Wer, frage ich Sie, liest sie gründlich, all die kleinen Schilder, mit denen Aufzüge sich schmücken? Meist dienen sie als Fixpunkt für die Augen, damit der Kontakt zu den Mitfahrenden nicht „kritisch“ wird.
In dem kleineren der beiden Gerichtsfahrstühle erfuhr meine Aufmerksamkeit eine Offenbarung. Unter der Überschrift: „Es ist verboten …“ fand ich einzelne Punkte aufgelistet. Langsam stach Punkt „c“ hervor: „… c) Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist.“
Wenn DAS nicht eindeutig war! Fast so schön wie bei der Post, bei der „Beutel verbeutelt und nicht versackt“ werden – oder so ähnlich. (Kommen darum unsere Briefe immer später?) Abenteuerliche Kombinationen schossen mir durch den Kopf: Mitfahren setzt ja voraus, dass man mitfährt, also doch mit JEMANDEM mitfährt, einer Person, oder? Aber wenn das Befördern von Personen verboten ist? Und sind Aufzüge nicht dazu da, Personen zu befördern? Ein Lastenaufzug im Gerichtsgebäude erschien mir nicht ganz logisch. Sicher konnte mir einer der Beamten Auskunft geben, die normalerweise zu zweit am Eingang in ihrem Glashaus sitzen.
In breitem Kowwelenzer Dialekt schallte mir entgegen: „Wat wour dat?!“
Ich wiederholte meine Frage.
„Kommen Se ruhig emol erinn!“
Der Türöffner summte. Der einzelne Beamte war ratlos. „Dat gittet doch nit! Wat stieht do?!“
Ich konzentrierte mich erneut auf den Wortlaut: „Es ist verboten … c) Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist.“
Sein Blick wurde misstrauisch: „Dat kann ja woll net sain. Und dat stieht do?! Dat hann ich ja noch nie gelees!“
Ich beteuerte die Richtigkeit des Wiedergegebenen, langsam aber beschlich mich ein ungutes Gefühl: Was, wenn ich mich getäuscht hätte und dort vielleicht wirklich etwas anderes stünde? Ich meine, wer hier jahrelang arbeitet und für die Sicherheit verantwortlich ist, der müsste ja wohl über Ungewöhnliches informiert sein. Was KÖNNTE das Schild denn bedeuten?
„Wais ich och net. Aba waaden Se emol, do kimmt maine Kolleje. Mo siehn, ob DE dat wais. Somohl, hier mol, watt die Frou seet!“
Der Kollege, der irritiert schien, in dem Glaskasten mehr als seinen Kollegen vorzufinden, warf mir aus niedergeschlagenen Augen einen mäßig interessierten Seitenblick zu, während ich im Zitieren des Spruches langsam Routine bekam. Dass er den Durchblick hatte, tat er durch die Beiläufigkeit seiner spontanen Antwort kund: „Ja. Das ist für Behinderte, kleine Kinder und Hunde. Die dürfen da vielleicht nicht mitfahren.“
Ich bin mir nicht sicher, ob er für das Komma eine Pause gelassen hat; es kann auch sein, dass er „behinderte kleine Kinder in Begleitung von Hunden“ meinte oder „behinderte kleine Kinder UND behinderte kleine Hunde“, wobei da der Aspekt interessant wäre, dass durch diese Formulierung eines Justizbeamten Hunde (oder kleine Hunde, behinderte Hunde, vielleicht auch kleine behinderte Hundekinder) von einer Sache zu einer Person aufgewertet würden, was einen Präzedenzfall darstellen dürfte.
Den Ausspruch noch im Ohr „Ja. Das ist für Behinderte, kleine Kinder und Hunde“, protestierte ich nach kurzem Überlegen: „Nein, das wäre doch eine ganz andere Aussage!“
Auch der erste Beamte war dieser Meinung: „Jo. Klor! Wäre dat! Hieremol RESCHTESCH henn: …“ Er gab mir erneut meinen Einsatz, und mit jedem Mal wurde ich unsicherer.
„Es ist verboten … c) Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist.“
„Stimmt“, nickte nun auch der zweite „aber das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Das hab‘ ich auch noch nie gelesen. Wer liest denn schon solche Schilder!“
Der erste löste sich von dem Tisch, an dem er mit seiner Sitzfläche gelehnt hatte, und blitzte verschmitzt in unsere Richtung: „Dau, dat ginn ich mer emol aangocke!“ Er verschwand Richtung Aufzug und mit dem aus dem Blickfeld.
Währenddessen machte ich dem zweiten den Lösungsvorschlag, es könne doch vielleicht bedeuten, ich meine, ich weiß ja nicht, ob ich damit richtig liege, aber wenn man zum Beispiel Gefangene in dem Aufzug zur Verhandlung transportiere, wäre das doch sicher nicht in jedem Fall gut, gleichzeitig noch andere Personen mit diesem Aufzug zu befördern.
Er wurde wachsam. Den Blick im Anschlag, lauerte er: „Ja-ja, die Gefangenen werden aus dem Keller mit diesem Aufzug hochgeholt …“
Ich unterstelle hier, dass die Gefangenen nicht im Keller in Verliesen gehalten werden, sondern das Gericht per Gefangenentransport durch den Keller betreten. Dennoch konnte ich auch diese Version nicht akzeptieren: „Ja, aber, das dürfen sie doch nicht! Denn auf dem Schild steht, dass in dem Aufzug Personen, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist, nicht befördert werden dürfen! Also wie!?“
„Nein, das kann nicht sein, davon müssten wir was wissen, wir doch als Erste. Ich arbeite jetzt schon über 16 Jahre hier und habe davon noch nichts gehört!!“
Nach einigem Warten, sein erster Kollege war nicht zurückgekommen, verabschiedete ich mich, ohne erfahren zu haben, was ich wissen wollte. Ich rief bei der Verwaltung des Gerichtes an. Sämtliche fünf Gesprächspartner – einschließlich des Verwaltungschefs – versprachen mir, sich das Schild einmal anzusehen, wussten aber sonst nichts damit anzufangen.
Zum Schluss rief ich bei Haarschopf und Gnom, der Aufzugsfirma, an. Die Sekretärin war genauso ratlos wie ihr Chef. Er jedenfalls versprach, die Sache prüfen zu lassen. Nein, um einen Lastenaufzug könne es sich dabei nicht handeln, denn dann wäre er als solcher gekennzeichnet und Personen dürften darin nie befördert werden. Aus seinem Repertoire sei das Schild auf keinen Fall. Ob das vielleicht ein Unbefugter angeklebt hatte …?
Zwei Wochen später erfuhr ich durch ihn, dass er den Aufzug persönlich überprüft habe. Das Schild sei tatsächlich vorhanden. Er habe auch geklärt, dass die Verwaltung des Gerichtes es in Auftrag gegeben habe. Aber was es nun eigentlich verhindern solle, das zu klären sei auch ihm nicht gelungen.
© noé/1993