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Sie nickte kurz und eilte über die Wiese dem Hause zu. Casanova hielt sich davor zurück, ihr nachzublicken, und fragte: »Wird uns Frau Amalia begleiten?« – »Nein, mein werter Chevalier«, erwiderte Olivo, »sie hat allerlei im Hause zu besorgen und anzuordnen – und jetzt ist auch die Stunde, in der sie die Mädchen zu unterrichten pflegt.« – »Was für eine tüchtige, brave Hausfrau und Mutter! Sie sind zu beneiden, Olivo!« – »Ja, das sag' ich mir selbst alle Tage«, entgegnete Olivo, und die Augen wurden ihm feucht.
Sie gingen die Schmalseite des Hauses entlang. Das Fenster Marcolinens stand offen, wie vorher; aus dem dämmernden Grund des Gemachs schimmerte das schleierartige helle Gewand. Durch die breite Kastanienallee gelangten sie auf die Straße, die schon völlig im Schatten lag. Langsam gingen sie aufwärts längs der Gartenmauer; wo sie im rechten Winkel umbog, begann das Weingelände. Zwischen den hohen Stöcken, an denen schwere dunkelblaue Beeren hingen, führte Olivo seinen Gast zur Höhe, und deutete mit einer behaglich zufriedenen Handbewegung nach seinem Haus zurück, das nun ziemlich tief unter ihnen lag. Im Fensterrahmen des Turmgemachs glaubte Casanova eine weibliche Figur auf und nieder schweben zu sehen.
Die Sonne neigte sich dem Untergang zu; aber noch war es heiß genug. Über Olivos Wangen rannen die Schweißtropfen, während Casanovas Stirne vollkommen trocken blieb. Allmählich weiter und nun nach abwärts schreitend kamen sie auf üppiges Wiesenland. Von einem Olivenbaum zum andern rankte sich das Geäst der Reben, zwischen den Baumreihen wiegten sich die hohen gelben Ähren. – »Segen der Sonne«, sagte Casanova wie anerkennend, »in tausendfältiger Gestalt.« Olivo erzählte wieder und mit noch größerer Ausführlichkeit als vorher, wie er nach und nach diesen schönen Besitz erworben, und wie ein paar glückliche Ernte- und Lesejahre ihn zum wohlhabenden, ja zum reichen Manne gemacht. Casanova aber hing seinen eigenen Gedanken nach und griff nur selten ein Wort Olivos auf, um durch irgendeine höfliche Zwischenfrage seine Aufmerksamkeit zu beweisen. Erst als Olivo, von allem möglichen schwatzend, auf seine Familie und endlich auf Marcolina geraten war, horchte Casanova auf. Aber er erfuhr nicht viel mehr, als er schon vorher gewußt hatte. Da sie schon als Kind, noch im Hause ihres Vaters, der Olivos Stiefbruder, früh verwitwet und Arzt in Bologna gewesen war, durch die zeitig erwachenden Fähigkeiten ihres Verstandes ihre Umgebung in Erstaunen gesetzt, hatte man indes Muße genug gehabt, sich an ihre Art zu gewöhnen. Vor wenigen Jahren war ihr Vater gestorben, und seither lebte sie in der Familie eines berühmten Professors der hohen Schule von Bologna, eben jenes Morgagni, der sich vermaß, seine Schülerin zu einer großen Gelehrten heranzubilden; in den Sommermonaten war sie stets beim Oheim zu Gaste. Eine Anzahl Bewerbungen um ihre Hand, die eines Bologneser Kaufmanns, die eines Gutsbesitzers aus der Nachbarschaft, und zuletzt die des Leutnants Lorenzi habe sie zurückgewiesen und scheine tatsächlich gewillt, ihr Dasein völlig dem Dienst der Wissenschaft zu widmen. Während Olivo dies erzählte, fühlte Casanova sein Verlangen ins Ungemessene wachsen, und die Einsicht, daß es so töricht als hoffnungslos war, brachte ihn der Verzweiflung nahe. Eben als sie aus dem Feld- und Wiesenland auf die Fahrstraße traten, erschallte ihnen aus einer Staubwolke, die sich näherte, Rufen und Grüßen entgegen. Ein Wagen wurde sichtbar, in dem ein vornehm gekleideter älterer Herr an der Seite einer etwas jüngern üppigen und geschminkten Dame saß. »Der Marchese«, flüsterte Olivo seinem Begleiter zu, »er ist auf dem Wege zu mir.«
Der Wagen hielt. »Guten Abend, mein trefflicher Olivo«, rief der Marchese, »darf ich Sie bitten, mich mit dem Chevalier von Seingalt bekanntzumachen? Denn ich zweifle nicht, daß ich das Vergnügen habe, mich ihm gegenüber zu sehen.« – Casanova verbeugte sich leicht. »Ich bin es«, sagte er. – »Und ich der Marchese Celsi, – hier die Marchesa, meine Gattin.« Die Dame reichte Casanova die Fingerspitzen; er berührte sie mit den Lippen.
