Der freundliche Herr Sonnenschein - Page 2

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von Gherkin Green

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een goede kerel.“ Und Eike bleibt noch stehen, um den beiden zuzusehen, wie sie langsam um die Wegbiegung verschwinden. Der Dackel liegt über der Schulter seines Herrchens und blickt diesen seltsamen Menschen dort hinten an, der ihm erst Schmerzen verursachte, und dann plötzlich so nett war. Im Takt schwingend, leicht hüpfend, hält er Blickkontakt zu dem Dackelpfotentreter, bis dieser dann entschwunden ist.

Eike Sonnenschein wäscht sich am nahen Wasser lange und ausgiebig die Hände. Dann ist es Zeit, die Heimreise anzutreten. Er hatte gute Aufnahmen gemacht. Die würde er zuhause alle in Ruhe betrachten. Einer der vielen Ballon-Verkäufer hatte einem entzückenden kleinen Mädchen einen knallroten Helium-Ballon mit der Aufschrift: >Is deze wereld niet suikerzoet?< verkauft. Der Mutter erzählte es nun unter Tränen, ganz aufgelöst, dass es, vor lauter Schrecken, als der Dackel doch so gejault hatte, den Ballon losgelassen habe. Die Kleine konnte nur noch, fassungslos, hinterher sehen, wie ihr geliebter Ballon in die Wolken entschwand. Sofort ging Eike hinüber zu Mutter und Kind. „Dat was waarschijnlijk mijn fout.“ Und reichte der erfreuten Mutter 30 Euro, damit sie einen neuen Ballon für die Kleine kaufen konnte, und dem Kind prompt einige Süßigkeiten aus der linken Tasche seines Jacketts. Die Aussicht auf einen neuen Ballon, zudem all diese Süßigkeiten, im Grunde genommen stellte sich für die Kleine die Situation nun sogar besser dar als kurz nach dem Kauf des roten Ballons. Jetzt wollte sie unbedingt einen grünen haben. Freundlich seinen Hut lupfend, froh verabschiedete sich der so sympathische Herr Sonnenschein, erfrischend herzlich winkt er dem knuffigen, süßen kleinen Mädchen noch zu, das sich jetzt hüpfend vor lauter Freude entfernt, an der Hand seiner Mutter. "Maar dat was een aardige oom", hörte Sonnenschein das Mädchen noch zu seiner Mutter sagen, quietschvergnügt.

Zurück in Deutschland, achtete Sonnenschein sehr genau darauf, Kopfsteinpflaster zu meiden, denn das ist Stress pur. Hier durfte er mit dem linken Fuß auf keinen Fall einen hellen Stein betreten, der rechte durfte keinen schwarzen Stein berühren. Es kam schon mal vor, dass er sich völlig übernommen hatte und, mitten in einer Altstadt, plötzlich stehen blieb, sinnend, etwas hilflos wirkend. Dann hatte er meist, direkt vor sich, nichts als schwarze Steine - oder aber nur weiße. In der Regel drehte er sich um und lief, wie lange das auch dauern mochte, den ganzen Weg zurück. So geschah es auch, sollte vor ihm eine schwarze Katze, von links kommend, die Straße zu überqueren die freche Stirn zeigen. Und es gibt noch sehr viel mehr Regeln im sehr komplizierten Leben des Zwangsneurotikers.

Wieder einmal ist Sonnenschein mit seinem Köfferchen und der umgehängten YI M1 95013 Kamera unterwegs. Aus der Innentasche des Jacketts nimmt der permanent extrem gut gelaunte Mann einen Umschlag, wobei er mit der linken Hand ziemlich umständlich in die linke Innentasche fassen muss, reißt ihn auf und studiert dann sehr genau das inliegende Blatt Papier, nachdem er es entfaltet hat:

„Termin: 11 Uhr 40, in der Hamburger Altstadt. Unweit des Hamburger Hafens, am Nikolaifleet, findest du jene Deichstraße. Es ist die Hausnummer 49. Du findest sie jenseits von der Cremon Insel und Grimm. Sie verläuft von der Willy-Brandt-Straße zur einer Straße namens Kajen. Die Postleitzahl: 20459. Diese Maisonette-Wohnung liegt in einem Haus, das an der Rückseite direkt an den Nikolaifleet grenzt. Das schöne Haus hat vier Etagen und ist in die Denkmalliste eingetragen. Die komplette Deichstraße steht unter Milieuschutz. Also ein denkmalgeschütztes Kontorhaus, 1984 nach alten Plänen neu erstellt, 89 erneuert. Wenige Schritte vom Neuen Wall entfernt respektive Speicherstadt/HafenCity, der Rathaus-Markt ist ganz in der Nähe. Du solltest auf gar keinen Fall ein Problem haben, die Haus-Nr. 49 zu finden. Es ist der Name Holger F. Luerssen. Grünes Schild.

