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Justine aus, »wie, dieses Ungeheuer ...« – »Er hat Sie verraten und seine Pflicht dabei getan.« – »Aber er sprach doch von Liebe und zärtlichen Gefühlen.« – »Wie haben Sie glauben können, daß in einem Mitglied unserer Bande derartige Gefühle entstehen können? Gareau hat sich über Sie lustig gemacht, meine Tochter, er hat Ihnen Ihr Geheimnis entreißen wollen. Das möge Ihnen als Lehre für ein andermal dienen, für diesesmal unterwerfen Sie sich dem Schicksal, das Ihnen Ihre tugendhafte Unschuld bereitet hatte.«
Alsbald wurde Seraphine gerufen und Justine ihr übergeben. »Sie werden sie nicht einsperren,« sprach das Oberhaupt, »dürfen sie aber nicht aus dem Auge verlieren und haften mir mit Ihrem Kopfe für sie.«
Diese Seraphine, von der wir unseren Lesern endlich ein Bild geben müssen, war eine sehr hübsche dreißigjährige Frau, die mit einer ganz ungemeinen Geschicklichkeit begabt war. (Man erinnert sich noch an die Art und Weise, wie sie Justine täuschte.) Sie war von einer derartigen Sittenverderbtheit, wie man sie selten findet.
Gareau brach ein helles Gelächter aus, als er Justine mit ihrer Wächterin zurückkehren sah. »Was hältst du von diesem Gänschen?« fragte er Seraphine. – »Sie ist noch ein Neuling,« antwortete diese, »man muß es ihrem guten Glauben zugute halten.« – »Wie,« fragte Gareau, »wird sie nicht mit dem Tode bestraft werden?« – »Ah, Verbrecher, das wolltest du,« sprach Justine, »deshalb täuschtest du mir Gefühle von Liebe vor.« – »Liebe, Liebe, Seraphine, was sagst du zu dieser Jungfrau, die sich einbildet, daß man ihr Liebe schuldet, weil man sie im Hintern gefickt hat.« – »Sie ist jetzt in meiner Obhut,« sprach Seraphine, »und ich verspreche dir, daß sie mir nicht auskommen wird.« – »Ich hätte es lieber, wenn sie bei den Toten läge,« antwortete das Ungeheuer, indem es sein Glied in den Hintern eines Knaben steckte.
Nunmehr wurde Justine mit den niedrigsten Aufträgen betraut. Mit einem Wort, sie wurde die Sklavin der Seraphine. Man kündigte in den unterirdischen Gewölben durch einen Zettel an, daß Justine nicht mehr die Geliebte Gareaus sei und sich infolgedessen jedem, der nach ihr begehrte, hingeben müsse. Das Hübsche an der Sache war, daß als erster Gareau selbst erschien. »Komm, Schurkin,« sprach er, »wenn ich dich[390] auch irregeführt habe, liebe ich doch deinen Hintern, komm, bevor ich weggehe, will ich ihn noch einmal bearbeiten.«
Schließlich brach Gareau mit seinen Kumpanen auf und die zurückkommende Abteilung zog ein. Justine hatte also bald eine ganze Anzahl neuer Personen über sich und besonders das Oberhaupt dieser Truppe quälte Justine aufs Aeußerste. Roger, einer der größten Verbrecher, besaß im geschlechtlichen Verkehr Eigenschaften, die nicht ganz geeignet waren, Sympathien einzuflößen. Das Ekel pflegte in die Mitte eines Zimmers zu scheißen und das betreffende Weib mußte eine Stunde lang in diesem Kot herumlaufen. Er selbst war mit einem ungeheuren Hammer bewaffnete und peitschte während der Zeit den ganzen Körper des Weibes. Wenn er aber die Worte: »Friß Hure« aussprach, mußte das arme Opfer den Kot verschlucken und dabei selbst in seinen Mund scheißen. In diesem Augenblick begann sein Samen sich zu entladen. Sein Taumel wurde aber erst vollständig, wenn er Blut fließen sah oder einige Glieder zerbrechen konnte.
