie umfließende Gewand glaubte er ihren nackten Leib zu sehen; die knospenden Brüste blühten ihm entgegen, und als sie sich einmal neigte, um ihr zu Boden geglittenes Taschentuch aufzuheben, legte Casanovas entflammte Phantasie ihrer Bewegung einen so lüsternen Sinn unter, daß er sich einer Ohnmacht nahe fühlte. Daß er eine Sekunde lang unwillkürlich im Erzählen stockte, entging Marcolina so wenig, wie daß sein Blick seltsam zu flirren begann, und er las in dem ihren ein plötzliches Befremden,

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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