Ungefähre Größe der einzelnen Räume, 3 Zimmer, Küche, Diele und Bad:
Wohnraum 25,14
Schlafzimmer 14,95
Küche 6,50
Diele 9,08
Flur 1,64
Bad 2,18 (mit Wanne)
Abstellfläche 2,18
Galerie 24,41
Gesamt ca. 90 qm

Balkon zum Fleet hinaus, Parkettboden oben (eine Wendeltreppe führt hinauf in den oberen Bereich), schwarz-weißer Mosaik-Fliesenboden unten.“ Hier schreckte Eike ein wenig zusammen. Schwarz-weißer Mosaik-Fliesenboden? Das könnte durchaus ein paar gewichtige Probleme geben. Er liest weiter: „Der Fahrstuhl fährt nur bis zur 3. Etage!“ Auch das noch. Eike hasste Komplikationen jeder Art.

Sonnenschein hat ein fotografisches Gedächtnis. Er hat dies Blatt Papier eben zum ersten Male überhaupt zu Gesicht bekommen, nun zerfetzt er es in kleine Teile. Er verteilt die Schnipsel auf insgesamt 9 diverse Abfallbehälter in Hamburgs Altstadtnähe.

Dann ist er angekommen. Die Fassade ist in zartem Rosa sehr nett gestaltet worden. Mit links tippt er die Kamera an, dann nimmt er sie mit der rechten Hand hoch. Sechs Fotos macht Sonnenschein. Er schaut auf seine Uhr. Es ist exakt 11:36 Uhr. Er wartet genau 4 Minuten, dann klingelt er, das grüne Schild zeigt den Namen „H. Luerssen“. Eine Stimme meldet sich: „Luerssen“. Mit fragendem Unterton. Eike sagt: „Denkmalpflege, Dr. Küsters hier. Ich komme, um Ihnen die Prämie für vorbildliches Verhalten vom Denkmalschutzamt der Stadt persönlich zu überbringen!“ Eine kurze Pause entsteht. Knistern.

Luerssen: „Welches vorbildliche Verhalten?“ „Nun, sie bewohnen ein historisches und gern von Touristen bestauntes, oft fotografiertes, denkmalgeschütztes Haus in dieser wohl berühmtesten Hamburger Straße überhaupt, neben der Reeperbahn. Und es ist mir hier, warten Sie...“ (lässt jetzt ein paar Sekunden verstreichen) „übermittelt worden, es steht hier doch irgendwo... warten Sie, ja, da, (knistert mit Papier) dass Sie aktiv bei der Renovierung im Jahr 1989...“

Sonnenschein wird unterbrochen: „Da wohnte ich noch gar nicht hier!“ „O, ist das so? Dann habe ich hier falsche Informationen. Ich sollte Herrn Holger F. Luerssen eben den Scheck hier überreichen, ausgestellt auf einen Betrag von Euro 1.200.“ H. Luerssen, nach einer kurzen Pause: „Kommen Sie rauf!“ Die Tür ließ sich öffnen. Konnte ja sonst keiner wissen, dass er Holger F. hieß. So etwas wissen nur die Behörden. Warnsignale ausgeschaltet. Das geht wohl in Ordnung mit diesem Dr. Küsters.

Da Eike Sonnenschein sehr seriös wirkt, zudem korrekt gekleidet erscheint, lässt ihn Herr Luerssen ein. Horror pur. Eike weicht hier instinktiv zurück. Die großen Steinfliesen, schwarz-weiß, dieser Mosaik-Fliesenboden, stellt ihn vor ein Problem. Nachdem die Wohnungstür geschlossen ist, geht der Hausherr voran. Worauf wartet der Gast? „So kommen Sie doch, das können

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