Inzwischen hatte man Bilanz gemacht und gefunden, daß die neue Truppe an Almosen nahezu siebenmalhunderttausend Pfund mitgebracht hatte. »Oh, Teufel,« rief Gaspard aus, »es lebe die christliche Barmherzigkeit. Wie geistvoll war derjenige, der diese erhabene Tätigkeit als Tugend bezeichnete, ohne ihn könnten wir heute nicht leben. Fahren wir fort, Freunde, den Priestern Unterstützungen zu zahlen, um die menschlichen Herzen aneifern zu lassen. Niemals noch werden wir unser Geld angelegt haben wie auf diese Weise.«32
Plötzlich öffnete sich die Falltüre und spie einen vierzigjährigen, gut gekleideten Mann herab, der vorerst wortlos, nach einem Augenblick der Ruhe aber fähig war, sein Mißgeschick zu erzählen. Der Wanderer hatte, um ein natürliches Bedürfnis zu befriedigen, sich in ein Gesträuch zurückgezogen und die Erde war unter seinen Füßen gewichen, sein mit Gold beladenes Pferd mußte einige Schritte weit von dem Erdloch entfernt sein und so sprach er: »Hat mich mein Schicksal in die Hände von Räubern fallen lassen, dann müßt Ihr euch beeilen, den Schatz in Sicherheit zu bringen. Habt Ihr aber keine bösen Absichten mit mir, dann bringet mich rasch wieder auf die Erde.« – »Dich auf die Erde bringen?« fragte Roger und hielt eine Pistole gegen den Mann gerichtet. »Ah, Verbrecher, deine Augen werden niemals wieder die Sonne sehen.« – »Was sehe ich, großer Gott,« rief der Reisende aus, »bist du es, Roger, du, mein Bruder, den ich sozusagen an meinem[391] Busen ernährt habe, du, mein Freund, dem ich zweimal das Leben gerettet habe, du, der mir mit einem Wort alles schuldet? Oh, wie danke ich dem Himmel, dich an diesem düsteren Ort zu finden. Wer immer diese Leute sind, wenn du mir als Beschützer dienst, werden sie mir nichts antun.« – »Der Schlag soll mich treffen,« rief Roger aus, »wenn es etwas gibt, das mich milder stimmen könnte und hättest du mir tausend Leben gerettet, Verbrecher, ich würde dir nicht dankbar sein. Wisse, Kindrich, daß in unseren Seelen jedes andere Gefühl als das des Interesses erstickt ist, und daß, solltest du mir selbst tausendmal größere Dienste geleistet haben, ich dich nicht schonen würde.« Zwei Pistolenschüsse streckten alsbald den Bruder nieder. Kaum war dies geschehen, als Seraphine mit dem Gepäcke des Reiters ankam. »Das ist ein entzückendes Abenteuer,« sprach Gaspard, der bereits die Beute zählte und mehr als hunderttausend Franks vorfand. Der Brudermord Rogers fand viel Beifall in der Truppe, aber gar keinen Widerspruch. Die unglückselige Justine wurde beauftragt, den Leichnam zu verscharren und wir überlassen es den Lesern, sich auszudenken, wie sehr die genannten Vorfälle geeignet waren, ihren ohnehin starken Haß gegen die Truppe noch zu vermehren. Die Freude, die man über den glücklichen Fang hatte, bewirkte, daß man den ganzen Abend nur daran dachte, sich zu erfreuen. Eine Orgie wurde veranstaltet, bei der alle Frauen und Knaben nackt erscheinen mußten. Justine war beauftragt, zu servieren.
Kapitel XVIII.
Trotz des Zustandes der Demütigung, in dem die unglückliche Justine gehalten wurde, fand sie doch in Seraphine eine Schützerin, die, da sie sie ihren Freuden