»Nun, mein bester Olivo«, sagte der Marchese, dessen wachsgelbes schmales Antlitz durch die über den stechenden grünlichen Augen zusammengewachsenen dichten roten Brauen ein nicht eben freundliches Ansehen erhielt, – »mein bester Olivo, wir haben denselben Weg, nämlich zu Ihnen. Und da es kaum ein Viertelstündchen bis dahin ist, will ich aussteigen und mit Ihnen zu Fuß gehen. Du hast wohl nichts dagegen, die kleine Strecke allein zu fahren«, wandte er sich an die Marchesa, die Casanova die ganze Zeit über mit lüstern prüfenden Augen betrachtet hatte; gab, ohne die Antwort seiner Gattin abzuwarten, dem Kutscher einen Wink, worauf dieser sofort wie toll auf die Pferde einhieb, als käme es ihm aus irgendeinem Grund darauf an, seine Herrin möglichst geschwind davonzubringen; und gleich war der Wagen hinter einer Staubwolke verschwunden.
»Man weiß nämlich schon in unsrer Gegend«, sagte der Marchese, der noch ein paar Zoll höher als Casanova und von einer unnatürlichen Magerkeit war, »daß der Chevalier von Seingalt hier angekommen und bei seinem Freund Olivo abgestiegen ist. Es muß ein erhebendes Gefühl sein, einen so berühmten Namen zu tragen.«
»Sie sind sehr gütig, Herr Marchese«, erwiderte Casanova, »ich habe allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben, mir einen solchen Namen zu erwerben, finde mich aber vorläufig davon noch recht weit entfernt. – Eine Arbeit, mit der ich eben beschäftigt bin, wird mich meinem Ziele hoffentlich etwas näher bringen.«
»Wir können den Weg hier abkürzen«, sagte Olivo und schlug einen Feldweg ein, der gerade auf die Mauer seines Gartens zuführte. – »Arbeit?« wiederholte der Marchese mit einem unbestimmten Ausdruck. »Darf man fragen, von welcher Art von Arbeit Sie sprechen, Chevalier?« – »Wenn Sie mich danach fragen, Herr Marchese, so sehe ich mich genötigt, meinerseits an Sie die Frage zu richten, von was für einer Art von Ruhm Sie vorhin geredet haben?« Dabei sah er dem Marchese hochmütig in die stechenden Augen. Denn wenn er auch sehr wohl wußte, daß weder sein phantastischer Roman ›Icosameron‹, noch seine dreibändige ›Widerlegung von Amelots Geschichte der venezianischen Regierung‹ ihm nennenswerten schriftstellerischen Ruhm eingebracht hatten, es lag ihm daran, für sich keinen andern als erstrebenswert gelten zu lassen, und er mißverstand absichtlich alle weiteren vorsichtig tastenden Bemerkungen und Anspielungen des Marchese, der sich unter Casanova wohl einen berühmten Frauenverführer, Spieler,